Der Schweizer Weltwoche gelang es, in Österreich eine hochkarätige Podiumsdiskussion zu organisieren. Gestern diskutierten in Wien der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán. Moderiert hat das Gespräch der Schweizer Journalist und Herausgeber der Weltwoche, Roger Köppel. Das Thema der Diskussion war "Frieden in Europa".
Orbán würdigte Schröder als einen Staatsmann, der sich für die strategische Autonomie der EU starkgemacht hat. Im Rahmen des Landtagswahlkampfes in Niedersachsen im Jahr 2003 hat Gerhard Schröder den USA die Gefolgschaft versagt und sich gegen eine deutsche Beteiligung am Überfall eines westlichen Bündnisses auf den Irak gestellt.
Auch heute plädiert Schröder wieder für eine diplomatische Lösung. Der Ukraine-Konflikt endet am Verhandlungstisch, ist sich Schröder sicher. Orbán teilt diese Sicht. Die Friedensverhandlungen in Istanbul im Frühjahr 2022 zwischen der Ukraine und Russland, die zu greifbaren Ergebnissen geführt haben, seien von dem damaligen britischen Premierminister Boris Johnson sabotiert worden, erläutert Orbán. Die Gründe für Johnsons Absage an den Frieden in Europa wird man erst später erfahren, so der Regierungschef.
Einig sind sich Schröder und Orbán darin, dass Russland militärisch nicht geschlagen werden kann und es diplomatische Initiativen braucht.
"Wer, wenn nicht die EU, soll handeln?", fragte Orbán auf seine Friedensmission angesprochen. Orbán war unmittelbar nach der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft durch Ungarn zu Gesprächen in die Ukraine, nach Russland, China und die USA gereist. Er hat sowohl mit Wladimir Selenskij, als auch mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping gesprochen. Auch mit US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump gab es ein Gespräch.
Ziel der Reisediplomatie war es, die Möglichkeiten für Verhandlungen auszuloten. Orbán wurde von der EU und zahlreichen Staatschefs der EU für seine Reisediplomatie harsch kritisiert. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen rief die EU-Kommission zum Boykott der ungarischen Ratspräsidentschaft auf.
Aus der EU kommt bisher keine eigene diplomatische Initiative zur Lösung des Ukraine-Konflikts. Auch angesichts der sich täglich verschlechternden Lage für die Ukraine setzt die EU weiterhin auf Waffenlieferungen und strebt einen strategischen Sieg über Russland an. Die EU unterstützt Selenskijs sogenannten Friedensplan, der eine vollständige Rückeroberung der von Russland befreiten Gebiete inklusive der Krim zum Ziel hat. Militärexperten halten dies für unmöglich.
Sowohl Schröder als auch Orbán werfen der EU vor, diese Realität zu verkennen. Große Hoffnungen setzen beide auf einen Wahlsieg Trumps bei den US-Wahlen in der kommenden Woche. Orbán und Schröder sind überzeugt, dass sich Trump für ein Ende des Ukraine-Kriegs einsetzen wird. Die EU wird dann allerdings nicht mit am Verhandlungstisch sitzen. Sie hat sich mit ihrer Politik der bedingungslosen Unterstützung der Ukraine und der Absage an Diplomatie selbst in eine Sackgasse und die Isolation geführt.
Für die EU erwartet Orbán nichts Gutes. Der Verzicht auf russische Energieträger hat der EU das wirtschaftliche Rückgrat gebrochen. Schröder sieht die Zukunft etwas positiver. Deutschland habe noch immer Potenzial.
Neben fünfhundert Zuschauern waren auch fünfzig Medienvertreter anwesend. Das Medienecho auf die Veranstaltung ist allerdings sehr einseitig. Die deutschen Medien pressen die Veranstaltung in ihr Narrativ und die etablierte Wortwahl. Orbán sei ein Autokrat, Putin ein Machthaber und Diktator und Schröder ein obskurer Putin-Freund.
Wer sich für Frieden und Diplomatie ausspricht, muss in Deutschland mit einer Schmutzkampagne rechnen. Daran wird allerdings auch deutlich, warum Deutschland für eine Lösung des Konflikts ausfällt.
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