Soziale Medien: Die Renaissance des Handwerks

Content Creator:innen machen Handarbeit und erstellen daraus digitale Inhalte für die sozialen Medien. Jenseits von Selbstinszenierung und verstecktem Product Placement erleben so Millionen Menschen traditionelle Handwerkskunst im Netz.

Eine 8bit-Grafik mit verschiedenen Werkzeugen und einem YouTube-Logo
Screenshot eines YouTube-Videos von Uri Tuchman – Alle Rechte vorbehalten Uri Tuchman

Mitte der 1960er Jahre fand der französische Philosoph Guy Debord harte Worte für die westliche Gesellschaft: Die Menschen verlieren sich im Kaufrausch und oberflächlicher Unterhaltung. Je mehr Bilder sie konsumieren und sich dabei selbst zu Abbildern machen, desto weniger verstehen sie ihre Existenz und ihre wahren Bedürfnisse. Glücklicherweise musste Debord den Aufstieg der sozialen Medien nicht mehr miterleben. Rund dreißig Jahre nach seinem Tod verbringen deutsche Jugendliche durchschnittlich 3,5 Stunden täglich an ihrem Smartphone.

Es ist nicht alles schlecht, was dabei über die Bildschirme flimmert. In den endlosen Feeds der sozialen Medien finden sich auch berührende, differenzierte und sehenswerte Inhalte. Und manchmal gewähren sogenannte „Maker“ auch Einblicke unter die glatte Oberfläche von Tech-Gadgets und hinter die strahlende Haut von Influencer:innen.

Einer von ihnen ist der Erfinder, Handwerker und Künstler Uri Tuchman. Tuchman bezeichnet sich selbst als „YouTube-Maker“. „Wenn du etwas mit deinen Händen herstellst und es später als Video hochlädst, macht dich das eigentlich schon zu einem YouTube-Maker“, sagt Tuchman im Gespräch mit netzpolitik.org. YouTube-Maker seien in erster Linie Content Creator:innen, da sie ihr Handwerk zu Content machen.

Die Schönheit liegt im Prozess

Tuchman baut wundersame Maschinen und Objekte, die einem Fantasy-Roman entsprungen sein könnten. Eine motorbetriebene Nasenbohrmaschine zum Beispiel. Oder ein Gemälde, das dem Betrachter mit den Augen folgt. Oder eine Nachbildung seiner selbst als antiken Automaten. Den Herstellungsprozess begleitet er mit der Kamera. Aus den Bauprojekten, an denen Tuchman manchmal monatelang arbeitet, entstehen YouTube-Videos, die zwischen 10 und 25 Minuten lang sind. Rund 340.000 Abonnent:innen folgen dem Maker dafür.

Tuchman muss bei der Arbeit oft improvisieren. Er wiederholt Arbeitsschritte, tauscht defekte Teile aus oder verwendet alternative Materialien. Der Reiz der Videos liegt letztlich nicht in einem fehlerfreien Endprodukt, sondern in der Sichtbarmachung des Prozesses und des Menschen dahinter. „Die Zuschauer wollen vor allem hinter den Vorhang schauen und sehen, wie man seine Fertigkeiten verbessert“, sagt Tuchman.

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Niedrigschwelliger Einstieg

Content Creation stellt für Erfinder:innen, Handwerker:innen und Do-it-yourself-Fans eine Möglichkeit dar, mit ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten den Lebensunterhalt zu bestreiten. Ihre handgefertigten Werkstücke haben kaum eine Chance, mit massengefertigten Produkten zu konkurrieren. Für Tuchman, der ursprünglich aus der zeitgenössischen Kunstszene kommt, bot YouTube eine Alternative zum oftmals komplizierten Geschäft mit Galerien und Kurator:innen.

„Einen YouTube-Kanal zu eröffnen, dauert nur fünf Minuten. Es gibt keine Gatekeeper. Das war für mich sehr verlockend“, erklärt Tuchman. Als Arbeitgeber sei YouTube zudem fast unsichtbar. Zwar stellt die Plattform eine Reihe von Tools zur Verfügung, um die Performance der Videos zu analysieren und zu verbessern. Bei Notfällen – wie gehackten Accounts – müssen Content Creator:innen oft erst ihre Community auf anderen Plattformen wie Twitter um Hilfe bitten, damit ein Problem sichtbar wird. „Wenn du nicht genug Follower hast, kann das zum Problem werden“, fügt Tuchman hinzu.

Mit YouTube Geld verdienen

Wer mit seinem Kanal am sogenannten „Youtube-Partnerprogramm“ teilnehmen möchte, muss mindestens 1000 Abonnent:innen und 4000 Stunden Videowiedergabe oder wahlweise 10 Millionen Aufrufe von YouTube-Shorts vorweisen können (Stand Juni 2024). Den Partner:innen zahlt YouTube einen Teil der Werbeeinnahmen aus. Der Betrag liegt nach der Recherche eines YouTubers zwischen einem und dreißig Dollar pro 1000 Videoaufrufe.

Wie viel Geld die Creator:innen letztendlich mit ihren Videos verdienen, hängt von verschiedenen Parametern ab. Werbekund:innen zahlen mehr für Werbeanzeigen bei thematisch relevanten Videos, die zum eigenen Produktsortiment passen. Eine Werbeanzeige von Apple in dem Video eines Creators, der Tech-Produkte vorstellt und bewertet, bringt dementsprechend mehr Geld.

Wer sich nicht an die Regeln der Plattform hält, kann Probleme mit YouTube bekommen. Creator:innen, die im YouTube-Partnerprogramm bleiben wollen, müssen also vorsichtig agieren. Sie sind dazu verpflichtet, eine Vielzahl von Richtlinien einzuhalten, um ihre Kanäle zu monetarisieren – sprich: von YouTube bezahlt zu werden.

Dazu gehören unter anderem die Community-Richtlinien, die Richtlinien für werbefreundliche Inhalte und die Programmrichtlinien. Verstöße können zur Löschung von Videos oder im schlimmsten Fall zur kompletten Sperrung eines Kanals führen.

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Plattformen nehmen starken Einfluss

Der YouTuber und Maker Jimmy DiResta hat für seinen Kanal ein altes Gewehr restauriert. Den finalen Test, das Abfeuern eines Schusses, hat DiResta nicht auf YouTube, sondern auf Instagram hochgeladen, um einer möglichen „Demonetarisierung“ des Videos zu entgehen. In diesem Fall hätte DiResta mit seinem Video keine Einnahmen mehr erzielen ­können – bei rund 29 Millionen Aufrufen wäre das ein erheblicher finanzieller Verlust.

Als Hinweis zu den teils schwammig formulierten Regeln, etwa das Verbot von „Nacktheit und sexuellen Inhalten“ schreibt YouTube: „Wenn du glaubst, dass Inhalte gegen diese Richtlinien verstoßen könnten, solltest du sie nicht posten.“ Das liest sich wie ein Aufruf zur Selbstzensur.

Der Erfolg von Videos wird zudem maßgeblich von Algorithmen bestimmt, deren komplexe Funktionsweise sich ständig ändert. Von der Erfassung des Algorithmus hängt die Sichtbarkeit des Videos und damit die Höhe der Werbeeinnahmen ab.

Diese „algorithmische Kontrolle“ über die Inhalte schränkt die Autonomie der Creator:innen ein und erfordert eine dauerhafte Anpassung der eigenen Inhalte an den Algorithmus. Die Algorithmen der Plattformen agieren dabei unterschiedlich: Ein Video, das auf YouTube viral geht, kann auf TikTok untergehen und umgekehrt.

Mehr als eine Einnahmequelle

Meistens verlassen sich Creator:innen deshalb auf einen Mix an Einnahmequellen. Tuchman setzt auch auf Patreon. Der Social Payment Service bietet den Creator:innen die Möglichkeit, sich von sogenannten „Patrons“ durch Abonnements finanziell unterstützen zu lassen. Im Gegenzug erhalten die Patrons beispielsweise exklusive Inhalte.

Trotzdem kommen Creator:innen, die von ihren Inhalten leben wollen, kaum an Sponsoren vorbei. Sponsoren sind Unternehmen, die in direkter Zusammenarbeit mit Creator:innen ihre Produkte bewerben lassen. Dafür erhalten diese finanzielle oder materielle Gegenleistungen.

Anders als externe Werbeanzeigen, die ähnlich wie Fernsehwerbespots in die Videos eingeblendet werden, können die Creator:innen ihre Sponsoren direkt in den Content einbinden. Viele Creator:innen behalten dabei ihren gewohnten Stil bei. Sie bewerben die Produkte zum Teil satirisch und spielerisch, um den „Flow“ ihrer Videos nicht zu unterbrechen.

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Pädagogischer Wert trotz Werbezwang

Kreativität ist auch bei der Werbung gefragt und manchmal wird sie auch gewürdigt. „Der Übergang zur Werbung war ein Meisterwerk für sich“, schreibt ein Follower über einen Werbeclip für einen VPN-Anbieter (Virtual Private Network), den Tuchman in eines seiner Videos eingebunden hat. Der Zugang zum Internet durch ein VPN-Netzwerk verschleiert die Identität der Anwender:innen. Ironischerweise gehört YouTube zu Google, einem Unternehmen, das wegen seiner nutzer:innenfeindlichen Datenschutzpraxis in der Kritik steht.

Die Maker machen also aus der Not eine Tugend. Wer von seiner Arbeit auf der Plattform leben will, sei auf das YouTube-Partnerprogramm und externe Sponsoren angewiesen, so Tuchman. Und YouTubes Geschäftsmodell basiert nun einmal auf Werbung. „YouTube ermöglicht es den Makern, verrückte Dinge zu bauen und Videos davon hochzuladen, was die Renaissance des Handwerks in den sozialen Medien erst möglich macht“, sagt Tuchman. Dessen seien sich auch die Zuschauer:innen bewusst.

Der Einsatz von Werbung erlaubt es den Makern, sich mit ihren Inhalten eine Existenz aufzubauen. Für Tuchman zählt dabei auch die pädagogische Botschaft des „Making“. Im Vordergrund der Maker-Community stehe das Motto: Do it yourself. Maker tüfteln, reparieren, erfinden, probieren aus und ermutigen andere, es ihnen gleichzutun.

Inhalte mit Botschaft

Viele Menschen kommen durch soziale Medien zum ersten Mal in Berührung mit den Möglichkeiten von Handarbeit und traditionellen Arbeitstechniken in Berührung. Durch die Perspektive der Maker sehen sie, wie Tischlerei, Elektrotechnik oder Schmiedekunst funktionieren.

Jessie Uyeda aka ijessup räumt verlassene Häuser auf, renoviert Möbel und baut Filmrequisiten. Estefannie bezeichnet ihre Arbeit als „feminine rage tech“. Dazu gehört auch ein von Estefannie entworfener Büstenhalter, der Grapscher durch Funkenflug von unerwünschten Berührungen abhalten soll. Nachhaltigkeit, Kreativität und Spaß am Konstruieren vermischen sich in dieser Art von Maker-Content.

Wohl auch deshalb erreichen einige YouTube-Maker mit ihren Inhalten Millionen von Zuschauer:innen, ohne unrealistische Körper-, Business-, und Lebensideale zu propagieren oder die Privatsphäre ihrer Mitmenschen zu verletzen.

Das Selbstverständnis der Maker zielt bisher darauf ab, lieber zu kreieren statt zu konsumieren. Die Werbung ist dabei notwendiges Übel und Existenzsicherung zugleich. Für Tuchman bleibt die Handarbeit der wichtigste Teil der YouTube-Maker: „Handgefertigte Dinge sind immer schöner als Massenware – weil du darin bist.“


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