Orbán stellt den europäischen Kriegstreibern eine Falle

Von Oleg Issaitschenko

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat den Versuch unternommen, die Unterstützung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan für seine Friedensmission für die Ukraine zu sichern. Dabei zog Orbán in Betracht, dass die Türkei bisher der einzige erfolgreiche Vermittler in dem Konflikt war, erklärte der Pressesprecher der ungarischen Regierung, Bertalan Havasi.

Später merkte Orbán selbst an:

"Die Positionen der Kriegsparteien sind nach wie vor weit voneinander entfernt. Doch wenn sich die 'Friedensfreunde' vereinen, werden wir durch gemeinsame Anstrengungen einen ersten Schritt zum Frieden machen können."

Zuvor hatte Ungarns Regierungschef die "Kriegsbefürworter" unter den europäischen Politikern, die gegen eine diplomatische Regulierung des Konflikts eintreten, kritisiert.

In der vergangenen Woche unternahm Orbán einige Zeichen setzende Auslandsreisen als Oberhaupt des Staates, der seit dem 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Er besuchte nacheinander Kiew, Moskau, Peking und begab sich anschließend zum NATO-Gipfel in Washington. Im Westen rief Orbáns Friedensmission eine nervöse Reaktion hervor, doch die NATO kritisierte ihn nicht. Innerhalb der EU erweitert er indessen die Allianz der Gegner eines Kriegs mit Russland.

Vor diesem Hintergrund erfuhr die spanische Zeitung El Pais von einem Brief, den Orbán an die Staatschefs der Europäischen Union nach dem Abschluss seiner Reise in die Ukraine, nach Russland und China geschickt hat. Nach Angaben des Blattes sollen Russlands Präsident Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping davon ausgehen, dass Friedensgespräche zwischen Moskau und Kiew bis Ende des Jahres stattfinden werden.

Orbán rief die EU außerdem dazu auf, einen Friedensdialog einzuleiten, ohne dabei auf die USA zu warten. Denn dort laufe der Wahlkampf und in den kommenden Monaten seien von den Vereinigten Staaten keine Initiativen zu erwarten. Die Nachrichtenagentur RBC zitiert seinen Brief wie folgt:

"Auf Grundlage meiner Verhandlungsgespräche denke ich, dass es jetzt mehr Chancen dafür gibt, dass alle möglichen Vorschläge für einen Waffenstillstand und eine Roadmap für Friedensverhandlungen positiv aufgefasst werden."

Ungarns Ministerpräsident merkte weiter an, dass er mit dem chinesischen Staatschef über die möglichen Szenarien der Entwicklung des Konflikts nach den Präsidentschaftswahlen in den USA gesprochen habe. Laut Orbán werde vom neuen Oberhaupt des Weißen Hauses "ein schnelles politisches Ergebnis noch vor seinem Amtseintritt" erwartet. Xi Jinping habe allerdings zu einem solchen Szenario keinen Kommentar abgegeben.

Nach Meinung mehrerer Experten verdeutlicht Orbáns Aufruf an die Europäer, keine Initiativen aus den USA abzuwarten, dass Ungarns Ministerpräsident selbst unter anderem mit Erdoğans Unterstützung versucht, geopolitische Bedingungen zu schaffen, die es Donald Trump im Falle eines Wahlsiegs ermöglichen würden, die Kriegsbefürworter in Europa "schachmatt zu setzen".

In Russland wird die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios skeptisch bewertet. "Orbán versucht, innerhalb Europas eine Koalition von Ländern zusammenzubringen, die für eine diplomatische Regelung des Ukraine-Konflikts eintreten. Doch die USA unter ihrer jetzigen Führung und eine Reihe von europäischen Staaten nehmen immer noch eine unversöhnliche Haltung ein", erklärt der deutsche Politologe Alexander Rahr.

Nach seiner Meinung weisen die USA und die EU Orbáns Versuche zurück, China, die Türkei und Trump als Präsidentschaftskandidaten zur Diplomatie hinzuzuschalten. "Der Westen wird versuchen, Orbáns Politik zunichtezumachen. Budapest werden mit Sicherheit neue Sanktionen angedroht werden. Wahrscheinlich wird sich die jetzige Lage nicht vor November ändern, wenn klar sein wird, wer neuer Präsident der USA wird", vermutet Rahr.

"Orbán versteht sehr wohl, dass er eine faktisch unmögliche Mission anführt. Wladimir Putin nannte sie wenig wahrscheinlich, als er von einer möglichen Vermittlung zwischen Russland und der Ukraine sprach. Doch Orbán versucht, seine Erfolgschancen zu nutzen, egal wie gering sie sind, und das muss man ihm zugutehalten", erklärt der Politologe Wladimir Kornilow.

"Er wird überall aktiv sein. Die Türkei nahm bereits an der Organisation von Friedensgesprächen teil. Riad und Abu Dhabi versuchten es ebenfalls. Orbán könnte tatsächlich mehr Länder zu diesem Prozess heranziehen, doch er versteht, dass die Zentren der Entscheidungsfindung in Moskau, Peking und Washington liegen. Deswegen versucht er, mit diesen Zentren zu arbeiten und erweitert dabei den Kreis der eigenen potenziellen Unterstützer", fügt Kornilow hinzu.

Eine andere Ansicht vertritt der Politologe Wadim Truchatschew. Seiner Meinung nach stehen für Orbán die Interessen Ungarns und der in Transkarpatien lebenden Ungarn an erster Stelle. "Sein Maximalprogramm ist, alle ethnischen Ungarn in den Grenzen seines Landes zu vereinen. Und das Minimalprogramm ist, eine Autonomie für die Ungarn in Transkarpatien zu erreichen, wozu er die Unterstützung Russlands, Chinas und der Türkei benötigt", vermutet Truchatschew.

Parallel dazu versuche Orbán, mit der EU und der NATO auf Augenhöhe zu sprechen, wozu er die drittstärkste Fraktion im Europarlament gegründet habe und zu einem unzweifelhaften Anführer der "Friedenspartei" geworden sei. Damit erreiche er das gesamteuropäische politische Niveau. Außerdem nehme Orbán Rücksicht auf die Position von Peking.

"Als Xi Jinping im Mai nach Budapest kam, sagte Orbán, dass er dessen Friedensplan absolut unterstütze. Und nach seiner Reise nach Peking bestätigte der ungarische Regierungschef dies. Das, was Orbán heute sagt, stimmt mit dem chinesischen Friedensplan überein", erklärt der Experte.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad am 10. Juli 2024.

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