Ratsverhandlungen: Frankreich will Chatkontrolle zustimmen, wenn Verschlüsselung nicht geschwächt wird

Frankreich hat Änderungsvorschläge zum belgischen Chatkontrolle-Kompromiss angekündigt. Würden diese angenommen, würde Frankreich seine bisherige Ablehnung aufgeben. Schon am Mittwoch könnte der Rat dann über die Chatkontrolle abstimmen.

Prompt: a padlock on a smartphone screen, in the background a huge surveillance eye, illustration --ar 16:9
Ob der Änderungsantrag Frankreichs wirklich Verschlüsselung schützt, ist alles andere als klar. (Symbolbild) – Public Domain generiert mit Midjourney

Der EU-Rat für Justiz & Inneres hat sich am gestrigen Donnerstag kurz mit dem Thema Chatkontrolle beschäftigt (Video). Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson stellte in alarmistischen Worten voran, dass die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauchsdarstellungen im Internet stark wachsen würde und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Pandemie“. Sie nannte dazu Zahlen der US-Organisation NCMEC. Wie eine Recherche von netzpolitik.org gezeigt hat, sind die Zahlen von NCMEC nicht dazu geeignet, Rückschlüsse auf das reale Ausmaß der Gewalt oder Opferzahlen zuzulassen.

Johannson lobte in ihren Ausführungen den Online Safety Bill aus Großbritannien, dieser sei ihrem Verordnungsvorhaben sehr ähnlich. Auch der Online Safety Bill hatte Diskussionen um IT-Sicherheit und Schwächung der Verschlüsselung ausgelöst, Messenger-Anbieter wie WhatsApp und Signal drohten, die Insel zu verlassen. Am Ende hatte der Gesetzgeber in UK die Chatkontrolle aufgeschoben, bis sie „technisch machbar“ sei.

Unbekannte Änderungsvorschläge

Frankreich dankte in der Sitzung dem belgischen Ratsvorsitz für die Kompromissvorschläge und wiederholte seine mögliche Zustimmung zur Chatkontrolle aus der Ratssitzung vom 4. Juni. Das Land habe nun weitere Änderungsvorschläge eingereicht. Diese sollten laut dem Vertreter gewährleisten, dass Verschlüsselung nicht geschwächt werde, und dass Verschlüsselung bei den Diensten weiterhin verfügbar sei. Würden diese Änderungen, deren Wortlaut noch nicht bekannt ist, angenommen, dann würde Frankreich der Verordnung zustimmen.

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer (Piraten) vermutet, dass die Änderung darauf abzielen könnte, die von Schweden vorgeschlagene Bestimmung zum Schutz von Verschlüsselung breiter zu fassen und einen Schutz auch vor der „Umgehung“ oder „Untergrabung“ von Verschlüsselung zu implementieren. Das schließt laut Breyer aber nicht den Einsatz von Client-Side-Scanning aus.

Eine andere Idee könnte laut Breyer sein, dass das Scannen von Ende-zu-Ende-verschlüsselten Inhalten erst in Kraft treten soll, wenn Technologien vorhanden sind, die das ohne Schwächung der Verschlüsselung möglich machen. Das wäre das britische Modell, auf das auch Johansson in der Sitzung hingewiesen hatte.

Für den 19. Juni ist eine weitere Sitzung zum Thema Chatkontrolle geplant. Patrick Breyer, der scheidende Piraten-Abgeordnete im EU-Parlament, warnt davor, dass die Chatkontrolle dann schon abgestimmt werden könnte. Eine Zustimmung des Rates würde den Weg für Trilog-Verhandlungen freimachen – und die umstrittene Chatkontrolle ein weiteres Stück näher rücken lassen. Der Abgeordnete ruft dazu auf, die deutsche Ständige Vertretung in Brüssel anzurufen und dort seine Meinung kundzutun.

Mit einer Zustimmung Frankreichs würde die derzeit vorhandene Sperrminorität fallen und die Chatkontrolle-Verordnung könnte in die Trilog-Verhandlung von Kommission, Rat und Parlament.

Es bleibt anlasslose Überwachung

Die Chatkontrolle ist nicht nur politisch und technisch umstritten, sondern auch juristisch. Der Juristische Dienst der EU-Staaten hat die Chatkontrolle letztes Jahr als rechtswidrig bezeichnet und gewarnt, dass Gerichte das geplante Gesetz wieder kippen könnten. Am grundsätzlichen Problem der Chatkontrolle, nämlich der anlasslosen Überwachung unbescholtener Menschen, ändert auch der belgische Kompromissvorschlag bislang nichts. Das hatte auch Deutschland bei den Verhandlungen zuletzt angemerkt.

Die Chatkontrolle hat breiten Widerspruch nicht nur in der Zivilgesellschaft hervorgerufen. Dabei ist auffällig, dass der Deutsche Kinderschutzbund wie auch Vertreter:innen von Ermittlungsbehörden das anlasslose Durchleuchten privater Dateien und Kommunikation gleichsam als unverhältnismäßig ablehnen. Diese Kritik äußern auch weltweit führende IT-Sicherheitsforscher:innen, zahlreiche Wissenschaftler:innen und der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen.

Die Chatkontrolle wird auch von europäischen und deutschen Datenschutzbehörden sowie von mehr als 100 internationalen Digital- und Bürgerrechtsorganisationen abgelehnt. Tech-Firmen wie Apple halten es für technisch unmöglich, Daten automatisch zu scannen, ohne dabei die Privatsphäre und die IT-Sicherheit zu gefährden.


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