Nach dem desaströsen TV-Duell von Biden: Wie geht es weiter für die Demokraten?

Vier Tage nach der desaströsen Performance von Joe Biden im TV-Duell hat sich die Panik in Teilen der Demokratischen Partei noch immer nicht gelegt – im Gegenteil. Während die meisten Demokraten in Führungspositionen dafür plädieren, weiter hinter dem amtierenden Präsidenten zu stehen, fordern andere Stimmen in der Partei, dass zumindest ein Gespräch darüber geführt werden muss, ob Joe Biden zu diesem historischen Moment wirklich der richtige Kandidat für das Amt des Präsidenten sei – was vor allem bedeutet, ob er der richtige Kandidat ist, um Donald Trump zu schlagen. 

Eine kurze Bestandsaufnahme: War Joe Bidens Auftritt im TV-Duell wirklich so schlimm?

Die kurze Antwort lautet: Ja. Bidens Aufgabe am vergangenen Donnerstagabend war es, den Auftritt zu nutzen, um die Dynamik in diesem Rennen um das Weiße Haus zu seinen Gunsten zu drehen und diesen Schwung in die bald anstehende heiße Phase des Wahlkampfs mitzunehmen. Die Zuschauerzahlen beim ersten TV-Duell sind traditionell die höchsten im ganzen Wahlkampf – höher noch als bei der State of the Union oder den Nominierungsreden auf den jeweiligen Parteitagen. Am Donnerstag schauten 50 Millionen Menschen Biden und Trump zu. Es war Bidens größte Chance, die bisher medial dominierende Erzählung des Wahlkampfs – dass er zu alt, zu tattrig, zu wenig belastbar für eine zweite Amtszeit sei – zu drehen. Er hat das Gegenteil bewirkt. 

Die Debatte fand, anders als sonst, ungewöhnlich früh statt – noch vor den Nominierungsparteitagen im Juli und August. Auch das gehört zu den Frustrationen potentieller Wähler*innen der Demokraten nach diesem Abend: Es war Bidens Team, das dieses Datum für die TV-Debatte wollte. Es war sein Wahlkampfteam, das entgegen der üblichen Abläufe, vorbei an der Debatten-Kommission auf einen Termin schon im Juni gepocht hat. Dafür hatten sie einen guten strategischen Grund: Ihre Kalkulation war, die Bedenken wegen Bidens Alter und Fitness möglichst früh auszuräumen, bevor die Erzählung Trumps vom senilen Joe immer mehr Dynamik entfaltet und sich so weiter verfestigt. 

Inhalt zählt leider weniger als Optik

Ein grundsätzliches Problem von TV-Duellen ist, dass Inhalt weniger zählt als Optik. Biden wirkt auch bei anderen öffentlichen Auftritten deutlich älter als noch 2020 – aber sein Auftritt am Donnerstagabend zeigte ein erschreckendes Bild: Er wirkte abwesend, gebrechlich, seine Stimme klang in der ersten Debatte-Hälfte heiser – so als müsste er husten, könnte aber nicht. Später hieß es, Biden habe eine Erkältung gehabt. Diese Tatsache hätte Biden mit einem kurzen selbstironischen Witz einfangen können – aber auch das geschah nicht. Dass Kandidaten krank werden, kann passieren – weshalb sein Team das vorher nicht, wie in solchen Fällen üblich, an Medien durchgesteckt hatte, um das Publikum auf einen gesundheitlich und stimmlich angeschlagenen Biden vorzubereiten, wird wohl sein Geheimnis bleiben. 

In einem TV-Duell sind die beiden Kandidaten oft im Split-Screen zu sehen – weshalb ihnen in der Vorbereitung deutlich gemacht wird, dass sie ihre Gesichtszüge und Reaktionen immer unter Kontrolle halten müssen – 2020 war das Biden (anders als Al Gore 2008) gelungen. Biden lächelte damals, wirkte entspannt, im Gegensatz zu Trump, schien gefasst und geordnet. Diesmal sah es ganz anders aus: Biden schien häufig mit offenem Mund ins Leere zu starren. Die Guardian-Journalistin Moira Donegan schrieb auf Twitter: “Der Ausdruck von erschöpftem Entsetzen auf Bidens Gesicht ist auch der Ausdruck auf meinem.”

Die amerikanischen Zuschauer*innen wissen, dass Biden als Kind gestottert hat und dass ihm das immer noch in Reden zu schaffen macht. Diesmal war es aber nicht nur das, was auffiel: Biden verhaspelte sich nicht nur – das wäre zu verkraften gewesen. Sondern er schaffte es selbst bei Steilvorlagen nicht, Trump effektiv anzugreifen. Das Problem in Bidens Performance lag nicht nur darin, dass Trump neben ihm wacher, physisch kräftiger und selbstbewusster wirkte – Biden leistete sich auch inhaltlich massive Patzer. 

Biden inhaltliche Patzer

Als er Trump eigentlich wegen der hohen Staatsverschuldung und der Kürzungen von Sozialleistungen während dessen Präsidentschaft angreifen wollte, kam beispielsweise das heraus:

BIDEN: Wir wären in der Lage, sicherzustellen, dass all die Dinge, die wir tun müssen – Kinderbetreuung, Altenpflege, sicherzustellen, dass wir weiterhin unser Gesundheitssystem stärken, sicherzustellen, dass wir in der Lage sind, jede einzelne Person für das zu qualifizieren, was ich in der Lage war zu tun mit dem – mit – mit – mit dem COVID. Verzeihung, mit allem, was wir mit – sehen Sie, wenn – wir haben endlich Medicare geschlagen.

TAPPER: Ich danke Ihnen, Präsident Biden. Präsident Trump?

TRUMP: Nun, er hat Recht. Er hat Medicare geschlagen. Er hat es zu Tode geprügelt. 

Trumps Performance war grotesk

Trumps Performance war grotesk, wenn auch auf andere Art und Weise: Während Biden verwirrt, geistesabwesend und schmerzhaft langsam wirkte, war Trump zwar laut und selbstbewusst, aber er log, dass sich die Balken bogen. Da beide Teams sich vorher darauf geeinigt hatten, dass die CNN-Moderator*innen, Jake Tapper und Dana Bash, keine inhaltlichen Faktenchecks durchführen würden, fiel diese Aufgabe den Kandidaten selbst zu – und Joe Biden war weder vorbereitet noch schnell genug, das Sperrfeuer an dreisten Lügen von Donald Trump effektiv zu kontern.

Trump wirkte nicht unbedingt inhaltlich kohärenter als Biden – aber weder wird das von ihm erwartet, noch ist das bei einem TV-Duell (leider) ausschlaggebend: Wer selbstbewusst lügt, ist überzeugender als der, der nuschelnd die Wahrheit sagt. Also konnte Trump weitgehend unwidersprochen groteske Lügen über die Demokraten und seine eigenen politischen Positionen verbreiten:

Trump: Absurde Lügen

TRUMP: “Es wurden schon viele junge Frauen von denselben Leuten ermordet, denen er erlaubt, über unsere Grenze zu kommen. Wir haben eine Grenze, die der gefährlichste Ort der Welt ist – sie gilt als der gefährlichste Ort der Welt. Und er hat sie geöffnet, und diese Mörder kommen in unser Land. Und sie vergewaltigen und töten Frauen, und das ist eine schreckliche Sache. Was die Abtreibung anbelangt, so liegt die Entscheidung jetzt wieder bei den Staaten. Die Staaten stimmen ab. In vielen Fällen handelt es sich um eine sehr liberale Entscheidung.

In vielen Fällen ist es das Gegenteil. Aber sie stimmen ab. Das ist es, was jeder wollte, auch die Gründer, wenn sie von dieser Sache gewusst hätten, was sie offen gesagt nicht taten. Aber sie hätten es gewollt – jeder wollte, dass es wieder eingeführt wird. Ronald Reagan wollte es wieder einführen. Er war nicht in der Lage, es zu bekommen. Jeder wollte sie zurück haben, und viele Präsidenten hatten versucht, sie zurückzubekommen. Ich war derjenige, der es geschafft hat. Und noch einmal, das ist die Stimme des Volkes. Und das war es, was sie wollten. Jeder Rechtsgelehrte wollte es so haben.”

Bidens Abtreibungs-Patzer

Einen der schlimmsten Patzer leistete sich Biden bei seiner Erwiderung auf diesen geballten Haufen Lügen – bei einem Thema, das für ihn unter Umständen wahlentscheidend sein wird: dem Recht auf Abtreibung. 

Er wirkte in seiner Antwort nicht nur vage und unkonzentriert – sondern wechselte plötzlich völlig ohne Grund das Thema – zu Einwanderung, dem Thema, bei dem er am verwundbarsten ist. Freiwillig vom eigenen stärksten Bereich (Schutz von Abtreibungsrechten) zum schwächsten (Einwanderung) zu wechseln ist ein derart wildes Debattenverhalten, dass man nur davon ausgehen kann, dass sein Vorbereitungsteam währenddessen kollektiv die Köpfe gegen die Wand gehauen hat:

BIDEN: Tatsache ist, dass die überwiegende Mehrheit der Verfassungrechtler Roe unterstützte, als es entschieden wurde, unterstützte Roe. Und das war – das ist – diese Idee, dass sie alle dagegen waren, ist einfach lächerlich. Und das ist der Typ, der sagt, dass die Staaten die Möglichkeit haben sollten, das zu tun. Wir sind in einem Staat, in dem man in sechs Wochen noch nicht einmal weiß, ob man schwanger ist oder nicht, aber man kann nicht zum Arzt gehen und ihn entscheiden lassen, wie die Umstände sind und ob man Hilfe braucht.

Die Idee, dass die Staaten dies tun können, ist ein bisschen so, als würden wir die Bürgerrechte an die Staaten zurückgeben. Soll doch jeder Staat eine andere Regelung haben. Sehen Sie, es gibt so viele junge Frauen, die ermordet wurden – einschließlich einer jungen Frau, die gerade ermordet wurde, und er – er ging zur Beerdigung. Der Gedanke, dass sie von einem Einwanderer ermordet wurde, der hierher kam, wird immer wieder geäußert. Aber es gibt viele junge Frauen, die von ihren Schwiegereltern, ihren Ehepartnern, Brüdern und Schwestern vergewaltigt werden, es ist einfach nur lächerlich. Und sie können nichts dagegen tun. Und sie haben versucht, sie zu verhaften, wenn sie die Staatsgrenzen überschreiten.

BASH: Ich danke Ihnen.

Biden mit Defiziten

Nicht nur Bidens Abschweifen zum Thema Migration habe seine Defizite offenbart, sondern auch die Art und Weise, wie er über Abtreibung gesprochen habe, analysiert Moira Donegan im Guardian: 

“Auf die Frage nach dem Abtreibungsrecht – dem Thema, das laut Umfragen den größten Unterschied zu Trump ausmacht und seine besten Chancen auf einen Sieg im November bietet – beschrieb Biden das von ihm bevorzugte Abtreibungsrecht als ein System, bei dem “man zu einem Arzt geht und ihn entscheiden lässt, ob man Hilfe braucht oder nicht” – eine Szene, die Frauen zu Bittstellerinnen macht, die bei männlichen Autoritäten um Erleichterung betteln, und nicht zu Bürgerinnen, die das Recht haben, ihren Körper und ihr Leben selbst zu bestimmen.”

Nun ist es historisch tatsächlich so, dass Amtsinhaber meist in ihrer ersten Debatte schlecht abschneiden. Präsident Obama patzte in der ersten Debatte gegen Mitt Romney 2012 und gewann trotzdem die anschließende Wahl – daran erinnerte Obama auf Twitter, als er seine Unterstützung für Biden nach dem Debatten-Debakel verkündete

Biden kriegt wohl keine zweite Chance

Doch die Lage 2024 ist eine andere: Obama hatte die Chance, seine schlechte Performance in einer zweiten Debatte wettzumachen. Diese Möglichkeit wird Biden nicht haben – denn es gibt keinen Grund, warum Trump einem zweiten TV-Duell zustimmen sollte. Das Romney/Obama Duell fand zudem deutlich später statt – nachdem beide Parteien bereits ihre Kandidaten gekürt hatten. Weder Trump noch Biden ist momentan offiziell der Kandidat der eigenen Partei. Zudem war Obamas Leistung gegen Romney in seiner ersten TV-Debatte zwar schlecht – aber nicht so schlecht wie das, was wir am Donnerstagabend von Biden gesehen haben.

Und der letzte, vielleicht wichtigste Punkt: Es war eine andere Wahl – bei der nicht alles auf dem Spiel stand. 2024 entscheidet sich die Frage, ob Schwangere und Minderheiten in ihren Rechten beschnitten werden, ob die amerikanische Demokratie überleben kann – und das in einer Wahl, die aller Voraussicht nach unglaublich knapp ausgehen wird. Joe Biden liegt, trotz aller Verbrechen, Verfehlungen und verbalen Entgleisungen Trumps, trotz dessen Verachtung gegenüber denen, denen er keine Menschlichkeit zugesteht, in fast allen Swing States hinter Trump – und das seit Monaten

Grund für Introspektion bei den Demokraten

Biden hat Donald Trump schon einmal geschlagen, mit diesem Argument tritt er dieses Jahr erneut an. Doch seit Donnerstagabend fragt sich ein erheblicher Teil der Demokraten, ob er heute noch der Richtige für diese Aufgabe ist. Im Kontext seiner schlechten Beliebtheitswerte, seiner schwachen Performance in Umfragen und den wachsenden Zweifeln an seiner Fitness – die nach Donnerstagabend auch einige Biden-Unterstützer*innen teilen – muss Bidens Auftritt am Donnerstag zu Introspektion in der Partei führen. 

Einige Kritiker*innen forderten die Medien dazu auf, nicht – wie das NYT Editorial Board – von Biden den Rücktritt von seiner Kandidatur zu verlangen, sondern den Rückzug des verurteilten Straftäters Donald Trump, auf den noch drei weitere Prozesse warten, der einen Staatsstreich angezettelt hat, das Rennen verlässt. Es ist richtig, dass etablierte Medien oft mit zweierlei Maß messen, wenn es um Demokraten und Republikaner geht. Und es ist etwas dran an dem Vorwurf, dass mediale Berichterstattung mehr darauf hinweisen muss, wie ungeheuerlich es ist, dass Donald Trump, unterstützt von der Republikanischen Partei, ein weiteres Mal kandidiert. 

Der richtige Kandidat für den Wahlkampf, nicht das Amt

Es ist jedoch eine andere Frage, ob Joe Biden heute wirklich der richtige Kandidat für die Demokraten ist. Viele seiner Unterstützer*innen, die Bedenken wegen seines Alters in den letzten Monaten als Republikanische Propaganda abgetan hatten, fragen sich nach Donnerstagabend, ob sie sich geirrt haben. 

Die Frage, die Biden am Donnerstag beantworten musste, war nicht, ob er in der Lage ist, den Job als Präsident auszuüben – sondern ob er der richtige Kandidat dafür ist, diesen Wahlkampf zu führen, die amerikanische Bevölkerung von sich zu überzeugen und das Land vor einem autoritären Möchtegern-Diktator zu bewahren. Fester Bestandteil dieser Rolle als Kandidat, nicht als Präsident – der wichtigste Bestandteil dieser Rolle ist, das öffentlich überzeugend zu kommunizieren. Und das ist ihm am Donnerstag nicht gelungen. 

Was sagen die Zuschauer*innen?

Die Umfragen sind recht eindeutig: Joe Biden hat die Debatte verloren. Eine Umfrage von Morning-Consult zeigt, dass 47 % der Demokraten wollen, dass Biden nicht kandidiert, sowie 59 % der Independents und 74 % der Republikaner. Mit Blick auf die Demokraten erhöht sich die Zahl derjenigen, die wollen, dass Biden das Rennen verlässt auf 50%, wenn man nur diejenigen fragt, die das TV-Duell selbst gesehen haben. 

78% der Befragten der Morning-Consult Umfrage, die das Duell gesehen hatten, hielten Biden für zu alt (kurz vor der Debatte waren es noch 64% aller Wähler*innen). Auch die Zahl derer, die Trump für zu alt hielten, ist leicht angestiegen – von 42 vor dem TV-Duell auf jetzt 45 %. In einer Ipsos-Umfrage heißt es:

“Vor der Debatte bewerteten 27 % der wahrscheinlichen Wähler Biden als gut oder ausgezeichnet, wenn es um seine geistige Eignung für das Präsidentenamt ging. Nach der Debatte sank dieser Wert auf 20 %. Am stärksten war der Rückgang bei den Demokraten,

Eine YouGov-Umfrage, die in der Nacht von Donnerstag auf Freitag durchgeführt wurde, ergab außerdem, dass 30 % der Demokraten einen neuen Kandidaten für die Nachfolge Bidens wünschen, während nur 13 % der Republikaner sagten, die GOP solle einen neuen Kandidaten anstelle von Trump nominieren. Eine Umfrage von CBS News zeigt eine gespaltene Partei – 45% der als Demokraten registrierten Wähler*innen sind der Meinung, Biden solle von der Nominierung zurücktreten, 55% sagen, er solle weitermachen.

Wie reagieren die Demokraten?

Die Führungsriege der Demokratischen Partei mahnt zu Ruhe und Geschlossenheit – doch Bidens Wahlkampfteam leistete sich weitere Patzer, deren Außenwirkung nicht gerade positiv ist. In einem Spendenaufruf per Mail schrieb der stellvertretende Wahlkampfchef Robert Flaherty

“Wenn es Ihnen wie mir geht, haben Sie nach Donnerstag viele SMS oder Anrufe von Leuten erhalten, die nach dem Stand des Rennens gefragt haben. Vielleicht waren es Ihre panische Tante, Ihr MAGA-Onkel oder selbstgefällige Podcaster.”

Der Seitenhieb auf “selbstgefällige Podcaster” dürfte sich an die ehemaligen Obama-Berater Jon Lovett, Tommy Vietor, Ben Rhodes und Jon Favreau gerichtet haben, im übrigen allesamt Biden-Unterstützer, die seit Monaten über ihr Podcast-Imperium “Crooked Media” für Demokraten und Biden Wahlkampf machen und zur Wählerregistrierung auffordern. Die Podcaster hatten in ihrem Debatten-Recap ein realistisches, ernüchtertes Fazit nach der Debatte gezogen – dass es ein entsetzlich schlechter Auftritt von Biden gewesen sei und dass die Partei zumindest eine ernste Auseinandersetzung darüber führen müsse, ob er noch der richtige Kandidat sei, wenn man die Bedrohung für die amerikanische Demokratie durch Trump ernst nehme.

Flaherty legte in seiner offiziellen Fundraising-E-Mail von Bidens Team noch einmal nach: “Die Bettnässer-Brigade fordert, dass Joe Biden ‘aussteigen’ soll. Das ist der bestmögliche Weg für Donald Trump zu gewinnen und für uns zu verlieren.” Solche Entgleisungen vom offiziellen Wahlkampfteam dürften wenig hilfreich darin sein, denjenigen Demokraten, die sich um Bidens Fitness sorgen, das Gefühl zu geben, sie würden gehört. Favreau, einer der Hosts, twitterte: 

“Ich würde einfach sagen, dass es nicht die effektivste Strategie ist, fast die Hälfte der Wähler deiner Partei als ‘Bettnässer’ zu bezeichnen, um ihre Bedenken gegenüber Ihrem Kandidaten zu zerstreuen und sie zur Wahlurne zu kriegen.”

Welche Szenarien sind möglich?

Wenn ein Präsident stirbt, rückt sein*e Vizepräsident*in automatisch nach. Bei Kandidaten gibt es diesen Automatismus nicht, deswegen gibt es folgende Szenarien:

1. Biden hat bereits genug Delegiertenstimmen gesammelt, um sich die Nominierung zu sichern. Die Delegierten, die er schon gewonnen hat, sind nach vielen Bundesstaaten sogar dazu verpflichtet, bei der ersten Abstimmungsrunde auf dem Parteitag für den Sieger in ihrem Bundesstaat zu stimmen – sie können also nicht einfach ihre Stimme an jemand anderen geben. Selbst wenn ihn also jemand herausfordert, könnte diese Person nicht die nötigen Delegierten gewinnen. Damit liegt die Entscheidung bei Biden, ob er von der Kandidatur zurücktreten will – das scheint jedoch bisher sehr unwahrscheinlich.  

Sollte Biden doch zurücktreten, gibt es zwei Optionen: 

2. a) Biden tritt zurück und verkündet seine Unterstützung für Kamala Harris, seine Vizepräsidentin. Dann könnte immer noch jemand anderes gegen sie antreten – doch Bidens Delegierte sind von seinem Wahlkampfteam ausgewählt, es wäre also wahrscheinlich, dass sie in diesem Fall seinem Wunsch folgen würden und mehrheitlich im ersten Wahlgang Harris unterstützen würden, erklärt der frühere Obama-Berater Ben Rhodes. Harris wird auf dem Parteitag nominiert, und es gäbe die Möglichkeit für eine Harris/Trump Debatte im Herbst.

2. b) Biden tritt zurück und äußert keine Unterstützung für eine*n Nachfolger*in. Dann bieten sich diverse Kandidat*innen an, betreiben Wahlkampf und treffen sich auf dem Parteitag – es ist zwar möglich, dass sich vorher eine Einigung abzeichnet, aufgrund der Größe des potentiellen Kandidat*innenfeldes wäre das aber eher unwahrscheinlich. Dann kommt es zu einer “brokered convention”: Einem Parteitag, bei dem es keine Mehrheit für ein*e Kandidat*in gibt. Wenn im ersten Wahlgang keine Einigung erzielt wird, dürfen im zweiten Wahlgang auch die 749 sogenannten “Superdelegierten” (vor allem hochrangige Parteimitglieder, sowie alle Demokraten im Kongress) mitwählen.

Im zweiten Wahlgang dürfen die regulären Delegierten ihre Stimme außerdem frei vergeben, um zu ermöglichen, dass es zu einer Einigung kommt. Die Wahl wird so lange wiederholt, bis ein* Kandidat*in eine Mehrzahl der Delegierten hinter sich versammeln kann. Dieser Vorgang war in der einer Episode der Serie “The West Wing” zu sehen, weshalb diese Option von Seiten derer, die wollen, dass Biden der Kandidat bleibt, “Aaron Sorkin Fan Fiction” genannt wird (Sorkin war der Erfinder der Serie).

Wenn Biden seine Kandidatur zurückzieht

3. Wenn Biden seine Kandidatur nach dem Parteitag zurückzieht, entscheidet die Versammlung des DNC (Democratic National Committee), die aus etwa 500 Mitgliedern besteht. Auch hier reicht eine Mehrheit, um jemand anderen zu nominieren. Auch hier gibt es ein weiteres Problem: Einige Bundesstaaten haben ihre Wahlzettel dann schon gedruckt, was wiederum rechtliche Fragen aufwirft. Außerdem hat das DNC vor, bereits vor dem eigentlichen Parteitag eine digitale Abstimmung abzuhalten, damit Biden es vor der Deadline in Ohio noch auf den Wahlzettel schaffen kann – das genaue Datum steht noch nicht fest. 

Die Demokratischen Wähler*innen, die fordern, dass zumindest eine parteiinterne Debatte darüber geführt wird, ob ein Austausch möglich wäre – darunter die “Pod Save America” Crew und die Hosts von “Straight White American Jesus”, sind sich in einem weiteren Punkt einig: Wenn Biden die Nominierung gewinnt, unterstützen sie ihn, weil das wichtigste ist, Donald Trump zu verhindern.

Verschiedene Dinge können gleichzeitig wahr sein: Donald Trump hätte nie der Kandidat der GOP sein dürfen. Seine Partei wird keinen Finger rühren, um zu verhindern, dass er die Nominierung erhält. Es ist zutreffend, dass Bidens Performance am Donnerstag berechtigte Zweifel daran geweckt hat, ob er der effektivste Kandidat in dieser so schicksalsträchtigen Wahl ist. Das bedeutet nicht, dass ein Kandidatenwechsel die automatisch richtige Lösung ist – aber wer Trump verhindern will, muss sich nach Donnerstag damit auseinandersetzen, dass Joe Biden nicht in der Lage war, in dieser Debatte – die zu Bedingungen stattfand, denen er und sein Team zugestimmt hatten – Trump zu besiegen.

Trump: ein Möchtegern-Diktator, ein verurteilter Straftäter

Dabei ist Trump eigentlich der einfachste Gegner, den ein Demokratischer Präsident sich wünschen kann. Er ist ein Möchtegern-Diktator, ein verurteilter Straftäter, der einen Staatsstreich angezettelt hat, mit einer fürchterlichen Geschichte und politischen Positionen, die bei einer Mehrheit der US-Bevölkerung unbeliebt sind. Dass Biden so schwach gegen ihn aussah, ist, gelinde gesagt, eine Katastrophe. 

Demokraten werfen Republikanern – zu Recht – vor, dass sie nichts von ihrem Kandidaten abbringen kann, egal was er tut.

Es ist das eine, Risiken abzuwägen, die ein Demokratischer Kandidatenwechsel mit sich bringen würde und sich dagegen zu entscheiden. Es ist etwas anderes, reflexhaft den Teil der eigenen Wähler*innen, die von Bidens schwacher Performance am Donnerstag schockiert waren und sich berechtigterweise sorgen, ob Biden der richtige Kandidat ist, der die US-Demokratie ein weiteres Mal vor Trump retten kann, so rüde zu behandeln.

Aber es ist in der Tat gut möglich, dass es zu spät ist, Biden als Kandidaten noch auszuwechseln – auch, weil das neben allen politischen, juristischen und organisatorischen Schwierigkeiten auch diverse Spender*innen verärgern und den Eindruck erwecken könnte, dass die Partei im Chaos versinke. All das sind gute Gründe, an Biden als Kandidat festzuhalten – ob das die richtige Entscheidung ist, wird sich zeigen. Doch die drohenden potentiellen Folgen einer falschen Entscheidung sind zu schwer, um sie reflexhaft zu fällen.  

Artikelbild: Below the Sky

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