Europawahl 2024: Was die Zivilgesellschaft fordert

Ein paar neue Gesetze, starke Durchsetzung von alten: Die Forderungen zivilgesellschaftlicher Organisationen decken ein weites Feld ab. Überwachung soll eingeschränkt, die EU-Institutionen transparenter werden. Außerdem geht es um Monopole, öffentliche digitale Infrastruktur und den Schutz von Verbraucher:innen.

Wahlunterlagen zur Europawahl 2024 mit einem Wahlkreuz und der Flagge der Europäischen Union
Nächste Woche können alle zur Europawahl gehen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Bihlmayerfotografie

Es ist Wahlkampf in Europa. In Brüssel heißt das: Man kann sich nicht retten vor Stapeln an Papier, in denen Hinz, Kunz und ihre Großtante ihre Forderungen für die nächste EU-Kommission auflisten. Die Zementindustrie, die Gewerkschaft der Beamten, das Europäische Netzwerk von Kulturzentren – alle haben mehr oder weniger ausführliche Ideen, die sie unbedingt gehört haben wollen.

Dabei dominiert die Industrie. Meta, Microsoft, Apple und Google geben in Brüssel mit am meisten für ihre Lobbyarbeit aus, alle mehrere Millionen im Jahr. Dieses Geld finanziert die Menschen und Werbekampagnen, die die Forderungen dieser Unternehmen verbreiten. Dagegen kommt die digitale Zivilgesellschaft kaum an. Wir haben uns deshalb ihre Forderungen für die Wahl angeschaut und fassen einige davon hier zusammen.

Gesetze nachbessern, Gesetze durchsetzen

Da gibt es etwa EDRi, das EU-Netzwerk der digitalen Zivilgesellschaft. Sein Programm fordert einen besseren Schutz vor biometrischer Überwachung und Emotionserkennung. Die lang diskutierte KI-Verordnung der EU hat diese Technologien letztlich nicht völlig verboten. Die Datenschutzgrundverordnung will EDRi wirksamer machen, indem nationale Verfahren harmonisiert und Datenschutzbehörden besser ausgestattet werden. Hier arbeitet die EU gerade an einer Nachbesserung.

Das Programm fordert auch mehr Transparenz bei EU-Institutionen. Dafür soll das Recht auf den Zugang zu Informationen gestärkt und die notorisch intransparenten Trilogverhandlungen reformiert werden. Entwicklung, Handel und Benutzung von Trojanern und Sicherheitslücken sollen verboten werden.

EDRi will den Stromverbrauch von Datenzentren in der EU senken und so das Klima schützen. Elektronische Produkte sollen recyclebar gemacht und auch mit alter Software genutzt werden können. Arbeiter:innen sollen auf Plattformen als Angestellte anerkannt und dabei unterstützt werden, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

Monopole aufspalten

Für die beiden neuen Gesetze zu digitalen Diensten und zu digitalen Märkten fordert EDRi eine wirksame Durchsetzung. Die dafür zuständigen Beamt:innen sollen angemessen finanziert werden. Außerdem soll die Kommission die Zivilgesellschaft und unabhängige Expert:innen bei der Durchsetzung einbeziehen.

Auch Article 19 interessiert sich für die beiden Digitalgesetze. Die NGO beschäftigt sich mit Meinungsfreiheit, dafür ist der digitale Raum sehr wichtig. Aber: Die Machtkonzentration bei den sozialen Medien habe kritische Ausmaße erreicht, heißt es in den Forderungen von Article 19.

Die EU sollte deshalb das Gesetz zu digitalen Märkten nutzen, um diesen Markt so weit wie möglich wieder zu öffnen und so Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, wo sie sich im Internet äußern wollen. Mit der Macht großer Monopole hat sich vor einigen Monaten eine ganze Gruppe an NGOs beschäftigt und ebenfalls Empfehlungen vorgelegt.

Urheberrecht reformieren

Es gibt eine Menge Institutionen, die Wissen an Menschen weitergeben sollen: Universitäten, Schulen, Bibliotheken. Online geraten sie dabei aber an ihre Grenzen, findet die Communia Assocation. Schuld daran: Der „komplexe und fragmentierte“ Stand der europäischen Regeln zum Urheberrecht. Denn diese Institutionen arbeiten oft mit Werken wie Büchern oder Bildern, deren Status schwammig ist.

Die Gruppe fordert deshalb ein Gesetz zu digitalem Wissen. Das soll das Urheberrecht umfassend reformieren und so Wissensinstitutionen mehr Freiräume und Sicherheit geben. Alle Werke und Daten, die öffentliche Einrichtungen produzieren, sollen automatisch urheberrechtsfrei sein. Andere Werke sollen nicht mehr so lang und nicht mehr automatisch geschützt sein. Und wenn Unternehmen die Gemeinfreiheit einschränken, ohne das zu dürfen, sollen sie dafür bestraft werden.

Öffentliche digitale Infrastruktur aufbauen

Diese Forderungen unterstützt auch Open Future. Der Think Tank mit Sitz in Amsterdam fordert von der EU aber mehr als ein Zurückschneiden der Auswüchse des Urheberrechts: Die EU solle sich massiv in digitale Infrastruktur einbringen. Dabei geht es Open Future um soziale Medien, um Forschung und um Finanzierung.

Öffentliche Einrichtungen sollen etwa dazu verpflichtet werden, im Fediverse präsent zu sein. Einige von ihnen, etwa öffentlich-rechtliche Medien oder Bildungseinrichtungen, sollen Server einrichten müssen, auf denen sich Bürger:innen Accounts erstellen können. Damit sollen die Organisationen und Bürger:innen unabhängig von US-Plattformen kommunizieren können. Um das zu unterstützen, soll die EU bei der anstehenden Überarbeitung des Digitale-Märkte-Gesetzes in zwei Jahren dessen Regeln zu Interoperabilität auf soziale Medien ausdehnen.

Der offene Zugang zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist eine alte Forderung. Die neuen Verträge, die Universitäten in den letzten Jahren mit den großen Verlagen unterzeichnet haben, gehen nicht weit genug. Das hat sogar der Rat der EU erkannt und die Mitgliedstaaten aufgefordert, ein neues, nicht profitgetriebenes Modell aufzubauen. Hier soll die EU dafür sorgen, dass Wissenschaftler:innen ihre Forschungsergebnisse immer auch auf offenen Plattformen teilen dürfen, fordert Open Future.

Diese Bestrebungen brauchen Geld, und dieses Geld soll ein neuer Fonds für öffentliche digitale Infrastruktur schaffen. Der soll auf bestehenden Initiativen der EU, von Frankreich und Deutschland aufbauen, aber mit einem viel größeren Budget ausgestattet werden: Open Future fordert mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr. Dieses Geld soll dann die Entwicklung quelloffener Software mit offenen Standards unterstützen.

Verbraucher:innen schützen

Auch der Europäische Verbraucherverband BEUC will ein neues Gesetz, und zwar ein Gesetz zu digitaler Fairness. Das soll verschiedene Punkte angehen und so den Verbraucherschutz ins digitale Zeitalter heben: Täuschende Designs und Dark Patterns sollen umfassender verboten werden, ebenso wie die Personalisierung von Preisen. Das Gesetz soll auch Probleme beim Influencer-Marketing beheben, etwa durch mehr Transparenz für Verbraucher:innen.

Der Verband will die ständige Überwachung zu Werbezwecken verbieten. Außerdem soll die EU-Kommission einen neuen Vorschlag für eine ePrivacy-Verordnung einreichen. Das Gesetz soll eigentlich genau diesen Bereich regeln, ist aber gnadenlos veraltet. Eine Überarbeitung in Form einer Verordnung hängt seit Jahren fest, weil die Mitgliedstaaten sie blockieren. Die nächste Kommission könnte hier neu anfangen.

Auch die KI-Haftungsrichtlinie, an der die EU gerade noch werkelt, soll bald fertig gestellt werden. Die wird zwar nichts gegen biometrische Überwachung oder gegen fehlerbehaftete „Emotionserkennung“ tun – aber zumindest wissen Verbraucher:innen damit, wen sie verklagen müssen, wenn ein KI-System ihnen schadet.


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