Digital Services Act: So steht es um den Forschungszugang zu X, Facebook & Co.

Der Einfluss sozialer Medien auf Politik und Gesellschaft steigt, doch die Forschung kann kaum mithalten. Daran sind auch die Online-Dienste schuld, die sich ungern in die Karten schauen lassen. Dieses Problem soll der Digital Services Act entschärfen, indem er den Zugang zu Daten erleichtern soll. Doch das Verfahren ist komplex – und wird kaum vor den Bundestagswahlen fertig.

Was spielt sich wirklich im Internet ab? Die Frage könnte die Wissenschaft besser beantworten, wenn sie Zugang zu den Datenbergen großer Online-Dienste hätte. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / NurPhoto

Wie viel hat das von Elon Musk zur rechten Propagandamaschine umgebaute soziale Netzwerk X zum Wahlsieg Donald Trumps beigetragen? Welchen Einfluss hatte die Entscheidung von Youtube, Desinformation wieder ungesehen durchzuwinken? Ist die AfD wirklich die Social-Media-Partei, wie manche befürchten?

Viele solcher Fragen lassen sich oft nur ungenau beantworten. Eines ist dabei gewiss: Ohne Datenmaterial bleibt es meist beim Stochern im Nebel. So tief verwoben soziale Netzwerke und andere Online-Dienste in unsere Gesellschaften auch scheinen, sind sie doch ein verhältnismäßig junges und unvollständig erforschtes Phänomen.

Daran sind auch die Anbieter schuld, nur ungern lassen sie sich in die Karten schauen. „Der Datenzugang wird derzeit insgesamt schlechter“, sagt Oliver Marsh von AlgorithmWatch. Bislang konnten die Anbieter Willkür walten lassen: Etwa drehte Facebook das Analysetool Crowdtangle überraschend ab, während X die Nutzung von Schnittstellen unbezahlbar teuer machte. So manche hauseigene Studie über die Schädlichkeit ihrer Produkte landete erst mit Hilfe von Whistleblower:innen in der Öffentlichkeit.

Digital Services Act soll Öffnung bringen

Genau da setzt der Digital Services Act (DSA) an. Das EU-Gesetz schreibt großen Online-Diensten wie Facebook, X oder Amazon vor, dass sie Forscher:innen Zugang zu ihren Datenschätzen gewähren müssen. Die Details der Zugangsbedingungen werden derzeit abschließend geklärt: Jüngst hat die EU-Kommission ihren Entwurf eines sogenannten delegierten Rechtsaktes vorgelegt, der das erledigen soll.

Als zentrale Drehscheibe soll ein DSA-Datenzugangsportal interessierte Forscher:innen, Online-Dienste und die nationalen Koordinatoren für digitale Dienste (DSC, Digital Services Coordinator) verknüpfen. Darüber sollen Forschende, welche die Kriterien erfüllen und vom jeweiligen DSC zugelassen worden sind, Informationen austauschen, Updates einholen sowie Anträge stellen können – auch für den Zugang zu besonders begehrten, nicht-öffentlichen Daten.

Schon der DSA selbst unterscheidet zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Daten. Für letztere gelten besonders strenge Zugangskriterien, die Hürden für den Zugang zu öffentlichen Daten sind etwas niedriger gelegt. Das hatte Sorgen geweckt, dass etwa Nichtregierungsorganisationen oder Journalist:innen nur bedingt vom neuen DSA-Datenzugang profitieren könnten. Beispielsweise seien demographische Daten besonders wichtig, um bestimmte Phänomene erkennen und einschätzen zu können, schrieb die Investigativjournalistin Julia Angwin im Vorfeld an die EU-Kommission.

Zugang auch für Journalist:innen?

Wie offen der Zugang für Akteure ausfallen wird, die nicht aus dem klassischen institutionellen Forschungsbereich kommen, wird maßgeblich von den DSCs abhängen, sagt Oliver Marsh. Diese würden entscheiden, ob die Sicherheits- und Unabhängigkeitsanforderungen der Organisation für das jeweilige Projekt angemessen sind. „Theoretisch ist diese Flexibilität eine sehr gute Sache, da sie bestimmte Organisationen nicht ausschließt“, sagt Marsh. „Daher sollten NGOs wie wir in der Lage sein, erfolgreich Daten zu erhalten, wenn wir zeigen können, dass unsere Sicherheitsanforderungen für das jeweilige Projekt, das wir vorschlagen, angemessen sind.“

Ein Schlupfloch für einen erweiterten Zugang könnte der Erwägungsgrund 9 im Entwurf des Rechtsakts sein, sagt Jakob Ohme vom Weizenbaum-Institut. Dieser weist auf die Verbindung von Personen zu Forschungsinstitutionen hin, die bei Antragstellungen zu überprüfen wären. „Das bedeutet, dass über Affiliationen bestimmte Zugänge für nicht-akademische Forscher möglich wären“, sagt Ohme. Trotzdem bleibt der Forscher skeptisch: Bei der weiteren Konsultation des Entwurfs würden er und seine Kolleg:innen aus der Wissenschaft darauf hinweisen, „dass wir uns hier mehr wünschen würden, aber es scheint schwer zu sein, das auszuweiten.“

Relevant wird zudem sein, wie das verlangte Datenmaterial ausgeliefert wird. Hier sollte der Entwurf laut AlgorithmWatch ergänzt werden und klarstellen, dass die Interessen der Antragsteller ebenso berücksichtigt werden wie die Interessen der großen Anbieter. „Das ist aus unserer Sicht nötig, damit Plattformen von Forscherinnen und Forschern nicht verlangen können, komplizierte technische Schnittstellen zu verwenden. Denn dies würde für Forschende, die nicht hochgradig technologisch spezialisiert sind, eine unüberwindbare Hürde darstellen“, sagt Marsh.

Mechanismen werfen Fragen auf

Mehr Klarheit brauche es auch bei den Streitbeilegungs- und Beratungsmechanismen, die Marsh grundsätzlich begrüßt. Obwohl etwa festgelegt sei, dass große Anbieter Streitigkeiten mit DSCs einleiten können, sei nicht klar, ob die Antragsstellenden dies auch können. „Sollte dies nicht so sein, wäre das aus unserer Sicht eine gravierende Lücke“, sagt Marsh.

Erst recht gilt das für den vorgeschlagenen unabhängigen Beratungsmechanismus („Independent advisory mechanisms“). Diesen sollen DSCs gegebenenfalls aktivieren, bevor sie Anträge genehmigen. Zwar widmet der Kommissionsentwurf dem einen eigenen Artikel, viele Fragen bleiben jedoch offen. So gebe es keine Antworten darauf, in welcher Struktur und welchem Aufgabenfeld dieser Mechanismus etabliert oder eingesetzt werden soll, sagt Ohme. Auch wenn hinter den Kulissen dafür konkretere Pläne existieren sollen, helfe der Entwurf des Rechtsaktes hier „wenig weiter“, so der Forscher.

Obwohl es sich um „einen ersten guten Aufschlag“ handle, sagt Ohme, sei seine Hauptsorge, dass die Prozesse lange dauern werden. „Sollten Datenzugänge ab Antragstellung unter drei Monaten realisiert werden, wäre das überraschend“. Ohme, der sich gemeinsam mit Ulrike Klinger eingehend mit dem Forschungsdatenzugang beschäftigt hat, geht nicht davon aus, dass alles rechtzeitig vor der Bundestagswahl im Februar fertig sein wird. Wichtig sei deswegen, dass die Verfahren der EU-Kommission gegen Meta und X, was den öffentlichen Datenzugang angeht, „schnell und effektiv vorangetrieben“ werden.

Unterfinanzierte DSCs

In Deutschland lauert zudem noch ein weiteres Problem: Der bei der Bundesnetzagentur sitzende DSC ist derzeit massiv unterfinanziert und unterbesetzt. Eine Besserung ist kurzfristig nicht in Sicht, da sich die inzwischen zerbrochene Ampelkoalition auf keinen Haushalt für das Jahr 2025 einigen konnte. Selbst die besten EU-Regeln könnten das Nadelöhr DSC nicht beseitigen, das letztlich Forschungsanträge entgegennehmen, prüfen und genehmigen muss.

Das Problem könnte sich noch ausweiten, sollte eine Koordination mit anderen DSCs, vor allem mit Irland, dem Sitzland vieler Online-Dienste in Europa, notwendig sein. Generell werde sich zeigen müssen, wie gut die Kommunikation und Koordination zwischen den DSCs in der Praxis klappt, sagt Julian Jaursch von der Denkfabrik Interface. Und damit der Datenzugang in der Praxis funktioniere, brauchen die DSCs – gerade der in Irland – „ausreichend Ressourcen und Expertise, um mit den Anträgen umzugehen“.


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