Delphi und die Macht des Orakels – Begegnungen mit dem Schicksal im Zentrum der Welt

Delphi am 2.455 Meter hohen Parnass war in der Antike einer der wichtigsten Orte. Standen etwa bei den Griechen wichtige Entscheidungen an, so befragten sie das Orakel von Delphi, das aus Literatur, Philosophie und Geschichte in der ganzen Welt bekannt ist. Von Frank Schwede

Laut der griechischen Mythologie sandte Zeus zwei Adler aus, die die Welt in die entgegengesetzte Richtung umkreisten. Wo sie sich begegneten, sollte der Mittelpunkt der Erde sein. Das geschah über den schroffen Felswänden von Delphi.

Seit diesem Tag kennzeichnet im unterirdischen Allerheiligsten des Apollo-Tempels ein klobiger, zylinderförmiger Stein namens Omphalos, dass dieser Ort der Nabel der Welt ist. Seit diesem Tag rankt ein dichtes Geflecht uralter Mythen um diesen geheimnisvollen Ort.

Als Bote des obersten Gottes Zeus, der der Menschheit den Willen des unsterblichen Gottes verkündete, wurde der Adler selbst zum Symbol für die Unsterblichkeit durch Auferstehung, Erlösung und ewiges Leben.

Ein weiterer Mythos berichtet von Erdmutter Gaia, die sich mit dem Schlamm, der nach dem Ende des Goldenen Zeitalters von der Welt übrig blieb, vereinigt;  – woraufhin sie die geflügelte Schlange Python gebar, die oft auch als Drache dargestellt wird.

Das Goldene Zeitalter gilt bis heute als ideale Lebensgrundlage der Menschheit. Eine Welt, in der Kriege und Verbrechen ein Fremdwort sind, ein Leben im Einklang mit der Natur. Kritiker hingegen halten es als fortschritts- und kulturfeindlich.

Gaia ist in der griechischen Mythologie die personifizierte Erde und eine der ersten Gottheiten. Ihr Name ist indogermanischen Ursprungs und bedeutet möglicherweise die Gebärin.

Die Griechen verehrten Gaia als Muttergottheit, als Gebärin und Ernährerin alles Lebenden und auch als Todesgottheit, die den Menschen nach dessen Tod wieder in den Schoß aufnimmt. (Antarktis: Hinter der Eiswand – antike Landkarten)

Python verfügte über hellseherische Fähigkeiten und repräsentierte als Drache die Erde selbst, als die Urkraft, die den jährlichen Vegetationszyklus hervorbringt. In dieser Eigenschaft wurde sie zum Symbol der Wiedergeburt, ebenso wie die Schlange, die ihre Haut wechselt.

Drache und Schlange sind beide im griechischen Wort „drakon“ vereint und symbolisieren die Urkraft der Erde, den ständigen Wechsel zwischen Wiedergeburt, Tod und Erneuerung.

Hera, die Frau von Zeus, war eine Enkelin Gaias. Gaia prophezeite ihrer eifersüchtigen Enkelin, dass Leto, ihre Nebenbuhlerin und eine der Geliebten Zeus, dereinst Zwillinge gebären würden, die größer und stärker als alle ihre Kinder sein würden.

Sie schickte Python, um Leto zu verschlingen, noch bevor diese ihre Kinder zur Welt bringen konnte. Die Intrige wurde von Zeus verhindert, und Leto gebar Artemis und Apollon.

Apollon, lateinisch Apollo, ist in der griechischen und römischen Mythologie der Gott des Lichts, des Frühlings, der sittlichen Reinheit und Mäßigung  sowie der Weissagung und der Künste, insbesondere der Musik, der Dichtkunst und des Gesangs.

Außerdem ist er ein Gott der Heilkunst und der Bogenschützen. Er war es, der laut Homer´s Ilias, aus Rache wegen der Schändung seines Tempels, den Pfeil des Paris so lenkte, das Achilles an seiner einzigen verwundbaren Stelle, der Ferse, tödlich getroffen wurde. Bis heute gilt Apollo als Gott der Schönheit. Das Heiligtum in Delphi war ihm geweiht.

Einer der ersten Taten Apollos war die Rache an Python für den Anschlag auf seine Mutter. Er stellte sich bei Delphi gegen Python und tötete den Drachen. Durch das vergossene Blut Pythons übertrugen sich dessen hellseherische Fähigkeiten auf den Ort.

 

Dieser Akt ist in etwa gleichbedeutend mit der christlichen Eucharistie, in der das Blut Christi den Trinkenden transformiert. Es ersetzt auf diese Weise die Verehrung einer allbeseelenden Naturreligion mit einem personifizierten Gott der Heilung, Reinigung und des Schutzes.

Die Demonstration der Stärke beendete die personifizierte Verehrung der allumfassenden Natur und es begann das Zeitalter der differenzierten und hierarchisch strukturierten Götterwelt, die in der Regel einem Obergott unterstellt war. Ein Zustand, der bis in unsere Tage anhält, nur das Götter heute als Eliten bezeichnet werden.

Delphin war der Nabel der Welt und ein Ort der Weissagung. Die Menschen strömten schon bald in Scharen zum Tempel. Einer alten Überlieferung zufolge sollen am Eingang des Tempels von Delphi die Inschriften  Erkenne dich selbst  und  Nichts im Übermaß  angebracht gewesen sein.

Hinter der ersten könnte sich die wahre Absicht des Kultes verbergen  – nämlich die Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Problemen, die zuweilen jeden plagen, die aber in der Regel von einer falschen Lebens- und Sichtweisen zeugen. Der Philosoph Arthur Schopenhauer schrieb einmal dazu:

„Nur wenn die eigene Individualität in ihren Vorlieben und Talenten, aber auch in den Defiziten transparent wird, besteht die Möglichkeit, das Leben gezielt gestalten zu können.“

Die zweite Inschrift Alles in Maßen mahnt indes zur Bescheidenheit. Eine Tugend, die der modernen im Überfluss lebenden Gesellschaft gut tun würde. Das rechte Maß, das vielen Menschen leider abhanden gekommen ist, verkörpert das Grundideal ´griechischen Denkens und umfasst nahezu sämtliche gesellschaftliche Bereiche – von der Musik über die Mathematik bis hin zur Medizin.

Ob auch die dritte apollonische Weisheit  Du bist  den Eingang zum Tempel zierte, ist nicht bekannt. Dieser Spruch richtete sich ursprünglich nicht an einen selbst, sondern er war vielmehr als eine Verehrung an Apollo, beziehungsweise der Göttlichkeit im Allgemeinen zu verstehen.  Erst viel später wurde er als Ausdruck der Erkenntnis und Anerkennung der eigenen Existenz umgedeutet.

Die Priesterin sprach mit Vorliebe in Rätseln

Über Jahrhunderte hinweg suchten nicht nur einfache Bürger, sondern auch Könige aus der ganzen Welt Rat im Tempel von Apollo, gelegen zwischen den steilen Hängen nördlich des Golfs von Korinth.

Zunächst durfte nur einmal im Jahr das Orakel befragt werden. Später wurden die Sitzungen auf mehrere Tage im Jahr ausgeweitet. Bevor das Orakel sprach, bedurfte es eines Omens.

Ein Oberpriester besprengte eine junge Ziege mit eiskaltem Wasser. Blieb das Tier ruhig, fiel das Orakel für diesen Tag aus und die Ratsuchenden wurden wieder nachhause geschickt und mussten einen ganzen Monat lang warten. Zuckte die Ziege hingegen erschrocken zusammen, wurde sie geopfert und auf einem Altar verbrannt.

Bevor die Ratsuchenden die Weissagung der Priesterin Pythia in Anspruch nehmen konnten, begab sich diese zunächst zur  Quelle der Nymphe Kastalia, wo sie nackt ein Bad zur äußeren Reinigung nahm.

Aus einer zweiten Quelle trank sie einige Schlucke des heiligen Wassers zwecks der inneren Reinigung. Eine Sage sagt: Trinkt man das Wasser aus der Quelle von Kastalia, verleiht die Quelle einem die Dichtergabe.

In Begleitung von zwei Oberpriestern und Mitgliedern des Fünfmännerrates ging Pythia anschließend in den Tempel Apollos. Sie wurde vor dem Altar der Hestia, die Göttin des Familien- und Staatsherdes, geführt, wo aus einer Erdspalte berauschenden Dämpfe aufstiegen, sodass sie ihre Weissagungen in einer Art Trance gemacht hatte.

Pythia sprach mit Vorliebe in Rätseln und musste von einem Priester übersetzt werden, was der Deutung natürlich viel Spielraum ließ und höchstwahrscheinlich auch zu politischen Zwecken missbraucht wurde.

Die Orakelsprüche hatten eine wichtige Bedeutung für das Leben der Griechen. Oft entschieden sie sogar über Krieg und Frieden. Ein berühmter Orakelspruch ist mit der Geschichte von Ödipus verbunden.

Nachdem sein Vater Laios das Orakel befragt hat, verstößt er Ödipus. Später heiratet er, ohne es zu wissen, seine Mutter. Das mit Abstand prominenteste Opfer Pythias war der steinreiche Lyderkönig Krösus.

Er wollte wissen, ob er gegen die Perser in den Krieg ziehen solle. Pythia hatte ihm prophezeit, dass er ein großes Reich zerstören werde. Allerdings wusste Krösus zu dieser Stunde noch nicht, dass es sein eigenes war, das unterging. Sodann zog er gegen die Perser in den Krieg.

Die Ratschläge des Orakels waren nicht nur missverständlich und ziemlich düster, häufig waren sie auch moralisch nicht einwandfrei. Thyestes, König von Mykene und Onkel des berühmten Agamemnon, verließ Delphi mit der skandalösen Weisung, mit seiner eigenen Tochter einen Sohn zu zeugen.

Als dies geschah, war es Nacht und die junge Frau konnte ihren Peiniger nicht erkennen. Erst viele Jahre später erfuhr sie, wer ihr Gewalt antat, woraufhin sie Selbstmord beging.

Bis heute ein Mysterium

Bis heute ist das Orakel von Delphi ein Mysterium. Eins von vielen der griechischen Mythologie. Schon der griechische Schriftsteller Plutarch, selbst ein Oberpriester, war ergriffen von Pythia, die als einzige Frau Zugang zum Tempel Apollos hatte.

In vielen Quellen wird behauptet, dass sich Pythia sich in einem Trance-Zustand befand, während sie das Orakel sprach, was dem göttlichen Gas geschuldet war, dass aus einer Erdspalte drang, vor der Pythia auf einem Dreifuß hockte.

Interessant ist, dass bei den Ausgrabungen des Apollo-Tempels gegen Ende des 19. Jahrhunderts von den Archäologen weder ein Riss in der Erde noch irgendwelche Quellen entdeckt wurden, aus denen berauschende Gase austraten.

Deshalb vermuten viele Altertumsforscher noch heute, dass Pythia unter dem Einfluss von Drogen stand, die sie in einen tranceähnlichen Bewusstheitszustand versetzt hatten.

Einer, der sich ausgiebig mit dem Geheimnis von Delphi beschäftigt hat, ist der Geologe Jelle de Boer von der Wesleyan University in Middletown im US Bundesstaat Connecticut.

Schon vor vielen Jahren hat de Boer vermutet, dass es eine aktive geologische Bruchzone im Gebiet der Tempelanlage gibt. Anfang 2000 reiste de Boer mit einem Team aus Anthropologen und Meereskundlern in das Gebiet, um die Überreste der Tempelanlage genauer unter die Lupe zu nehmen.

Die Ergebnisse veröffentlichte de Boer 2001 in der Onlineausgabe des britischen Wissenschaftsmagazins Nature. Der Forscher fand heraus, dass es dort tatsächlich eine bis dato unentdeckte Spalte gibt, die direkt unterhalb des Tempels verläuft.

Die Bruchzone wird sowohl von aktiven als auch von ausgetrockneten Quellen unterbrochen. Gleichzeitig kreuzt die Spalte die seit langem bekannte Delphi-Verwerfung direkt unterhalb des Tempels, so de Boer in einem weiteren Bericht in der Fachzeitschrift Geology.

Das Interessante daran ist, dass an derartigen Kreuzungen die darüber liegenden Kalkschichten besonders durchlässig für Grundwasser und selbstverständlich auch für Gase sind.

 

Deshalb vermutet der Geologe, dass möglicherweise durch seismische Aktivitäten kohlenwasserstoffhaltige Dämpfe an die Oberfläche gekommen sein könnten.

Und tatsächlich entdeckten die Forscher im Nordwesten der Tempelruine eine Quelle, die Spuren von Methan und Äthylen enthält. Den Beschreibungen Plutarchs zufolge, hatten die Ausdünstungen aus dem Erdinnern unter dem Tempel einen süßlichen Geruch. Ein tiefer Lungenzug von diesem Gas kann bereits tödlich sein.

Äthylen wurde vor allem in der Antike gerne als Betäubungsmittel hergenommen. Das Gas stimuliert das zentrale Nervensystem und wirkt in kleinen Mengen euphorisierend.

Ist mit de Broers Entdeckung das Geheimnis des Orakels von Delphi gelüftet? Zumindest ein Teil. Damit ist nämlich bewiesen, dass es sowohl Gase als auch eine Quelle unterhalb der Tempelanlage gab.

Das letzte überlieferte Orakel stammt übrigens aus dem Jahr 391, als Kaiser Theodosius I. die Orakelstätte schließen lies. Die letzten Worte waren:

„Kündet dem Kaiser, gestürzt ist (die) prunkvolle Halle, Phoibas hat mich nicht mehr (sein) Haus. Auch nicht (den) weissagenden Lorbeer noch (die) sprechende Quelle; verstummt ist auch (das) redende Wasser.“

Auch wenn man sich die letzten Worte des Orakels zusammenreimen muss, ist die Traurigkeit über das Ende herauszuhören. Dennoch ist das Orakel von Delphi nicht Tod, sondern nur verstummt. Inzwischen gehört es sogar zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Quellen: PublicDomain/Frank Schwede für PRAVDA TV am 05.06.2024

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