„Big Tech muss weg!“: Weltweite Zivilgesellschaft will Tech-Riesen zerschlagen

Was tun mit der von Riesen dominierten Digitalwirtschaft? Zerschlagen und von vorne anfangen. Das fordert eine internationale Koalition von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie will an die Stelle der Monopolisten eine öffentliche Infrastruktur auf Basis quelloffener Software setzen.

Ungeordnete Klemmbausteine in verschiedenen Farben liegen auf dem Boden herum.
Einmal zerschlagen und neu aufbauen? – Public Domain Polesie Toys / Pexels

Wie würde eine Digitalwirtschaft aussehen, die nicht von großen Konzernen beherrscht wird? In der nicht Google, Amazon, Meta oder Alibaba den Ton angeben – und so gewaltige Geldreserven haben, das unklar ist, wie irgendjemand irgendwie einmal gegen sie ankommen soll?

So eine Welt könnte es geben. Aber nur, wenn die Aufsichtsbehörden in unserer Welt sich trauen, die Tech-Riesen zu zerschlagen und so den Weg zu einer dezentralen Digitalwirtschaft freizumachen. Diesen Schritt fordert eine lange Liste an zivilgesellschaftlichen Organisationen aus der ganzen Welt – aus der EU, aus Kanada, aus Bangladesch und Brasilien.

Geltende Regeln auch durchsetzen

„Wir, Menschen und Organisationen aus aller Welt, kämpfen für eine Zukunft, in der die digitale Infrastruktur, die diese Welt durchdringt, im Dienst der Menschen, der Beschäftigten und des Planeten steht“, schreiben sie in ihrem heute veröffentlichten Manifest. „Wir wissen, dass eine solche Welt möglich und wichtig ist, und zwar dringend. Doch von allein wird sie nicht entstehen.“

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen fordern deshalb Regierungen weltweit auf, ihr geltendes Wettbewerbs- und Kartellrecht strikter durchzusetzen. Damit sollen die Riesenkonzerne entflochten werden, gleichzeitig soll es verhindern, dass sich der Markt durch neue Fusionen und Übernahmen noch deutlicher auf einige wenige Unternehmen zuspitzt.

Vorschläge für Maßnahmen

„Strukturelle Trennungsmaßnahmen, um Tech-Riesen zu ‚zerschlagen‘, wurden bisher von Regierungen und Aufsichtsbehörden vernachlässigt“, schreiben die Organisationen. Solche Maßnahmen seien aber ein wesentlicher Teil der Lösung, um die Digitalwirtschaft zu öffnen.

Dabei gibt es einige interessante Vorschläge: Bisherige Übernahmen, etwa Facebooks Kauf von WhatsApp, könnten rückgängig gemacht werden; Amazons Lieferbetrieb könnte vom digitalen Marktplatz getrennt werden; und der von Google beherrschte Werbemarkt könnte aufgebrochen werden.

Die Unternehmen sollen auch dazu verpflichtet werden, ihre Angebote interoperabel zu gestalten. Damit können Nutzer:innen frei auswählen, welche Plattformen oder Anbieter sie nutzen wollen. So würden auch neue Teilnehmer:innen auf dem Markt eine Chance bekommen. Das neue Gesetz für Digitale Märkte setzt, zumindest in der EU, einige dieser Forderungen bereits um. Außerdem sollen die Tech-Unternehmen angemessen besteuert und ihre enormen Gewinne umverteilt werden, so die zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Eine Alternative braucht es auch

Die Unterzeichner:innen des Manifests wollen nicht nur die alten Unternehmen zerschlagen, sie wollen stattdessen auch ein neues, „offeneres und vielfältigeres“ Ökosystem fördern. Dazu gehört, dass Regierungen umfangreich in öffentliche Infrastruktur investieren, um eine digitale Allmende bereitzustellen.

„Die Investitionen für öffentliche digitale Infrastruktur müssen ambitioniert sein. Die frühere taiwanesische Digitalministerin Audrey Tang vertritt die Meinung, dass sie Finanzierung in der gleichen Höhe mit großen Staatsprojekten wie Straßen oder Schienen erhalten sollte“, schreiben die Organisationen. Die Regierungen sollen auch ihre Marktmacht einsetzen, um offene Alternativen zu fördern. Dafür soll das öffentliche Beschaffungswesen reformiert werden.

Zerschlagungen und öffentliche Infrastruktur seien zwei Seiten der gleichen Medaille, betonen die Organisationen. Auf der einen Seite brauche es Regulierung und Anti-Kartell-Maßnahmen, auf der anderen Seite eine digitale Industriepolitik und schlaue staatliche Investitionen. „Die Bemühungen sollten jenseits der Regulierung der Gatekeeper dahin gelenkt werden, das digitale Gatekeeping insgesamt abzuschaffen“, heißt es in ihrem Whitepaper.

Die Forderung nach digitaler öffentlicher Infrastruktur ist nicht aus der Luft gegriffen. Es gibt einige Beispiele für gut funktionierende Modelle, die privaten Anbietern Wasser abgegraben haben – vor allem aus ärmeren Ländern. Brasilien hat etwa mit Pix ein eigenes Bezahlsystem aufgebaut, dass bei einer Bevölkerung von 213 Millionen 153 Millionen Nutzer:innen hat.

EU-Parlament auf ähnlicher Linie

Diese Beispiele haben am vergangenen Dienstag auch Abgeordnete im EU-Parlament bewundert. Dort hatten fünf verschiedene Fraktionen, von Linken über Grüne, Sozialdemokraten und Liberale bis hin zu den Christdemokraten, zu einer Diskussion über digitale öffentliche Infrastruktur geladen.

„Jetzt ist die Zeit, in öffentliche Güter zu investieren“, warnte dort die Wirtschaftswissenschaftlerin Francesca Bria – und forderte einen zehn Milliarden Euro schweren Fonds für Tech-Souveränität. Sie greift damit Forderungen aus einem Bericht auf, den der ehemalige italienische Premierminister Mario Draghi Anfang des Monats vorgelegt hat. Er fordert darin, dass die EU mehrere hundert Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich investieren muss, wenn sie nicht komplett hinter die USA und China zurückfallen will.

Die Fraktionen im EU-Parlament waren sich zwar teilweise uneins darüber, wie genau sie vorgehen wollen – die christdemokratische EVP wollte die DSGVO aufschrauben, die Grünen waren klar dagegen – aber es schienen sich zumindest alle einig, dass etwas getan werden muss. „Wir brauchen eine Vision, Investitionen, und einen Plan für die Industrie“, sagte die deutsche Grünen-Abgeordnete Alexandra Geese. Axel Voss von der Europäischen Volkspartei forderte zehn Mal höhere Investitionen von öffentlicher Seite.

Mit dem Digitalen Euro werkelt die EU gerade schon an einer eigenen Zahlungsinfrastruktur, die Europa unabhängig von amerikanischen Unternehmen machen soll. Gleichzeitig will die Kommission aber die Finanzierung von Open Source-Projekten zusammenstreichen. Wird das Manifest also in Brüssel auf den richtigen Nerv treffen? Zumindest was den Aufbau einer alternativen digitalen Infrastruktur angeht, stehen die Chancen nicht ganz schlecht.


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