Nach jahrelanger Kritik will Pornhub alles anders machen – und gibt sogar Interviews. Hier erzählt Pornhub-Managerin Alex Kekesi, woher der Sinneswandel kommt, warum die Plattform ein Problem mit der EU hat und wie Trumps Gefolgschaft Pornos verbieten will.
Eine Weile lang sah es so aus, als wollten die Krisen für Pornhub nicht enden. Die zum Aylo-Konzern gehörende Porno-Plattform zählt zu den größten ihrer Art – und zu den meistbesuchten Websites der Welt. Spätestens seit 2020 stand Pornhub international in der Kritik, weil auf der Plattform Aufnahmen sexualisierter Gewalt kursierten, teilweise zeigten sie Minderjährige.
Es folgte eine breite Empörungswelle: eine Anti-Pornhub-Petition sammelte mehr als zwei Millionen Unterschriften; Politiker*innen planten strengere Gesetze; die Plattform nahm Millionen Videos nicht überprüfter Uploader*innen offline, Kanzleien feuerten Klagen gegen den Konzern ab – und Zahlungsdienstleister wie Visa und Mastercard verweigerten Pornhub ihre Dienste.
Seit 2023 versucht Pornhub, das Blatt zu wenden, und zwar per Flucht nach vorn. Eine Netflix-Doku zeichnete ein differenziertes und wohlwollendes Bild der Plattform. An die Stelle des öffentlichkeitsscheuen Investors Bernd Bergmair aus Österreich trat ein neuer Eigentümer: Ethical Capital Partners, inklusive neuer Transparenz-Versprechen. Schrittweise verschärfte Pornhub seine Richtlinien, sodass inzwischen alle in einer Aufnahme sichtbaren Darsteller*innen Ausweise und Einverständniserklärungen vorlegen sollen.
Bei kritischen Themen gab sich der Konzern weiterhin verschlossen. Zumindest Presseanfragen aus Deutschland blieben weitgehend unbeantwortet. Umso überraschender, dass Pornhub im November erstmals netzpolitik.org ein persönliches Interview angeboten hat.
Im Rahmen der Erotik-Messe Venus ist Alex Kekesi, Leiterin für Community- und Markenmanagement bei Pornhub, nach Berlin gereist. Hier spricht sie über die Umwälzungen im Konzern, Pornhubs Lobby-Arbeit gegen netzpolitische Regulierung – und was Nachrichtenmedien ihrer Meinung nach falsch verstehen.
Alterskontrollen bei Websites: „Reale Gefahr“
netzpolitik.org: Alex Kekesi, wie wichtig ist Deutschland für Pornhub?
Alex Kekesi: Sehr wichtig. Wir haben viele Fans und Creator*innen aus Deutschland. Im weltweiten Ranking der Länder mit den meisten Pornhub-Nutzer*innen liegt Deutschland, Stand 2023, auf Platz sechs.
netzpolitik.org: Welches netzpolitische Thema der EU beschäftigt Pornhub derzeit am meisten?
Alex Kekesi: Die Frage nach Alterskontrollen. Wir sehen immer wieder, dass Gesetze vor allem darauf abzielen, das Alter auf der Ebene von Websites zu kontrollieren. Aber wir halten das nicht für den besten Weg. Alterskontrollen können durchaus sinnvoll sein, wenn man sie richtig umsetzt. Unser Angebot ist nicht für Kinder gedacht. Das sollte aber auf effektivere Weise umgesetzt werden.
netzpolitik.org: Was kritisieren Sie an Alterskontrollen auf Website-Ebene?
Alex Kekesi: Ich glaube, das birgt reale Gefahren. Das betrifft nicht nur die Porno-Branche, sondern stellt eine ernsthafte Bedrohung für alle Erwachsenen-Communitys dar. Wie viele Websites für Erwachsene gibt es weltweit? Vermutlich Hunderttausende, wenn nicht Millionen. Wie soll eine Regierung all diese Seiten überwachen können? Es ist schlicht unmöglich, überall das Alter zu kontrollieren. Bei Kontrollen auf Website-Ebene werden gerade große Plattformen zur Zielscheibe, weil sie dann gesperrt werden oder schwerer zugänglich sind. Das treibt das Publikum zu kleineren Websites, die oft nicht einmal ihre Inhalte prüfen und sich an keine Altersvorgaben halten.
netzpolitik.org: Was würden Sie anders machen?
Alex Kekesi: Die Idee wäre, dass man direkt bei der Einrichtung eines Gerät über das Betriebssystem das eigene Alter prüfen lässt, etwa am Handy. Ohne Überprüfung würde das Gerät automatisch Inhalte blockieren, die nicht für Kinder geeignet sind. So müsste man nicht jedes Mal eine Alterskontrolle machen, wenn man eine Website besucht – das Gerät würde einfach wissen, dass man volljährig ist, und die Inhalte nahtlos freigeben.
„Aufrufe, Porno-Produzierende in den Knast zu stecken“
netzpolitik.org: Auch bei diesem Ansatz gibt es ernste Bedenken – über die Gefahren von Alterskontrollen haben wir berichtet. Derzeit verbreiten sich Alterskontrollen auf Website-Ebene nicht nur in der EU, sondern auch in den USA. Inwiefern ist der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump eine Bedrohung für Pornhub?
Alex Kekesi: Ich denke, Donald Trump selbst vermeidet solche Themen. Um Alterskontrollen geht es derzeit auf Ebene der Bundesstaaten, nicht auf nationaler Ebene. Aber im Rahmen von „Project 2025“ …
netztpolitik.org: … dem berüchtigten Masterplan von Trump-Fanatiker*innen, um das politische System der USA umzuwälzen …
Alex Kekesi: … gab es Aufrufe, alle Porno-Produzierenden in den Knast zu stecken und Pornografie direkt zu verbieten. Ob uns das Angst macht? Auf jeden Fall. Genau deshalb bringen wir uns verstärkt ein. US-Gesetze zu Alterskontrollen hängen damit eng zusammen. The Intercept hat über einen der Architekten von „Project 2025“ berichtet. Vor versteckter Kamera hat er gesagt, Gesetze zur Alterskontrollen seien nur eine Hintertür, um Pornografie zu verbieten.
„Wir widersprechen unserer Einstufung als VLOP“
netzpolitik.org: Die EU-Kommission hat einige Pornoseiten als „sehr große Plattformen“ (VLOPs) eingestuft. Eine davon ist Pornhub, weshalb die Plattform jetzt deutlich strengere Pflichten zu erfüllen hat. Halten Sie diese Pflichten für fair und angemessen?
Alex Kekesi: Wie Sie sicher wissen, widersprechen wir unserer Einstufung als VLOP, und dabei würde ich es belassen.
netzpolitik.org: Pornhub gibt an, weniger als 45 Millionen aktiver Nutzer*innen in der EU zu haben; also unter der Schwelle zu liegen, ab der eine Plattform als VLOP eingestuft wird. Darauf kann ich mir jedoch keinen Reim machen. Pornhub ist eine der meistbesuchten Websites, sowohl weltweit als auch in der EU. Können Sie mir bitte erklären, wie es möglich ist, dass eine derart populäre Seite weniger als 45 Millionen EU-Nutzer*innen haben soll?
Alex Kekesi: Wir wollen hier nicht geheimniskrämerisch oder intransparent erscheinen. Basierend auf Prognosen wissen wir, dass wir irgendwann wachsen und zu Recht als VLOP eingestuft werden. Wenn es soweit ist, sind wir gerne bereit, den Anforderungen zu entsprechen.
netzpolitik.org: In wie vielen Jahren wird Pornhub diesen Prognosen zufolge die VLOP-Schwelle überschreiten?
Alex Kekesi: Den Zeitrahmen werden wir nicht vorhersagen.
netzpolitik.org: Ich habe Ihren ersten Transparenzbericht analysiert, den das Gesetz über digitale Dienste (DSA) von VLOPs verlangt. Eine Sache hat mich daran irritiert: Ein Großteil der gelöschten Pornhub-Inhalte ist demnach als „Verstoß gegen Richtlinien“ eingestuft. Aber der Bericht hat nicht geklärt, um welche Art von Verstößen es sich handelt. Auf diese Weise bleibt unklar, wie groß Probleme auf der Plattform wirklich sind, zum Beispiel bildbasierte Gewalt. Wieso ist Ihr Transparenzbericht nicht genauer?
Alex Kekesi: Der DSA sieht feste Kategorien vor, die nicht besonders spezifisch sind. Wenn Sie eine genauere Aufschlüsselung über entfernte Inhalte wünschen, können Sie gerne unseren eigenen Transparenzbericht einsehen.
Auch in Pornhubs hauseigenem Transparenzbericht für das erste Halbjahr 2024 fällt ein Großteil der Löschungen unter „Verstöße gegen Richtlinien“. Pornhub nennt hier keine genaueren Prozentwerte, gibt aber Beispiele: Unter Verstöße fallen demnach etwa Inhalte, für deren Verbreitung nachträglich die Zustimmung entzogen wurde sowie „Verstöße im Zusammenhang mit Markensicherheit, Beleidigung und der Nutzung unserer Plattform für sexuelle Dienstleistungen“.
„Pornhub finanziert sich zu 100 Prozent aus Werbung“
netzpolitik.org: Was ist die hauptsächliche Einnahmequelle für Pornhub und Aylo?
Alex Kekesi: Pornhub finanziert sich zu 100 Prozent aus Werbung. Der Mutterkonzern Aylo betreibt auch Bezahlseiten, die auf Abos basieren. Die wichtigsten Einnahmequellen für Aylo sind also Werbung und Abonnements. Ein kleinerer Teil an Einnahmen fällt auf die Erotik-Gaming-Plattform Nutaku.
netzpolitik.org: Wie viel Gewinn und Umsatz macht Aylo genau?
Alex Kekesi:: Als privat geführtes Unternehmen können wir diese Frage nicht beantworten.
netzpolitik.org: Ich nehme an, es geht weniger darum, dass Sie nicht können, sondern dass Sie nicht wollen?
Alex Kekesi: Wollen wir nicht.
netzpolitik.org: Warum?
Alex Kekesi: Wir sind ein privat geführtes Unternehmen. Die meisten privat geführten Unternehmen geben ihre Gewinne nicht preis.
netzpolitik.org: Zumindest in den letzten sechs Jahren war es ziemlich schwer für Journalist*innen, Menschen bei Pornhub zu erreichen. Zumindest einige meiner E-Mails wurden von einem „Ian“ beantwortet. Allerdings per gmail-Adresse, obwohl ich mich an eine offizielle Firmenadresse gewandt hatte. Warum?
Alex Kekesi: Ian nutzt beide Postfächer, weil seine offiziellen E-Mails ständig im Spam-Ordner landen. Das geht mir genauso. Ich nutze meine Adresse „@pornhub.com“ nicht mehr, weil ich damit nie Leute erreiche.
netzpolitik.org: Nachdem ich einige Jahre lang mit dem Sprecher einer anderen Pornoseite – xHamster – Kontakt hatte, fand ich heraus: Diese Person existiert nicht. Es war nur ein Spitzname für das Team. Ist Ian eine reale Person?
Alex Kekesi: Ja, Ian existiert! Er ist ein echter Mensch.
netzpolitik.org: Das freut mich zu hören. Aber er schützt seinen vollen Namen?
Alex Kekesi: Ja. Es gibt immer wieder Doxing-Versuche, sowohl gegenüber Menschen in der Branche als auch gegenüber ihm direkt. Deshalb verschleiern viele in der Branche ihren Namen.
„Wir können nun viel transparenter sein“
netzpolitik.org: Verstehe. Ich hatte Ian mehrfach nach Interviews gefragt, aber jahrelang wurde daraus nichts. Nun sind Sie auf mich zugegangen. Was hat sich geändert?
Alex Kekesi: Viele Dinge haben sich geändert, seit der Konzern von ECP geführt wird …
netzpolitik.org: … Ethical Capital Partners, die 2023 Pornhubs Mutterkonzern gekauft und dessen Namen von Mindgeek zu Aylo geändert haben.
Alex Kekesi: Wenn man nicht die Gelegenheit nutzt, selbst auf Fragen zu antworten, werden andere diesen Raum füllen. Leider führt das in vielen Fällen zu Fehldarstellungen, sowohl über unser Unternehmen als auch über die Branche.
netzpolitik.org: Was haben Nachrichtenmedien in Bezug auf Pornhub falsch verstanden?
Alex Kekesi: Eine Menge. Zu den sehr positiven Dingen seit der Übernahmen durch ECP gehört, dass wir jetzt viel transparenter sein können. Ich bin seit elf Jahren im Unternehmen. Seitdem habe ich sehr große Entwicklungen erlebt, nicht nur bei Pornhub als Marke und Plattform, sondern auch in der gesamten Branche.
Was ich an Pornhub wirklich fantastisch finde, ist die Weiterentwicklung unserer Sicherheitsmaßnahmen. Das hat sich enorm verändert in den letzten zehn Jahren. Ich glaube wirklich, dass Pornhub eine sehr sichere Plattform ist – für Creator*innen, um ihre Inhalte zu monetarisieren, und für Nutzer*innen, die darauf vertrauen wollen, dass Inhalte einvernehmlich sind.
netzpolitik.org: Im Jahr 2020 hat Pornhub Millionen Videos nicht-überprüfter Accounts gelöscht. Und Pornhub hat die Maßnahme eingeführt, jede Person zu prüfen, die in einem Video auftaucht. Ich halte das für tiefgreifende Veränderungen.
Alex Kekesi: Dem stimme ich zu.
netzpolitik.org: Mit Blick auf Ihre elf Jahre im Unternehmen, welche vergangene Policy-Entscheidung von Pornhub bedauern Sie am meisten?
Alex Kekesi: Ich weiß nicht, ob ich dazu wirklich etwas sagen kann. Wenn Sie von Pornhub vor fünf Jahren sprechen – da war ich noch eine ziemlich junge Mitarbeiterin. Es ist nicht so, dass ich mich aus der Verantwortung stehlen möchte. Wir tun heute das Richtige und werden auch weiterhin das Richtige tun.
„Die Branche wird stark stigmatisiert“
netzpolitik.org: Vor allem in den USA ist die religiös geprägte Anti-Porn-Bewegung sehr stark. Organisationen wie Exodus Cry oder NCOSE fahren harte Kampagnen gegen Pornografie und Sexarbeit. Oft beziehen sie Betroffene sexualisierter Gewalt und nicht-einvernehmlicher Uploads ein. Wäre Pornhubs jüngster Wandel auch ohne diese Aktivist*innen passiert?
Alex Kekesi: Ich möchte einer extremistischen Gruppierung niemals Anerkennung dafür zollen, dass wir das Richtige tun. Ich bin davon überzeugt, dass deren Hauptziel darin besteht, die Pornobranche zu zerstören, weil Pornografie nicht ihren religiösen und persönlichen Überzeugungen entspricht.
Zu den gefährlichsten Dingen, die diese Gruppen propagieren, gehört die Gleichsetzung zwischen Menschenhandel und legaler einvernehmlicher Sexarbeit. Die Branche wird so stark stigmatisiert, dass viele Leute glauben: „Niemand würde das freiwillig tun.“ Damit spricht man einer Person, die diese Arbeit freiwillig macht, die eigene Entscheidungskraft ab.
Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Nie würde man jemanden, der für Mindestlohn in einem Café arbeitet, fragen: „Ist deine Arbeit nicht ausbeuterisch? Ist das wirklich dein Traumjob?“ Vielleicht arbeiten Menschen einfach in der Porno-Branche oder sonstwo, um ihre Rechnungen zu bezahlen.
netzpolitik.org: Nachrichtenmedien stellen Pornhub oft als wichtigste Pornoseite der Welt dar, obwohl es mit xHamster und XVideos mindestens zwei sehr große Plattformen gibt, die man ebenso kritisch betrachten sollte. Ist Pornhub der Sündenbock der Branche?
Alex Kekesi: In gewisser Weise ja. Was mir jedoch mehr Frust bereitet, ist, dass Themen wie Inhaltsmoderation nicht nur Pornografie betreffen, sondern alle Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten. Dennoch werden Pornoseiten oft anders behandelt. Dass wir unter besonderer Beobachtung stehen, nutzen wir, um mit gutem Beispiel voranzugehen. Und ich hoffe, dass das auch in der gesamten Branche zu Veränderungen führt.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Meist kommentiert