In der Fragestunde kommt Jeffrey Sachs in Fahrt und räumt unter der Vielzahl weitverbreiteter westlicher Clichés, mit denen atlantische Hegemonial- & Kolonialherrschaft medial verpackt wird, gnadenlos auf.
J. Sachs: „Die Öffentlichkeit hat überhaupt nichts zu sagen!“
Alex Mitchell: Vielen Dank! Wir werden versuchen, uns jetzt die Zeit für Fragen aus dem Publikum zu nehmen: Wenn Sie Ihre Hand heben… Warten Sie einfach, bis Sie das Mikrofon bekommen, um Ihre Frage zu stellen …
Frage: Vielen Dank! Ihre Darlegungen waren wirklich bemerkenswert und entsprechen definitiv nicht der gängigen Meinung, wie ich meine.
Sie haben darüber gesprochen, dass es diesen Kampf mit China nicht gäbe und das US-Imperium sich nicht als eine Art Rädelsführer positionieren sollte. Aber es gibt eine Art Kampf, wenn auch nicht zwischen den USA und China, sondern zwischen Demokratie und Diktatur in verschiedenen Ländern, verschiedenen Volkswirtschaften und verschiedenen Kreisen. Die Vereinigten Staaten stehen dabei zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht an vorderster Front. Natürlich wirtschaften Diktaturen inzwischen ungleich nachhaltiger, wie man weiss: Sie sind nicht so sehr von Selbstversorgung besessen – sie alle treiben Handel untereinander. Gibt es die Möglichkeit, dass wir uns in politischer Hinsicht noch immer einem Kampf gegenübersehen?
Jeffrey Sachs: Ich würde mir wünschen, dass die Vereinigten Staaten eine funktionierende Demokratie wären und anderen Ländern ein gutes Beispiel gäben. Ich glaube nicht, dass die USA das Recht haben bzw. über die Fähigkeit verfügen, um Demokratie einem anderen Land einzupflanzen. Übrigens glaube ich auch nicht, dass die amerikanische Demokratie in Bezug auf die Frage von Leben und Tod noch als echte Demokratie funktioniert:
Seit Jahrzehnten hat niemand das amerikanische Volk zu all diesen Kriegen befragt.
Nebenbei möchte ich Ihnen verraten und sage es Ihnen mit Bestimmtheit und ganz aufrichtig: Sie lügen zu jedem verdammten Aspekt bezüglich dieser Kriege.
Das entspricht auch keiner Demokratie. Alles ist gefälscht – alles folgt Narrativen entlang der Kriegs- und Friedensfragen. Die Öffentlichkeit hat überhaupt nichts zu sagen: Falls Sie die amerikanische Bevölkerung heute befragen würden – Gallup tat dies: „Unterstützen Sie Bidens Außenpolitik?“ – so denke ich, liegt die Unterstützung – Sie könnten auch gerne nachschauen – vielleicht zwischen 25 und 35 Prozent. Ich glaube nicht einmal, dass 35 Prozent erreicht würde. Wo bleibt da die Demokratie? Es ist ein Spiel!
Das ist der Schattenstaat und sie führen ihre Kriege und jeder Krieg wird erfunden. Über gewisse Kriege wird dem amerikanischen Volk im Grunde genommen überhaupt nichts gesagt, wie beispielsweise über den Krieg in Syrien. Man hört tatsächlich von erwachsenen Reportern, die entweder lügen, dass sich die Balken biegen oder so unvorstellbar unwissend sind, dass beim Krieg in Syrien – ja – da hätte Russland interveniert.
Wussten Sie, dass Obama die CIA vier Jahre vor dem russischen Eingreifen beauftragt hatte, die syrische Regierung zu stürzen? Was für ein Widersinn und wie oft schon berichtete die New York Times über das Unternehmen „Timber Sycamore,“ bei der es sich um den Befehl des Präsidenten an die CIA handele, Baschar al-Assad zu stürzen:
Dreimal in 10 Jahren! Das ist keine Demokratie.
Das ist ein Spiel und es ist ein Spiel mit Narrativen. Warum sind die USA 2003 in den Irak einmarschiert? Nun, zunächst einmal gab es eine völlig falsche Begründung: Wir lagen dabei so falsch, denn sie verfügten über keine Waffen der Massenvernichtung! Dagegen richteten sie im Herbst 2002 Fokusgruppen ein, um herauszufinden, wie sie den Amerikanern diesen Krieg verkaufen lassen könnten.
Abram Shulsky, hieß das PR-Genie, falls Sie den Namen dazu wissen wollten.
Sie haben Fokusgruppen zu diesem Krieg, den sie die ganze Zeit wollten, installiert: Dazu mussten sie herausfinden, wie sie den Krieg den Amerikanern verkaufen könnten. Wie sie den Amerikanern eine Scheißangst einjagen könnten. Es war ein erfundener Krieg. Woher kam dieser Krieg? Sie werden überrascht sein: Dieser Krieg kam tatsächlich von Netanyahu. Wussten Sie das? Es klingt seltsam! Es ist im Übrigen so, dass Netanyahu seit 1995 die Theorie vertritt, dass man, um Hamas und Hisbollah loszuwerden, jene Regierungen, die diese unterstützten, stürzen müsste:
Das sind der Irak, Syrien und der Iran!
Dieser Typ ist ein Nichts, wenn nicht besessen, wie wir auch. Er versucht uns nach wie vor dazu zu bringen, gegen den Iran anzutreten – im Moment und in dieser Woche. Er ist ein tiefdunkler Mistkerl – tut mir leid, das sagen zu müssen! Denn er hat uns in endlose Kriege verwickelt. Und weil das alles in der US-Politik so grosse Bedeutung einnimmt, hat er seinen Willen durchgekriegt. Doch, dieser Krieg ist total falsch gelaufen.
Was soll das: „Demokratie gegen Diktatur“ – also bitte! Das sind nicht einmal sinnvolle Begriffe und selbst, falls sie es wären, könnten wir gemäß der UN-Charta unsere Demokratie haben. Man könnte machen, was man will!
Es ist nun einmal so, dass China seit 2,245 Jahren über einen zentralisierten Verwaltungsstaat verfügt, nachdem Kaiser Qin Shihuangdi unter der Qin-Dynastie China vereint hatte. Es gab auch einige Perioden mit Zerfallserscheinungen unter den Dynastien. Aber wenn man sich Dynastien, wie die der Qin, Han, Tang, Song, Ming und der Qing bis heute zur VR China herauf ansieht, stellt man fest, dass es sich um ein- und dieselbe Struktur handelt.
China ist übrigens ein Verwaltungsstaat, der seit mehr als 2.000 Jahren über fast dieselbe Region herrscht. Das entstand daraus und war lange Zeit erstaunlich effektiv und vermochte den inneren Frieden zu wahren. Chinas einzige Kriege waren gegen nomadische Invasionen aus den Steppen im Norden. Dann gab es den Mongolen-Einfall – das gehört dazu und einen absolut verrückten Shogun in den 1590-er Jahren , der auch versuchte China zu übernehmen und es bis nach Korea schaffte, wo er fiel.
Darüber zeigte China wirklich außergewöhnliche Staatskunst, bis Großbritannien 1839 auf die „geniale“ Idee verfiel, einen Krieg zwecks der Opium-Einfuhr nach China anzuzetteln. Eine der „edelsten“ Anstrengungen, die man sich nur vorstellen kann und die Eröffnung der modernen Ära für China bedeutete.
Also, kaufe ich das überhaupt nicht ab, doch selbst wenn es so wäre: Es wäre nach internationalem Recht illegal – und im Übrigen unklug.
Oder betrachten Sie nur die „großartige Leistung“, wie man über 20 Jahre – ich weiß nicht, wie viele hundert Milliarden Dollar – über Afghanistan ausschüttete, um von einem Taliban-Regime zum nächsten zu jagen. Das nennt man amerikanische „Genialität“ zur Förderung von Demokratie:
Demokratie ist ihnen übrigens völlig egal – es kümmert sie keinen Deut! Sie stürzen Regierungen, die ihnen nicht passen bzw. nicht nach ihrer Pfeife tanzen. Sie stürzen Demokratien, wenn immer sie ihnen nicht passen. Sie stürzen jeden, den sie nicht abkönnen. So ist es schon immer gelaufen. Sie sagten auch damals nicht: „Oh, wir können Mossadegh 1953 nicht stürzen, zumal er eine demokratische Regierung repräsentiert.“ Ganz im Gegenteil:
Sie haben eine demokratische Regierung im Iran gestürzt und einen Polizeistaat errichtet.
Das hat zu den „wunderbar“ langfristigen Beziehungen zum Iran geführt, weil die Iraner dies dem amerikanischen Volk nicht wirklich vergessen konnten.
Es geht also gar nicht um Demokratie – es geht um ein Spiel und zwar ein ganz schreckliches! Es ist ein geheimes Spiel, das von der CIA gespielt wird, der wichtigsten US-Behörde, welche absoluter Geheimhaltung unterliegt und sich völlig jeder Kontrolle entzieht. Es gab nur eine Überprüfung der CIA – das war vor 49 Jahren durch das Church Committee – seither ist nichts mehr geschehen.
Einer unserer CIA-Direktoren – ich meine Mike Pompeo – hat vor einigen Jahren Studenten aus Texas die Rolle der CIA erklärt – Sie können es auch online finden – indem er ihnen stolz verkündet hat:
Was wir bei der CIA lehren, ist lügen, betrügen und stehlen!
Ich wollte schon sagen, dass Mike Pompeo einer der schlimmsten CIA Direktoren gewesen wäre: Doch, nachdem sie dort ankommen waren oder schon wieder aufgehört haben, wurden sie alle gleich, weil die Agentur sie ganz übernommen hatte.
Das stellt eine ziemlich gute Zusammenfassung der Methodik dar, die eine sehr gefährliche Welt entstehen liess. China wird die USA also nicht in eine Diktatur verwandeln. Vielleicht wird sich die USA zur völligen Dominanz in eine Diktatur, vielleicht einfach in eine schlichte Plutokratie oder vielleicht in einen militärisch-industriellen Komplex verwandeln. Ich weiß es nicht. Doch, es wird nicht von China ausgehen. Es wird von innen heraus entstehen. Darin liegt unser Risiko!
Frage: Vielen Dank! Ich habe eine ganz einfache Frage: Wie sehen Sie die bevorstehenden US-Wahlen und wer könnte Ihrer Meinung nach, die Situation für uns alle verbessern? Vielen Dank!
Jeffrey Sachs: Jemand anderer!
Ich bin ein entschiedener Nichtwähler im November – tut mir leid, das sagen zu müssen. Das ist nicht die prinzipientreue Ansicht, dass jeder zu Wahlen gehen und seine Stimme schätzen sollte. Aber ich werde nicht für einen Kandidaten stimmen, der nicht die Mindestanforderungen für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten erfüllt. Und wir haben zwei Kandidaten – Spitzenkandidaten, die das nicht mitbringen, sodass ich beschlossen habe, nicht zur Wahl zu gehen – Punkt!
Ich möchte nur einen Kandidaten, der tatsächlich über Möglichkeiten verfügt, etwas zu bewirken. Vielleicht werden sie das, aber nicht aufgrund dessen, was sie sagen. Jeden Tag wird die mörderische Herrschaft Israels im Nahen Osten gelobt. Okay – das allein reicht mir schon – ich kann das nicht unterstützen, denn Israel begeht in Gaza einen Genozid – das ist widerlich und offensichtlich – wir sehen es jeden Tag.
Wenn immer ein Kandidat nicht in der Lage ist, etwas dagegen zu sagen, kann ich ihn nicht unterstützen – Punkt!
Unter normalen Umständen wäre Kamala Harris meine Kandidatin gewesen, weil ich mein ganzes Leben lang die Demokratische Partei gewählt habe, obwohl ich sehr enttäuscht wurde, ganz gleich, ob sie nun gewonnen oder verloren hatten: Denn, wenn immer sie gewonnen hatten, war ich enttäuscht von dem, was sie danach anstellten. Wenn immer sie verloren hatten, war ich enttäuscht, weil mein Kandidat es nicht geschafft hatte. So konnte mich US-Politik niemals wirklich erfreuen.
Nach meiner Einschätzung kam es bisher zu fünf miserablen Präsidenten: Clinton, Bush, Obama, Trump, Biden – alle gleich schrecklich.
Sie haben uns an den Rand eines Atomkriegs geführt. Solch eine Rücksichtslosigkeit kann ich ihnen nicht verzeihen.
Harris sagte, was die Ukraine angehe, stünden wir auf der Seite der Ukraine. Das soll man einfach verstehen. Doch, was bedeutete es, auf der Seite der Ukraine zu stehen, so wie es schon Boris Johnson meinte?
Es bedeutet, dass jeden Tag ca. 2.000 Ukrainer getötet oder schwer verwundet werden: Das bedeutet nicht, auf der Seite der Ukraine zu stehen! Das bedeutet, auf der Seite der Zerstörung der Ukraine zu stehen und entspricht dem genauen Gegenteil.
Es entspricht einer rein Orwellschen Vorstellung, diesen Krieg fortzusetzen, um an der Seite der Ukraine stehen. Das sagt sie , weil sie anscheinend keine andere Vorstellung hat, ausser jener, die man ihr vorsetzt. Ich jedenfalls kann nicht für sie stimmen und über Trump fange ich gar nicht erst an nachzudenken. So lautet die Antwort: Ich sehe bei keinem von beiden, basierend auf dem, was sie bisher von sich gaben, ausreichende Qualifikation.
Doch, ich denke, es gibt einen anderen Punkt, der in diesem Zusammenhang wichtig scheint und mir Hoffnung macht, aus einem ganz anderen Grund: Unsere Politik wird nicht von amerikanischen Präsidenten bestimmt. Unsere Politik wird vom Apparat der Staats-Sicherheitsdienste bestimmt. Und was derzeit geschieht, liegt nicht im Sicherheitsinteresse Amerikas. Das könnte also die Meinung jener Kreise ändern.
Präsident Putin hat in einem Interview im Jahr 2017 etwas wirklich Interessantes gesagt. Ich meine, es erschien im Figaro, nachdem er bereits drei Präsidenten als seine Gegenüber erlebt hatte: Bush, Obama und Trump. Er sagte 2017 zu dem französischen Reporter:
Wissen Sie, ich hatte bis jetzt mit drei amerikanischen Präsidenten zu tun. Sie kamen mit Ideen ins Amt, aber dann erschienen Männer in dunklen Anzügen mit blauen Krawatten, um ihnen zu sagen, wie die Situation tatsächlich aussähe. Danach hörte man nichts mehr von ihren Ideen.
Das sagte ein hartgesottener Staatsmann, der selbst vom KGB kam. Er versteht, sehr gut, wie das amerikanische System funktioniert. Er versteht, was die CIA in der amerikanischen Außenpolitik repräsentiert. Er versteht, dass die amerikanische Außenpolitik sehr viel tiefer verwurzelt ist: Es ist nicht so, dass einer, wie Obama gewinnt und alles ändert, wonach dann Trump folgte und es so weiterginge. Nichts dergleichen geschieht:
Vielmehr folgt alles einer konsistenten Außenpolitik, die wohl schon seit 1991, wenn nicht schon seit 1945 feststeht. Bezüglich britischer Außenpolitik verhält es sich übrigens genauso.
Ich würde sagen, dass die britische Außenpolitik gegenüber Russland wohl bis aufs Jahr 1840 zurückgeht. Ab ca. 1840 verfolgte die britische Regierung die Linie, dass Russland eine Bedrohung für Großbritannien darstelle: Für das britische Empire aufgrund von Zentralasien und der Vorstellung, dass Russland über den Chaiber-Pass in Indien einfallen würde. Dies wurde zur fixen Idee und bildete die Grundlage zum Krimkrieg in den Jahre 1853 bis 1856 und führte zur Russophobie, die im Grunde nie mehr abflaute.
Natürlich verbündete sich Großbritannien zweimal mit Russland:
- mit dem Zarenreich im 1. Weltkrieg
- mit der Sowjetunion im 2.Weltkrieg
Die Sowjetunion hat mit ihren 27 Millionen Toten Hitlers Armee das Rückgrat gebrochen. Es waren nicht Großbritannien oder die Vereinigten Staaten, die jedoch den Verdienst für sich in Anspruch nehmen. Sie können sich nicht mehr erinnern und laden russische Regierungsmitglieder gar nicht mehr ein.
Russland trug die Hauptlast im Kampf gegen die Wehrmacht. Aber dann, Mitte 1945 – nach 27 Millionen Verlusten der Sowjetunion und entgegen dem Bündnis mit der Sowjetunion, forderte Churchill das Kriegsministerium auf, die Möglichkeit einer Invasion in die Sowjetunion zu prüfen. Der Plan lief unter dem Namen: „Operation Undenkbar !“
Es bedeutete den Krieg fortsetzen zu wollen. Deutschland hatte gerade erst kapituliert. Schon sollten wir in die Sowjetunion einfallen. Das war kein Planspiel für einen Verteidigungskrieg, sondern eine Original-Idee von Churchill für den Sommer 1945, wobei die Vereinigten Staaten Nein sagten und zu diesem Zeitpunkt keinen weiteren Krieg brauchten .
Das alles übrigens klingt ein wenig seltsam – aber so hat Großbritannien gedacht, sodass mein Punkt lautet:
Das sind sehr tiefgreifende und beständige Trends, wobei Großbritannien den Vereinigten Staaten alles, was sie wissen, einst beigebracht hat. Und so machten wir weiter, entlang demselben tiefgreifenden Trend.
Wenn Sie mich also fragen, was die Wahl ergeben soll? Was wir brauchten, wäre, dass Pentagon und CIA, wie auch die anderen Geheimdienste verstehen, dass wir uns in einer multipolaren Welt befinden. Wir stehen einer nuklearen Supermacht China und einer nuklearen Supermacht Russland gegenüber: Sieg hat jede Sinnhaftigkeit verloren:
Eine Tragödie stellt für mich in der Politik keine Option dar.
Deshalb brauchen wir eine andere Strategie:
Demnach hätte jemand in einem dunklen Anzug mit blauer Krawatte zu erscheinen, um dem Präsidenten mitzuteilen, dass wir es jetzt anders machen.
Darauf sollten wir hoffen!
***
Fortsetzung folgt
Teil I – Die Eröffnungsrede von Jeffrey Sachs: Hier
Teil 2 – Jeffrey Sachs beantwortet Fragen: Hier
Teil 4 – Jeffrey Sachs zur Lösung der Kriege: Hier
Übersetzung und Transkript-Erstellung: UNSER-MITTELEUROPA
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