Die übersehenen Diskriminierungsopfer

Wenn von gesellschaftlich ausgegrenzten Gruppen die Rede ist, werden die Armen leicht vergessen — dabei ist ihre Anzahl hoch, ihr psychisches Leid erheblich. Ein Gefühl von Ausgrenzung, Trauer, Existenzängsten. Ein Zustand, der letztendlich zu menschlichem Leid führt. Armut ist ein ernst zu nehmendes Problem in einer Gesellschaft, deren Fundament Zusammenarbeit und Zusammenhalt ist. Manchen Menschen sieht man die Armut nicht an, weil sie sie — zumindest etwas — kaschieren können. Das bedeutet jedoch nicht, dass diese Menschen nicht existieren. Man sieht sie nur nicht. In Deutschland galten im Jahr 2022 14,2 Millionen Menschen als arm. Das sind die offiziellen Zahlen. Vermutlich liegen die tatsächlichen Zahlen höher, da nicht alle Menschen mit finanziellen Nöten statistisch erfasst werden. Aus Scham verzichten viele Menschen darauf, den Staat um Hilfe zu bitten, und können infolgedessen beispielsweise im Winter nicht angemessen die Wohnung heizen. Betroffen davon waren im Jahr 2022 rund 5,5 Millionen Menschen. Unabhängig von den Gründen, die zur Armut führen, kann man eines mit Sicherheit sagen: Armut diskriminiert! Ein Text zur Sonderausgabe „Armut in Deutschland“. Gustav Viktor Śmigielski

 

Armut ist ein Phänomen, das nahezu überall dort auftritt, wo Menschen in großen Gemeinschaften zusammenleben. Neben der offensichtlichen Armut, die meist in Großstädten in Form von obdachlosen Menschen sichtbar ist, gibt es noch Armut, die nicht sofort erkennbar ist, von der jedoch Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind. Sie erzählen uns, wie es ist, wenn man es sich nicht leisten kann, Freunde zu sich nach Hause zum Essen einzuladen, mit ins Kino zu gehen oder sich im Café zu treffen. 10 Euro im Café auszugeben ist für jemanden, der beispielsweise Bürgergeld erhält, eine Ausgabe, die zu erheblichem Stress führen kann.

Letztlich wird alles, was Geld kostet, zu einem Problem.

Ein Mensch, der auf Bürgergeld angewiesen ist, hat durchschnittlich 18 Euro pro Tag zur Verfügung. Für Lebensmittel sind davon 6,50 Euro vorgesehen, was für eine gesunde Ernährung völlig unzureichend ist. Vom Tagessatz muss er oder sie aber auch die monatliche Stromrechnung begleichen, Internet und Mobilfunkkosten decken, Geld für Kleidung und andere außerordentliche Anschaffungen ansparen. Für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können und niemanden haben, der sie unterstützen kann, bedeutet das das gesellschaftliche Aus. Ja, man überlebt vielleicht, aber mehr auch nicht. Das Gefühl gesellschaftlicher Ausgrenzung gehört zu den unangenehmsten und existenzbedrohendsten Gefühlen, die ein Mensch verspüren kann. Die Anspannung und der Stress führen früher oder später unweigerlich zu Krankheit.

Ein zumindest genauso großes, wenn nicht sogar noch größeres Problem entsteht, wenn man trotz Erwerbstätigkeit auf keinen grünen Zweig kommt. „Aufstocker“ werden umgangssprachlich Menschen bezeichnet, die Bürgergeld als Ergänzung zu ihrem Gehalt beziehen. 2022 waren davon 800.000 Menschen betroffen. Prekäre Beschäftigungen haben ein Ausmaß erreicht, die früher oder später zu sozialen Unruhen führen werden. Man kann den Unmut unter den Menschen förmlich spüren.

Wöchentliche Angebote in den Supermärkten sind oftmals schon am Montag ausverkauft, was darauf hindeutet, dass immer mehr Menschen darauf angewiesen sind, auf den Preis zu schauen und Vorräte mit vergünstigten Lebensmitteln anzulegen. Was die Gesamtanzahl der prekär Beschäftigten angeht, gibt es deutlich voneinander abweichende Angaben. Während einige Quellen wie Statista von einem Anteil von 4,42 Prozent sprechen, wird auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung in einem Datenreport von „jeder vierten Person“ gesprochen, basierend auf Daten aus dem Zeitraum von 2009 bis 2016. Aktuellere Daten sind nicht zu finden, möglicherweise aufgrund mangelnden Interesses an einer Aktualisierung.

Die in den vergangenen Jahren starke Inflation hat es für die Betroffenen nicht leichter gemacht. Das oftmals hart verdiente Geld verliert immer schneller an Kaufkraft, und bei einem Preis von mittlerweile 7 Euro für einen Döner wird für viele selbst das Kulturgut langsam zum Luxusgut. Von größeren Anschaffungen wie einem Auto, geschweige denn einer Immobilie, können viele nur träumen. Stattdessen müssen selbst kleinere Anschaffungen mithilfe von Ratenzahlungen finanziert werden.

Von da an stehen die Schulden bereits an der Türschwelle und warten nur darauf, ungebeten einzutreten, um das Leben in ein Netz finanzieller Fesseln zu verstricken.

Doch wie kommt es zu solch einem Zustand in einer Gesellschaft?

Vom Miteinander zum Nebeneinander: Wenn Gemeinschaft zum Ich-Projekt wird

Stellen wir uns ein kleines Dorf eines indigenen Volkes vor, in dem alle Bewohner mehr oder weniger das Gleiche besitzen. Jede Familie hat eine Hütte, etwas Werkzeug, Jagdwaffen; es herrscht eine gleichmäßige Verteilung von Nahrung und Gütern, wodurch Armut verhindert wird. Es gibt niemanden, der um irgendetwas betteln muss, da jeder in die Gemeinschaft eingegliedert ist. Man kennt die Fähigkeiten untereinander und hat einen Überblick über die Arbeit, die verrichtet werden muss. So sind die Mitglieder dieser Gesellschaft entweder alle gleich arm oder gleich reich — je nachdem, wie man es sehen will. So weit die Theorie.

In der Praxis herrschen selbstverständlich auch dort Unterschiede. Wenn ein Dorfbewohner im Unterschied zu allen anderen kaputtes Schuhwerk und einen alten Bogen hat, oder dessen Hütte ein Loch im Dach aufweist, durch das es regnet, würde er vielleicht von den anderen als arm angesehen werden oder zumindest als hilfebedürftig. In einer Solidargemeinschaft ist das kein Problem, da sich bei Bedarf alle Mitbewohner zusammenschließen, um einem Mitglied in Not zu helfen, damit er oder sie wieder zu einem vollwertigen Mitglied werden kann. Solidarität bedeutet, dass alle Entbehrungen in Kauf nehmen, um das Unglück eines Einzelnen abzufedern und es auf alle zu verteilen. Gleichzeitig bedeutet Solidarität aber auch, alle am gemeinschaftlichen Erfolg teilhaben zu lassen, was bedeutet, dass sie in den Genuss der produzierten Güter kommen. Das motiviert und integriert jedes Mitglied einer Gemeinschaft. Ist das nicht der Fall, fängt der Zusammenhalt an zu bröckeln.

Wenn Gesellschaften größer werden, sieht man im Allgemeinen eine Tendenz zur Individualisierung. Es wird propagiert, dass jeder primär für sich selbst verantwortlich ist, wodurch keine gemeinsamen Ressourcen oder Unterstützungssysteme geteilt werden. Produktionsgüter befinden sich meist in den Händen einzelner Unternehmer, die zugleich das Narrativ der Selbstverantwortung vorantreiben. Man kann dafür Verständnis aufbringen, wenn man bedenkt, dass dieses Weltbild in ihrem vermeintlich eigenen Interesse steht. Warum „vermeintlich“? Weil ihr wahres Interesse vor allem darin liegt, in einem sicheren Umfeld zu leben, in einer Gemeinschaft — was nur gewährleistet werden kann, wenn auch ein Gefühl von Gemeinschaft herrscht.

Wenn man darauf besteht, mehr Eigentum anzuhäufen als andere, sich selbst erhöht und seine Mitmenschen erniedrigt, andere dazu zwingt, für sich und seine Ziele zu arbeiten, ist nur schwerlich ein Gefühl von Gemeinschaft zu erreichen und zu manifestieren. Stattdessen greift die Angst um sich, dass jemand das postulierte Eigentum in Frage stellen könnte und trifft Vorkehrungen, um sich davor zu schützen. Die Folge davon ist eine Gesellschaft, in der überall Zäune, Mauern und verschlossene Türen zu finden sind.

Um diesen Zustand zu festigen, haben Gesellschaften auf der ganzen Welt ein ziemlich ausgeartetes Recht auf Eigentum etabliert. Dies ermöglicht es einzelnen Individuen einer Gesellschaft, enormen Reichtum zu erlangen, ohne diesen mit anderen teilen zu müssen, obwohl viele zu diesem Wohlstand beigetragen haben. Eine Solidargemeinschaft würde wohl kaum auf die Idee kommen, einen Großteil ihrer Produktivität dafür einzusetzen, einzelnen Mitgliedern ein Leben in Saus und Braus zu ermöglichen und dabei selbst zu verzichten. Genau das passiert aber in unserer Gesellschaft.

Jeder in unserer Gesellschaft wirtschaftlich aktive Mensch unterstützt die Produktion von Gütern, die er sich selbst meist nicht leisten könnte. Dafür wendet er einen nicht geringen Teil seiner Produktivität auf. Man könnte es so ausdrücken:

Viele Menschen investieren ihre Zeit und Energie nicht in ihr eigenes bescheidenes, aber gemütliches Zuhause, sondern helfen stattdessen ständig ihren Nachbarn dabei, deren Luxusvilla zu erweitern.

In der Realität tun sie das, indem sie überhöhte Preise sowie Steuern, Versicherungen oder Zinsen bezahlen, aber auch, indem sie für ihre Arbeit zu niedrig entlohnt werden. Der Mehrwert, den sie mit ihrer Arbeit verrichten, wird vom Eigentümer abgeschöpft und nach eigenem Ermessen verwendet. Der Mechanismus, der diesen Zustand ermöglicht, ist das monetäre System, in dem Werte kumuliert, verschoben, angezapft und abgezweigt werden können und somit die Produktivität unserer ganzen Gesellschaft lenken.

Umverteilung: Ein Gespenst, das keine Angst machen muss

Was ist Gerechtigkeit, und wie würde eine gerechte Verteilung von Wohlstand aussehen? Das sind essenzielle Fragen, auf die eine Antwort zu geben leichter erscheint, als es wirklich ist. Absolute Gleichheit anzustreben wäre unklug, weil Menschen von Natur aus zu unterschiedlich sind, als dass man ihnen Gleichheit aufzwingen könnte. Auch teilen die meisten von uns die Ansicht, dass außerordentliche Leistungen auch außerordentlich vergütet werden sollten. Das ist eine hervorragende Grundlage, um über eine gerechte Verteilung von Rechten und Pflichten nachzudenken und sie neu zu gestalten. Dabei müssten wir uns früher oder später die Frage beantworten, wie hoch eine angemessene Vergütung für herausragende Leistungen sein sollte.

Wäre es tragbar, dass ein Mitglied der Gesellschaft den zweihundertfachen Anspruch auf Güter eines anderen Mitglieds stellen darf, auch wenn er eine Aufgabe von größerer Verantwortung und übernimmt? Das ist beispielsweise bei Volkswagen der Fall, wo Vorstandsvorsitzender Oliver Blume mit einem Jahresgehalt von 9,8 Millionen Euro das Zweihundertfache eines einfachen Fließbandarbeiters verdient, dessen Gehalt bei durchschnittlich 48.000 Euro liegt.

Wäre nicht bereits das Zehnfache ausreichend? Es stellt immer noch das Zehnfache dar und müsste in einer Gesellschaft von Ebenbürtigen gerechtfertigt werden. Schließlich spielt auch das Ansehen einer Person in solch einer Position eine bedeutende Rolle als Motivationsfaktor, der berücksichtigt werden sollte. Unter dem Gesichtspunkt der Armut sind große Unterschiede bei der Verteilung von Gütern beziehungsweise Ansprüchen auf Güter ein entscheidender Faktor: Je mehr einer bekommt, desto weniger bleibt für die anderen übrig. Diese Ungleichheit führt dazu, dass ein erheblicher Teil der arbeitenden Bevölkerung nicht in der Lage ist, substanzielle Vermögenswerte aufzubauen. Gleichzeitig wächst das Vermögen der oberen zehn Prozent der Bevölkerung kontinuierlich, wodurch diese Gruppe inzwischen etwa zwei Drittel des Gesamtvermögens in Deutschland besitzt, welches beinahe endloses passives Einkommen generiert.

Das passive Einkommen ist auch etwas, was in einer gesunden Solidargemeinschaft nicht existieren würde. Das Verlangen von Tributzahlungen in Form von Mieteinnahmen oder Lizenzgebühren, die Auszahlung von Dividenden oder das Erheben von Zinsen würde zwischen gleichberechtigten Menschen zu einem Bruch führen und wäre undenkbar. In unserer Gesellschaft ist dies jedoch völlig normal und geht so weit, dass die Idee von Eigentum in abstrakte Bereiche vorgedrungen ist. Wir fordern nun sogar Zahlungen für die Nutzung von Ideen und immateriellen Gütern, obwohl Informationen nicht weniger werden, wenn man sie mit anderen teilt, und wir nicht einmal verstehen, wie Ideen in unserem Geist entstehen.

Für alternative Lebensmodelle gibt es zur Genüge Ideen. Im Grunde setzen aber alle eine Gesellschaft von weisen Menschen voraus, die erkannt haben, dass Eigentum eine Illusion ist. Sie haben erkannt, dass sie sehr viele gemeinsame Interessen haben, die durch gemeinsame Bedürfnisse entstehen. Sie haben erkannt, dass sie im großen Maße voneinander abhängig sind, wenn sie einen hohen Lebensstandard erreichen wollen, weil sie auf Zusammenarbeit und Arbeitsteilung angewiesen sind.

Da wir leider keine Gesellschaft von weisen Individuen sind, sind klare Regeln für ein friedliches Zusammenleben unabdingbar, und diese können wir mit einer demokratischen Mehrheit gestalten. Sollten wir beschließen, Armut zu verhindern, wird es unvermeidlich sein, erhebliche Vermögenskonzentrationen zu reduzieren, um Vermögen besser verteilen zu können. Dabei könnten wir neben dem gesetzlichen Mindestlohn auch ein Maximaleinkommen festsetzen. Wäre das ein zu großer Eingriff in die so hochgelobten Freiheitsrechte eines jeden Einzelnen von uns? Oder würde es vielmehr der Realität entsprechen, dass kein Einzelner so viel produktiver sein kann als alle anderen? Einen Vorteil hätte es jedenfalls: Große finanzielle Ressourcen verbinden sich immer mit großer Macht und ermöglichen es, Interessen auch mit Gewalt durchzusetzen. Dies könnte man mit einem Maximaleinkommen erheblich mindern.
Zu guter Letzt

Nichts befördert Armut stärker als die Gier der Wenigen, die über unvorstellbare Ressourcen verfügen. Ein ebenso habgieriger und den Bürgern gegenüber arroganter Staat verschlimmert die Situation zusätzlich. Durch ihr Verhalten geben sie ein schlechtes Beispiel, dem viele folgen und nacheifern. So wurde aus Solidarität Almosen und aus Integrität Exklusivität. Als einzige Macht, die diesem Zustand Abhilfe schaffen könnte, hat der Staat komplett versagt, ja mehr noch: Der Staat ist Mitverursacher von Armut und sollte von uns aufgeschlossenen und kritischen Bürgern zur Ordnung gerufen werden, um einer alten Weisheit zur Realität zu verhelfen:

„Mit dem Geld ist es wie mit dem Mist. Auf dem Haufen stinkt er, gut verteilt wirkt er wie Dünger.“

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