"Neue Taktik": Worauf sich Russlands Streitkräfte vorbereiten

Von Andrei Koz

Nordwind

Am Charkower Frontabschnitt finden weiterhin die heftigsten Kämpfe statt. Am 10. Mai ist hier der Truppenverband Nord in zwei Richtungen in die Offensive gegangen – auf Woltschansk und auf Lipzy, wichtige logistische Knoten. Dort befanden sich auch Stellungen der ukrainischen Artillerie, die russische Städte beschossen hatte.

Zuerst leisteten die ukrainischen Soldaten, offensichtlich durch genaue Treffer der Haubitzen und Drohnen demoralisiert, kaum Widerstand. In wenigen Tagen befreiten Russlands Streitkräfte über zehn Ortschaften. Später verminderte sich das Tempo.

Während der gesamten zweiten Maihälfte verlegte Kiew Reserven aus dem Hinterland und von anderen Frontabschnitten in den Norden des Gebiets Charkow. An den Charkower Abschnitt wurden die kampfkräftigsten und motiviertesten Einheiten und Verbände verlegt, darunter die 82. Luftlandebrigade, die 36. Marineinfanteriebrigade und die 71. Jägerbrigade sowie Wacheinheiten des Generalstabs. Dafür wurden die Frontabschnitte bei Cherson, Tschassow Jar, Rabotino und Donezk entblößt. Das Vorrücken der russischen Truppen verlangsamte sich – hauptsächlich wegen eines massiven Einsatzes von Drohnen.

"Der Gegner hat viele Drohnen und setzt sie aktiv ein. Sie versuchen, unseren Vorteil bei der Artillerie auszugleichen. FPV-Drohnen sind selbst für Angriffe auf einzelne Infanteristen nicht zu schade. Sie versuchen auch öfter, unsere Drohnen mit ihren eigenen zu rammen. Es gelingt nicht immer, doch einige "Vögelchen" haben wir verloren. Freilich verschwenden wir auch keine Zeit und feuern mit allem, was wir haben. Der Gegner wird wahrscheinlich versuchen, uns von den besetzten Stellungen zurückzudrängen, und wird früher oder später zum Gegenangriff übergehen", berichtet ein Offizier des Truppenverbands Nord mit dem Funknamen Athlet.

Nach dem sie die Erlaubnis der NATO-Staaten erhalten hatten, westliche Präzisionswaffen gegen russisches Gebiet einzusetzen, begannen ukrainische Truppen, das Grenzland mit ATACMS-Raketen zu beschießen. Sie zielen auf Stäbe, Munitionslager, Flugplätze und Unterkünfte der Soldaten. Doch die Luftabwehr fängt den Großteil der Raketen ab.

Auf eine ähnliche Weise, mit massiven Angriffen auf das Hinterland, begann die ukrainische Gegenoffensive im Gebiet Saporoschje. Damals hatte sie keinen Erfolg. Wahrscheinlich wird sie auch diesmal zu nichts führen.

Gegenwärtig versucht das ukrainische Militär, die Lage in zentralen Bezirken von Woltschansk zu stabilisieren. Auch am Ortsrand von Lipzy wird gekämpft.

Russlands Armee wendet die gleiche Taktik wie in Awdejewka an. Sobald die Vortruppen auf ernsten Widerstand stoßen, ziehen sie sich zurück, während die erkundeten Ziele massiv mit Artillerie und Lenkgleitbomben angegriffen werden. Erst danach rückt die Infanterie weiter vor. Das ist ein langsamer Prozess, allerdings erlaubt er, die eigenen Kräfte zu schonen und gleichzeitig die gegnerische Verteidigung zu zermürben.

Umanskoje eingenommen

Änderungen gibt es auch am Donezker Frontabschnitt. Am 2. Juni meldete Russlands Verteidigungsministerium die Befreiung der Ortschaft Umanskoje 18 Kilometer nordwestlich der Grenze der DVR. Jetzt verläuft die Front zwölf Kilometer westlich von Awdejewka entlang der Linie Umanskoje – Netajlowo.

Das nächste Ziel an diesem Abschnitt ist Karlowka. Eine Einnahme dieses wichtigen Stützpunkts und logistischen Knotens des ukrainischen Militärs wird ermöglichen, den Stausee von Karlowka von Süden zu umgehen und sich der Linie Pokrowsk – Selidowo – Kurachowo zu nähern.

Bei Tschassow Jar bleibt die Lage im Wesentlichen gleich. Der Sturm der östlichen Stadtränder mit einer allmählichen Umzingelung des Bezirks Kanal wird fortgesetzt. Eine Befreiung dieser Stadt wird den Weg von Nordwesten auf Konstantinowka eröffnen, die Südspitze der letzten Verteidigungslinie des ukrainischen Militärs im Donbass: Konstantinowka – Druschkowka – Kramatorsk – Slawjansk.

Weiter südlich rückten die russischen Vortruppen ins Dorf Paraskowiewka ein, es finden Straßenkämpfe statt. Das Ziel hier ist eine weitere Ortschaft mit dem gleichen Namen Konstantinowka, die auf der wichtigen Straße von Marjinka nach Ugledar liegt.

Überdehnte Front

Am Vorsprung von Wremewka, an der Grenze zwischen dem Gebiet Saporoschje und der DVR, holt sich der Truppenverband Ost allmählich Gebiete zurück, die vom ukrainischen Militär während der Offensive im letzten Jahr besetzt wurden. Gekämpft wird in der Nähe der Ortschaften Uroschajnoje und Staromajorskoje. Es ist schwierig, sich hier zu verteidigen, weil diese Dörfer bis auf die Grundmauern zerstört wurden. Gegen das dichte Artilleriefeuer und Drohnen gibt es kaum Deckung.

Am Frontabschnitt Saporoschje gibt es keine Änderungen. Kiews Militär hält die Stellungen nördlich von Rabotino und nordwestlich von Werbowoje und setzt intensiv Streumunition ein, was die Verlegung von Verstärkung an die Frontlinie erschwert.

Freilich berichteten ukrainische Medien, dass Kiew am Frontabschnitt Saporoschje eine neue Verteidigungslinie baue, aus Sorge, dass Moskau hier den Hauptangriff führen wird.

Am Frontabschnitt Cherson säubern Luftlandetruppen und Marineinfanterie die Inseln in der Flussniederung des Dnjepr. Dabei versucht das ukrainische Militär nach dem Rückzug aus Krynki, neue Brennpunkte zu schaffen. So wurde vor wenigen Tagen eine Landung in der Nähe der Ortschaft Dneprjany versucht, doch wurden ukrainische Truppen rechtzeitig bemerkt und eliminiert.

Insgesamt sind die ukrainischen Kräfte jetzt maximal überdehnt, es gibt keine bedeutenden Reserven mehr. Ein Durchbruch der Verteidigung an einem der Abschnitte birgt die Gefahr eines Zusammenbruchs der Front. Selbstverständlich versuchen Kiews Verbündete, das nicht zuzulassen, und versorgen das ukrainische Militär mit Aufklärungsdaten über sämtliche russische Truppenbewegungen. Ob dies helfen wird, werden die kommenden Monate zeigen.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 5. Juni bei RIA Nowosti.

Andrei Koz ist ein Kriegsberichterstatter der Nachrichtenagentur RIA Nowosti.

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