Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert den beschleunigten Aufbau eines "Abschreckungssystems" innerhalb der NATO gegen Russland. Ihre Ansichten vertrat sie im Gespräch mit Anne Will bei der Vorstellung ihrer politischen Memoiren mit dem Titel "Freiheit".
"Deshalb schreibe ich ja auch über die Notwendigkeit, jetzt wirklich eine glaubwürdige Abschreckung sehr schnell hinzubekommen, dass diese glaubwürdige Abschreckung Putin davon abhalten kann, dass die NATO da stark ist."
Um eine Kriegsgefahr in Deutschland zu verhindern, brauche es die Zusammenarbeit mit den USA. Merkel las eine Passage aus ihrem Buch vor:
"Denn eine glaubwürdige Abschreckung auf absehbare Zeit ist eine Abschreckung innerhalb der NATO. Europa ganz alleine kann das nicht einfach. Russland ist die größte Nuklearmacht, die es weltweit gibt oder mindestens eine so große Nuklearmacht wie die Vereinigten Staaten von Amerika."
Im Hinblick auf den Ukraine-Konflikt sagte sie, "Putin zu unterschätzen wäre ein Fehler". Allerdings habe auch Putin "seine Kräfte vollkommen überschätzt", indem er geglaubt habe, er könne Kiew schnell einnehmen und Präsident Selenskij würde fliehen.
"Es liegt auch in unserem Interesse, nicht allein dem der Ukraine, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnt. Das fordert uns in einem ungeahnten Ausmaß heraus. Wir müssen die Ukraine unterstützen. Und gleichzeitig für die Verteidigung des NATO-Territoriums in Europa eine glaubwürdige Abschreckung aufbauen."
Die Fähigkeit zur Abschreckung müsse einhergehen mit der Bereitschaft zu diplomatischen Initiativen:
Diese müssen vorgedacht werden, um im richtigen Moment zur Verfügung zu stehen. Wann der richtige Moment gekommen ist, kann nicht allein von der Ukraine entschieden werden, sondern nur gemeinsam mit ihren Unterstützern. Wer ein gemeinsames Anliegen hat, muss wieder und wieder um den gemeinsamen Weg ringen. Dann kann gelingen, was wir wollen, dass Russland den Krieg nicht gewinnt und somit die Ukraine als souveräner Staat in Frieden und Freiheit eine Zukunft hat."
Diese Aufgabe sei nicht zuletzt durch die Wiederwahl von Donald Trump schwieriger geworden. "Angesichts der Tatsache, dass Donald Trump im Januar ins Präsidentenamt kommt, ist es noch wichtiger, dass die Europäer untereinander, die die Ukraine unterstützen, eine Vorstellung haben, was für sie machbar und was für sie akzeptabel und was für sie nicht akzeptabel ist."
Auf Wladimir Putin angesprochen, sagte Merkel, sie habe damals versucht, die Beziehungen zu Moskau nicht abreißen zu lassen. Das halte sie auch im Nachhinein nicht für einen Fehler, genauso wenig wie den Bau von Nord Stream.
Zu ihrem Buch meinte die Ex-Kanzlerin, es sei komisch, wenn manche kritisierten, dass in den Memoiren "nichts Neues drinsteht, was wir noch nicht wussten":
"Stellen Sie sich mal vor, ich würde jetzt Sensationen veröffentlichen, was man über mich sagen würde. Man würde sagen, die hat uns die ganze Zeit belogen. Die eigentlichen Dinge hat sie uns geheim gehalten."
Dass sie die Bundesrepublik "in einem Tip-Top-Zustand hinterlassen" habe, könne man nicht sagen, räumte Merkel ein. Sie trage "die Verantwortung für die Beschlüsse, die in meiner Zeit getroffen wurden", unter anderem in der Klimapolitik und der Digitalisierung. "Wenn's hilft, soll man sagen: Merkel war's."
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