Lindner und die Wohnungssuche

Von Dagmar Henn

Sicher, von der FDP erwartet man ohnehin nichts Menschenfreundliches. Aber da die Partei, zumindest früher, immer Wirtschaftskompetenz für sich reklamiert hat, erwartet man wenigstens ein Mindestmaß an Kenntnis der materiellen Wirklichkeit.

Und was macht Finanzminister Christian Lindner, so etwa ein Jahr, ehe die Partei aus dem Bundestag fliegt? Er liefert in drei Sätzen einen Beleg dafür, von dem Land, das er mitregiert, keine Ahnung zu haben. Ja, vermutlich nicht einmal Zeitung zu lesen – die sind in den Großstädten nämlich, wegen des Semesterbeginns, gerade wieder voll mit Geschichten über Studenten, die keine Wohnung finden.

"Beim Bürgergeld bin ich dafür, dass wir die Kosten der Unterkunft pauschalieren. Einschließlich der Nebenkosten. Dann können die Leistungsempfänger entscheiden, ob sie eine kleinere Wohnung beziehen und wie sie heizen. Ich glaube, dass wir hier Milliarden Euro einsparen können."

So charmant. Sie "können entscheiden". Vermutlich hat er seit mindestens zehn Jahren eine Eigentumswohnung in Berlin und interessiert sich auch ansonsten für nicht viel. Sonst wüsste er, dass es mittlerweile bereits Städte in Deutschland gibt, in denen selbst Menschen mit einem Geldbeutel, der so aufgeblasen ist wie der seine, schwer eine Wohnung finden. Da braucht man von den Armen gar nicht erst zu reden.

Die Kosten der Unterkunft sind von Anbeginn (2005) an ein Problem. Weil der größte Teil – viele Jahre lang sogar der komplette Betrag – von den Kommunen gezahlt wird, die selbst meist notorisch klamm sind; und weil, dank einer vor allem auf Kapitalanlage fixierten Politik, das Angebot an günstigen Wohnungen in Deutschland seit Jahrzehnten nur noch abnimmt.

Zugegeben, zumindest nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit ist der Abstand zwischen den tatsächlichen und den anerkannten Kosten der Unterkunft momentan vergleichsweise niedrig; es gab Phasen, in denen rund ein Fünftel aller Bezieher von ALG II/Bürgergeld jeden Monat einen Teil der Miete aus dem Bedarf finanzieren musste. Was aber nichts daran ändert, dass es den nötigen Wohnraum nicht gibt. Und dass die Regionen in Deutschland, in denen man vergleichsweise leicht eine Wohnung findet, die den Vorgaben entspricht, auch solche sind, in denen man ohne Auto nicht zum nächsten Supermarkt kommt.

Klar, die ganze Sache ist nicht so einfach. Anfang der 1980er-Jahre wurde beschlossen, der Bedarf an Sozialwohnungen sei gedeckt; auch wenn das selbst damals nicht für alle Gegenden der BRD galt. Dann wurde die Förderung umgestellt – es sei doch günstiger, wenn man Wohngeld zahle und nicht den Bau fördere. Was auf den ersten Blick einleuchtend wirkte, weil der früher starke gemeinnützige Wohnungsbau schon zuvor abgeschafft worden war, sodass die Förderung über den Bau nur noch an kommerzielle Bauprojekte gegangen wäre. Entstanden ist dafür eines der bürokratischsten Verfahren in der ohnehin bürokratischen deutschen Sozialverwaltung. Also weniger Wohnungen, weil das Wohngeld keinen Anreiz schafft, zu bauen, aber dafür viele, viele neue Sachbearbeiter.

Mit der Politik der offenen Tür wurde das dann richtig lustig, weil die Nachfrage nach dem ohnehin nicht ausreichend vorhandenen Wohnraum noch einmal erhöht wurde. Und, was Lindner nicht weiß oder nicht berücksichtigt – Flüchtlinge haben, da ihnen der Wohnort zugewiesen wird, im Umkehrschluss einen Rechtsanspruch darauf, eine Wohnung zu erhalten; Einheimische haben ihn nicht. Was bedeutet, wenn die Kassenlage knapp ist und die Notunterkünfte ohnehin schon voll, ist die Versuchung für die Kommunen groß, Mittel und Wege zu finden, ihre Unbehausten dem Nachbarn aufzubürden.

Eine Welt, die Lindner nicht kennt. Die er auch nicht kennen müsste, ginge es bei seinen Überlegungen um eine Pauschale, die hoch genug ist, um überall tatsächlich eine Wohnung neu anmieten zu können. Mit 23 Euro pro Quadratmeter ist die aktuelle Miethöhe in München Spitzenreiter; das sind selbst für eine Person bei der Durchschnittsgröße von 47,18 Quadratmetern schon 1.085 Euro. Wird Lindner also vorschlagen, eine bundesweite Pauschale von 1.085 Euro im Monat für die Kosten der Unterkunft einzuführen?

Wird er natürlich nicht. Lindner will damit sparen. "Ich glaube, dass wir hier Milliarden Euro einsparen können", erklärt er. Nun sind seit dem Jahr 2022 nicht nur die Kosten deutlich gestiegen (wie die Mieten in Deutschland), von 14,4 auf 17,3 Milliarden im Jahr; der Bundesanteil, der im Jahr 2019 noch bei 6,45 Milliarden lag, liegt mittlerweile bei 12,2 Milliarden. Wenn Lindner in diesem Bereich sparen will, heißt das, er will den Bundesanteil senken. Was natürlich, weil durch seinen Sparwunsch nicht bundesweit die Mieten fallen, dazu führt, dass eben wieder mehr Kosten bei den Kommunen hängen bleiben. Die ohnehin überfordert sind. Darum kommt er auf die tolle Idee mit der Pauschale (wobei er freundlicherweise bisher noch nicht einmal ausgeführt hat, ob er da an eine bundeseinheitliche denkt oder an eine kommunale).

Die Wirklichkeit ist aber böse. Die Menschen, die irgendwo wohnen müssen, lösen sich nicht in Luft auf, weil Lindner sparen will. Im Gegensatz zu den Waffenlieferungen an die Ukraine, die man bleiben lassen kann, ohne den mindesten Schaden in Deutschland anzurichten, hätten Lindners Sparwünsche eine unmittelbare Konsequenz.

Denn selbst, wenn die Betroffenen so dumm wären, den dann aufgezwungenen Verzicht auf Nahrung und Kleidung so, wie Lindner sich das vorstellt, als Entscheidungsfreiheit zu genießen, lautet die Konsequenz am Ende doch Wohnungsverlust und Obdachlosigkeit oder Überschuldung. Denn jeder, der auch nur einen kurzen Blick auf die Struktur des Wohnungsmarktes geworfen hat, weiß, dass es die Entscheidung für eine kleinere Wohnung nicht gibt. Allein die Mietsteigerungen der letzten Jahre haben schon dafür gesorgt, dass eine neu angemietete kleinere Wohnung genauso viel oder mehr kostet, wie eine größere, in der man schon einige Jahre wohnt. Die ganzen komplizierten Bemühungen, Wege zu finden, wie ältere Mieter ihre zu große Wohnung gegen eine kleinere tauschen können, ohne sich dabei schlechter zu stellen, gibt es nicht, weil in den Sozialverwaltungen zu wenige Büroklammern zum Spielen da waren. Und Herr Lindner könnte auch mal seine Vermieterfreunde fragen, wie sie es finden, wenn ein Mieter gar nicht mehr heizt.

Für die Kommunen wären die Pauschalen keine Lösung. Man kann natürlich zur Vertreibung der städtischen Armut übergehen, wie man das im Mittelalter manchmal hielt. Aber auch das ist eine Binsenweisheit: Eine Unterbringung in einer Notunterkunft ist oft teurer als die in einer Wohnung. Die Kommunen sparen also durch eine Pauschale, die die realen Kosten nicht deckt und Obdachlosigkeit produziert, genau: gar nichts. Im Gegenteil.

Aber man muss eigentlich das Zitat nur genau genug lesen. Schließlich sagt er: "Ich glaube, dass wir hier Milliarden einsparen können." Glauben heißt nicht wissen, und es sieht sehr danach aus, dass Lindner hier etwas ausgeplappert hat, was er davor nicht einmal mit dem zuständigen Referenten seines eigenen Ministeriums besprochen hatte. Der hätte vermutlich ein paar Zahlen aus der Wirklichkeit aus der Schublade ziehen können.

Egal. Lindner glaubt. Wenn es aber einen Schritt gibt, der aus der schleichenden Wohnungskatastrophe in Deutschland eine galoppierende macht und die Entwicklung hin zu Zeltstädten wie in den USA rasant beschleunigt, dann ist das Lindners aktueller Glauben. Das Verrückte daran ist, dass davon nicht einmal die Immobilienbesitzer profitieren, die ihm sicher näher sind als "Leistungsempfänger". Wahrscheinlich denkt er sich, bei den Umfragewerten, die die FDP derzeit erreicht, ist es ohnehin egal, ob er denkt oder halluziniert.

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