Kritik am „Sicherheitspaket“: Ärger in den Ampel-Fraktionen

Möglichst schnell wollte die Regierung Verschärfungen der Asyl- und Polizeigesetze durch den Bundestag bringen. Daraus wird nun nichts. Fachleute und auch Abgeordnete aus den Fraktionen selbst üben heftige Kritik.

Frau im schwarzen Blazer
Zumindest einige aus der SPD-Fraktion gehen nun auf Abstand zu Bundesinnenministerin Nancy Faeser. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Schnell sollte es eigentlich gehen mit dem sogenannten Sicherheitspaket der Bundesregierung. Das wünschte sich im Bundestag zuletzt jedoch offenbar vor allem die CDU-/CSU-Fraktion in der Opposition. Am Montag zeichnete sich ab, dass daraus wohl nichts wird. In einer Anhörung im Innenausschuss äußerten die geladenen Expert:innen harsche Kritik an den Vorhaben. Und auch aus den Fraktionen regte sich darauf Widerstand.

„Was mich stört, ist die Wortwahl, die von der Bundesregierung, insbesondere unserer Innenministerin, genutzt wird“, sagt die SPD-Abgeordnete Nadja Shtamer. „Sie führt die Debatte auf eine Art und Weise, die in meinen Augen nicht zielführend ist“, sagt die Abgeordnete aus Leipzig. „Es darf nicht sein, dass die Entscheidungen der aktuellen Bundesregierung von einem möglichen Kanzlerkandidaten der größten Oppositionsfraktion beeinflusst werden“, sagt Shtamer. „Wir müssen eigenständig und verantwortungsvoll handeln.“

Ein Großteil der Maßnahmen aus dem „Sicherheitspaket“ geht auf Forderungen aus dem von Nancy Faeser (SPD) geführten Innenministerium zurück. Sie und auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) haben nach dem Anschlag von Solingen immer wieder einen Zusammenhang zwischen Terrorbekämpfung und einer härteren Asylpolitik hergestellt. Der mutmaßliche Attentäter ist ein 26-jähriger Syrer, dessen Abschiebung nach Bulgarien im vergangenen Jahr gescheitert war.

„Diskurs der Stigmatisierung“

Sthamer ist nicht allein. Bereits am Dienstag haben Sozialdemokrat:innen einen offenen Brief veröffentlicht, in dem sie die Stoßrichtung im „Sicherheitspaket“ und die Rhetorik der Parteispitze hart angehen. Die Partei beteilige sich an einem „Diskurs der Stigmatisierung und Ausgrenzung“ und normalisiere die Sprache der Rechten. Sie müsse sich wieder auf ihre Grundwerte besinnen.

Unter den Initiator:innen waren neben Shtamer vier weitere Bundestagsabgeordnete, darunter Dirk-Ulrich Mende, der sich der Kritik anschließt. „Aktuell habe ich den Eindruck, dass das Dauerfeuer von Hass und Hetze gegen Geflüchtete durch die AfD und – von dieser kaum unterscheidbar – von CDU Merz und CSU Söder auch bei der SPD-Spuren hinterlassen hat und wir unsere sozialdemokratische, wertebasierte Politik mit dem Sicherheitspaket mit einigen Maßnahmen verlassen haben“, sagt Mende.

„Ein absolut zu verurteilender Terrorangriff wird nun auch von uns mit einer Verschärfung der Asylregeln und damit mit dem Generalverdacht gegen Menschen, die auf der Flucht sind, beantwortet. Dieser Schritt ist mit meinem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar“, so Mende weitere. Andere SPD-Bundestagsabgeordnete, mit denen netzpolitik.org gesprochen hat, sehen das ähnlich.

„Unvereinbar mit sozialdemokratischen Grundwerten“

Einzelne Maßnahmen aus dem Paket hält Mende schlicht für nicht wirksam. Das führe nur zu weiterem Frust mit der Regierung, was wiederum „auf das Konto der Rechten einzahlen wird“. Andere Maßnahmen hält er für verfassungswidrig. „Die auch in der Anhörung deutlich gewordenen rechtlichen Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit der Regelungen, insbesondere zu den KI-gestützten Überprüfungen, müssen ausgeräumt werden.“

Leistungskürzungen aus migrationspolitischen Erwägungen seien nicht nur rechtlich problematisch, sondern auch unvereinbar mit den sozialdemokratischen Grundwerten, sagt Mende. „Eine humane Asylpolitik muss nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes auch Asylbewerber:innen die notwendigen Mittel für ein Existenzminimum zubilligen. Das soll für bestimmte Fälle aufgehoben werden. Ich halte das aus den unterschiedlichsten Gründen für fatal und im Widerspruch zu unseren sozialdemokratischen Werten und meiner Vorstellung von Menschenwürde. Wir zwingen diese Menschen im Grunde dazu, ‚auf der Straße‘ zu leben.“

Mende, der nicht im zuständigen Innenausschuss sitzt, sagt, er habe schlicht keine Möglichkeit gesehen, seine Kritik innerhalb der Fraktion anzubringen. Es sei zu schnell gegangen. Nach der Veröffentlichung des Briefes am Dienstag, sagt Wiese, habe die Fraktion allerdings eine kritische Debatte geführt. Diese werde nun fortgesetzt.

„Radikalisierung beginnt nicht an den Grenzen“

Die Abgeordnete Annika Klose hat den Brief ebenfalls angestoßen. „Ich erlebe bei vielen Mitgliedern, aber auch bei Menschen aus meinem Wahlkreis, großes Unverständnis und Wut darüber, dass die Bundesregierung mit den Grenzkontrollen und Leistungsausschlüssen für Asylbewerber:innen Forderungen umsetzt, von denen wir uns bisher immer klar abgegrenzt haben“, sagt sie. Die Grundwerte der SPD seien Freiheit, Gleichheit und Solidarität. „Das macht auch an den Landesgrenzen nicht Halt und unterscheidet nicht nach Pässen.“

„Das größte Problem ist die grundsätzliche Richtung, die wir einschlagen: es passiert ein furchtbares, islamistisches Attentat. Aber statt alles zur Bekämpfung des Islamismus zu tun, diskutieren wir über Migration und Flucht. Das finde ich den falschen Ansatz.“ Radikalisierung beginne nicht an den Grenzen, sondern in den Köpfen. „Wir brauchen endlich das Demokratie-Fördergesetz, eine gute Finanzierung von Jugendarbeit und von politischer Bildung, Möglichkeiten der sozialen Teilhabe über Bildung und gute Arbeit. Prävention schafft Sicherheit, auch wenn sie nicht so sehr glänzt.“

So will die Bundesregierung Asyl- und Polizeigesetze verschärfen

„Aus digitalpolitischer Sicht verbesserungswürdig“

„Die Gesetze aus dem Sicherheitspaket sind aus digitalpolitischer Sicht gelinde gesagt verbesserungsbedürftig“, sagt auch ihre SPD-Mitabgeordnete Anna Kassautzki. Mit Blick auf die Pläne, dem Bundeskriminalamt auch die biometrische Fahndung im Internet und Big-Data-Analysen zu erlauben, sagt sie: „Es gibt Stand jetzt keine Verfahren am Markt, die Grundrechts- und Datenschutzkonform, geschweige denn konform mit dem AI Act oder dem Koalitionsvertrag die beschriebenen Aufgaben lösen würden. Trotzdem sollen hier Befugnisse geschaffen werden, ohne zu spezifizieren, wie genau.“

Die Ampel hatte in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben: „Flächendeckende Videoüberwachung und den Einsatz von biometrischer Erfassung zu Überwachungszwecken lehnen wir ab.“ Der frisch verabschiedete AI Act der Europäischen Union verbietet es außerdem, Gesichtsbilder aus dem Internet zu sammeln, um damit biometrische Suchmaschinen zu füttern – genau diese biometrische Suche im Netz soll dem BKA und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge laut „Sicherheitspaket“ erlaubt werden.

„Als sozialdemokratische Digitalpolitikerin ärgert es mich schon lange, dass ständig so getan wird, als ob Technik und ‚künstliche Intelligenz‘ plötzlich alle unsere gesellschaftlichen Probleme lösen würden“, sagt Kassautzki. In den Kommunen und Behörden fehle es an digitaler Basis-Infrastruktur, an Integrationshilfen und präventiver Extremismusbekämpfung. „Was wir eigentlich brauchen, ist die bessere Unterstützung der Kommunen bei diesen Aufgaben, bezahlbarer Wohnraum oder gute Schulen und Kitas, und das werden nicht durch das Hochziehen von Grenzen oder eine KI-Datenbank erreichen.“

SPD-Fraktionsspitze macht weiter Druck

Trotz dieser Kritik hält die Fraktionsspitze der SPD weiter daran fest, die Entwürfe zügig durchzubringen. Nach der Expertenanhörung am Montag sagte Fraktionsvize Dirk Wiese, seine Fraktion werde die Kritik nun mit den Koalitionspartnern auswerten. „Hier geht Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“ Ziel sei aber weiterhin, „dass wir das Paket so schnell wie möglich beschließen werden“.

In der Anhörung im Innenausschuss am Montag hatten Fachleute die geplanten Maßnahmen aus den Gesetzentwürfen teils sehr scharf kritisiert. Die geplante Ausweitung der Befugnisse für Ermittlungsbehörden nannte der Jurist Dennis-Kenji Kipker einen „sicherheitsbehördlichen Daten-Supergau“. Die Vorschläge überträfen alles, was es bisher im Bereich der digitalen Überwachung gegeben habe.

Mehrere Fachleute wiesen darauf hin, dass die Pläne nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts oder mit Europarecht vereinbar seien, so etwa die Streichung der Sozialleistungen für bestimmte Geflüchtete. Die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Louisa Specht-Riemenschneider kritisierte, ihr Haus sei bei der Erstellung der Vorlagen nicht mal einbezogen worden. Sie warnte davor, übereilt Befugnisse für „grundrechtsintensive Maßnahmen“ wie biometrische Erkennung zu schaffen.

Bundesinnenministerium muss nachbessern

Bei den Grünen hat man auch deswegen wenig Interesse daran, die Maßnahmen schnell durchzubringen. Fraktions-Vize Konstantin von Notz sagt: „Als grüne Bundestagsfraktion haben wir von vornherein gesagt, dass es mit Blick auf die zahlreichen, tiefgehenden europa- und verfassungsrechtlichen Fragen, die sich mit Blick auf die Vorlage der Bundesregierung stellen, Aufgabe des Parlaments ist, sich die notwendige Zeit zu nehmen, die es braucht, um all diese offenen Fragen im weiteren Gesetzgebungsprozess intensiv zu beleuchten.“

Die Anhörung am Montag habe gezeigt, „wie groß die Fragezeichen mit Blick auf die Vorlage sind“. Die vielen noch zu klärenden Fragen würden nun im Rahmen der Gespräche zwischen den Fraktionen und den Ministerien erörtert.

An das Ministerium von Nancy Faeser gerichtet sagt von Notz: „Das Bundesinnenministerium ist in der Pflicht, die Vorlage an zahlreichen Stellen nachzubessern. Hierbei müssen nicht nur europarechtliche Vorgaben, sondern auch die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zwingend Beachtung finden.“ Anfang Oktober wird ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum unter der Großen Koalition reformierten BKA-Gesetz erwartet.

Auch die Grünen-Innenpolitikerin Irene Mihalic betont, dass es darum geht, das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum BKA-Gesetz nächste Woche abzuwarten. „Es wäre nicht gut, wenn wir im Bundestag ein Gesetz beschließen, dass kurz danach wieder verändert oder gar in Teilen zurückgezogen werden muss.“

„Fast alle Sachverständigen haben mit unterschiedlichen Schwerpunkten vermittelt, dass das Sicherheitspaket so noch nicht verabschiedet werden sollte“, sagt Mihalic. „Sie haben uns als Koalitionsfraktionen noch einmal Hausaufgaben mitgegeben, die wir akribisch erledigen sollten.“


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