Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin von 2005 bis 2021, beschreibt in ihren Memoiren ein Treffen mit dem designierten US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2017 und hebt dessen besonderes Interesse für den russischen Präsidenten Wladimir Putin hervor. Auszüge aus dem Buch veröffentlichte das Blatt Die Zeit, das vorab Zugang zu Teilen der Memoiren erhalten hatte.
Ihr Buch mit dem Titel "Freiheit. Erinnerungen 1954-2021", das sie gemeinsam mit ihrer langjährigen Vertrauten Beate Baumann verfasst hat, wird am 26. November in Berlin vorgestellt.
In ihren Memoiren erklärt Merkel, dass Donald Trump ihr eine Reihe von Fragen gestellt habe, darunter zu ihrer ostdeutschen Herkunft und ihrem Verhältnis zu Wladimir Putin. Merkel hatte Trump erstmals im März 2017 während dessen ersten Amtszeit getroffen. Sie beschreibt Trump als "fasziniert" von Putin:
"Der russische Präsident faszinierte Trump offenbar sehr. In den folgenden Jahren hatte ich den Eindruck, dass Politiker mit autokratischen und diktatorischen Zügen ihn in ihren Bann zogen."
Trump habe Deutschland und Merkel im Wahlkampf mehrfach kritisiert, schildert die ehemalige Kanzlerin:
"Er behauptete, dass ich Deutschland durch die Aufnahme der vielen Flüchtlinge im Jahr 2015 und 2016 ruiniert hätte."
Zudem habe Trump Deutschland vorgeworfen, zu wenig Geld für die Verteidigung auszugeben, und unfaire Handelspraktiken angesichts des Handelsüberschusses gegenüber den USA kritisiert. Sie habe es erstaunlich gefunden, dass sich ein Präsidentschaftskandidat in den USA für eine deutsche Bundeskanzlerin interessiere.
Nach dem Motto "Viel Feind, viel Ehr" hätte sie mit ihrer Rolle zufrieden sein können, aber Galgenhumor habe in dieser Situation nicht geholfen. Ihre Aufgabe sei es gewesen, alles für ein vernünftiges Verhältnis zwischen den beiden Ländern zu tun, ohne auf die zahlreichen Provokationen einzugehen:
"Ich entkräftete die Vorwürfe durch die Wiedergabe von Zahlen und Fakten. Wir redeten auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Trump auf der emotionalen, ich auf der sachlichen."
Weiter erzählt Merkel, Trump habe ihren Argumenten nur selten Gehör geschenkt, und wenn, dann meist nur, um neue Vorwürfe daraus zu konstruieren. Eine Lösung der angesprochenen Probleme sei offensichtlich nicht sein Ziel gewesen. Sie habe den Eindruck gehabt, dass es ihm darum gegangen sei, seinem Gesprächspartner ein schlechtes Gewissen zu machen.
In ihrem Buch erklärt Merkel, dass sie in den meisten Gesprächen mit Trump gute Argumente auf ihrer Seite gehabt habe. Ein Schwachpunkt seien jedoch die Verteidigungsausgaben gewesen, worauf sie auch von Obama immer wieder hingewiesen worden sei. Mit Trump habe dieses Thema jedoch eine gefährlichere Wendung genommen, da er die NATO als gemeinsames Sicherheitsbündnis in Frage gestellt habe. Merkel wörtlich:
"Mir war bewusst, dass wir als Deutsche für unsere eigene Sicherheit auf die NATO angewiesen waren. Deshalb betonte ich, welchen Beitrag wir beim gemeinsamen Einsatz in Afghanistan leisteten."
Aus ihren Gesprächen habe sie den Schluss gezogen, dass eine gemeinsame Arbeit für eine vernetzte Welt mit Trump nicht möglich sei. Er beurteile alles aus der Perspektive des Immobilienunternehmers. Jedes Stück Land konnte nur einmal vergeben werden. Wenn er es nicht bekam, bekam es ein anderer. So habe er auch die Welt gesehen: Alle Länder stünden in Konkurrenz zueinander, der Erfolg des einen sei der Misserfolg des anderen.
In ihren Memoiren beschreibt Merkel auch ihre Eindrücke von Putins Rede in München im Jahr 2007. Sie habe in der ersten Reihe gesessen und Putin während seiner Rede gut beobachten können. Er habe schnell und teilweise frei gesprochen. Besonders beeindruckt habe sie seine Selbstgerechtigkeit.
In der Münchner Rede habe sich Putin so präsentiert, wie sie ihn erlebt habe, und zwar als jemand, der immer auf der Hut sei, nicht schlecht behandelt zu werden, und der immer bereit sei, auszuteilen, "inklusive Machtspielchen mit dem Hund und dem Andere-auf-sich-warten-Lassen", so Merkel:
"Das alles konnte man kindisch, verwerflich finden, man konnte den Kopf darüber schütteln. Aber damit verschwand Russland nicht von der Landkarte."
Seit Putin im Jahr 2000 russischer Präsident geworden sei, habe er alles daran gesetzt, Russland wieder zu einem Akteur auf der internationalen Bühne zu machen, an dem niemand vorbeikomme – schon gar nicht die USA. Dabei sei es ihm nicht um den Aufbau demokratischer Strukturen oder um Wohlstand für alle durch eine gut funktionierende Wirtschaft gegangen, weder in seinem Land noch anderswo, behauptet Merkel.
Vielmehr habe er etwas dagegen tun wollen, dass die USA als Sieger aus dem Kalten Krieg hervorgegangen seien. Er habe gewollt, dass Russland auch in einer multipolaren Welt nach dem Ende des Kalten Krieges ein unverzichtbarer Pol bleibe:
"Putins Referenzpunkt waren einzig und allein die USA, um nicht zu sagen, dass er von den Rollen träumte, die die ehemalige Sowjetunion und die USA in den alten Zeiten des Kalten Kriegs hatten, als sie sich als zwei Supermächte gegenüberstanden."
In ihrem Buch spricht Merkel auch das Thema der NATO-Beitritte der Ukraine und Georgiens an. Die Ablehnung des Mitgliedschaftsaktionsplans für Georgien und die Ukraine sei für sie ein Nein zu ihren Hoffnungen gewesen. Gleichzeitig habe die NATO eine generelle Beitrittszusage in Aussicht gestellt, was für Putin ein Ja zur NATO-Mitgliedschaft beider Länder und damit eine Kampfansage gewesen sei.
In einem anderen Zusammenhang soll Putin Merkel später gesagt haben:
"Du wirst nicht ewig Bundeskanzlerin sein. Und dann werden sie NATO-Mitglied. Und das will ich verhindern."
In diesem Moment habe Merkel nur eines gedacht: "Du bist auch nicht ewig Präsident".
Gleichzeitig sei deutlich geworden, dass die NATO keine gemeinsame Strategie im Umgang mit Russland habe, so Merkel. Viele Mittel- und Osteuropäer hätten wenig Bereitschaft gezeigt, in die Beziehungen zu Russland zu investieren.
"Sie schienen sich zu wünschen, dass das Land einfach verschwinden würde, dass es nicht existiert."
Merkel räumt ein, dass sie dies den Menschen kaum verübeln könne, denn sie hätten lange unter der Sowjetherrschaft gelitten und anders als die Deutschen in der DDR nach 1990 nicht das Glück gehabt, in Frieden und Freiheit mit einer fest im europäischen und transatlantischen Bündnis verankerten Bundesrepublik Deutschland wiedervereint zu sein.
"Doch Russland, nuklear hochgerüstet, existierte. Es war und ist geopolitisch nicht wegzudenken, schon allein deshalb nicht, weil es zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, Großbritannien und China eines der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrats mit Vetorecht ist."
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