Die Chatkontrolle hat im EU-Rat nicht die nötige Zustimmung bekommen. Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen können erst einmal aufatmen: Die gefährlichen Überwachungspläne stecken fest – bis zur nächsten Abstimmung.
Im Rat der EU hat die Chatkontrolle heute weiterhin nicht die erforderliche Zustimmung erhalten, welche die Überwachungsverordnung nach Jahren in den Verhandlungstrilog mit Kommission und Parlament bringen würde. Damit ist die Ratspräsidentschaft Ungarn wie andere vor ihr an diesem Versuch gescheitert. Das liegt auch daran, dass die Ratsentwürfe bislang immer nur kosmetische Änderungen enthalten haben, welche die von mehreren Staaten formulierte Kritik nicht aufnehmen.
Zu den Ländern, die derzeit gegen die Chatkontrolle sind – und sich bei der Abstimmung enthalten haben – gehören nach Informationen von netzpolitik.org neben Deutschland, Belgien, Luxemburg, Polen, Tschechien, Slowenien, Estland, Finnland und Österreich auch die Niederlande. Letztere hatten sich zuletzt deutlich gegen die Chatkontrolle ausgesprochen. Die Gegner-Länder repräsentieren mehr als 35 Prozent aller EU-Einwohner:innen. Stimmen sie dem Verordnungstext nicht zu, kann dieser nicht angenommen werden. Die Verhandlungen um den Text gehen deshalb weiter, bis mehr Länder zustimmen oder er zurückgezogen wird.
Kein echter Kompromiss
Eine Kernkritik dieser Länder richtet sich gegen das Client-Side-Scanning, also die Durchleuchtung von Inhalten direkt auf dem Gerät der Bürger:innen. Der aktuelle ungarische Entwurf, den wir hier im Volltext veröffentlichen (PDF), sieht vor, dass es Client-Side-Scanning für visuelle Inhalte und URLs geben soll. Text- und Audioinhalte sollen nicht gescannt werden. Verschlüsselte Inhalte sollen nur gescannt werden, wenn Nutzer:innen dem zustimmen. Tun sie das nicht, könnten sie aber keine Links, Bilder oder Videos mehr in den Apps verschicken.
Das eigentliche Problem bleibt damit bestehen: Das Gesetz würde eine umfassende Infrastruktur für die anlasslose Überwachung privater Kommunikation aufbauen. Würde die Verordnung umgesetzt, wäre das ein herber Schlag gegen Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in Europa.
Elina Eickstädt, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, sagt gegenüber netzpolitik.org: „Die Enthaltungen haben gezeigt, dass für viele Länder das Gesetz erst zustimmungsfähig wird, sobald das Scannen von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation nicht mehr enthalten ist.“ Die Enthaltung der Bundesregierung sei eine „kleine Enttäuschung, aber leider keine Überraschung“, so Eickstädt weiter. Sie hätte sich hier eine klarere Ablehnung Deutschlands gewünscht.
Kritik hält an
Gegen die Vorschläge von Kommission und Rat gibt es schon lange breite Kritik. Der verschlüsselte Messenger Signal hatte angekündigt, sich aus Europa zurückzuziehen, wenn das Gesetz in dieser Form kommen sollte. Wissenschaftler:innen aus der ganzen Welt haben immer wieder vor dem Vorhaben gewarnt, genau so wie Verbände von Informatiker:innen. Selbst der niederländische Geheimdienst warnte vor der Chatkontrolle.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) spricht sich in einer Pressemitteilung erneut gegen die Chatkontrolle aus. David Albrecht, Mitglied im DAV-Ausschuss für das Recht der Inneren Sicherheit, sagt: „Verschlüsselte Kommunikation würde unter der Chatkontrolle ein Ende finden. Der ungarische Vorschlag ist, wie alle anderen vor ihm, ein nicht hinnehmbarer Eingriff in Bürgerrechte und Privatsphäre. Das automatische Scannen jedes digitalen Datenaustauschs darf keine Praxis in der EU werden.“
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