Ein exklusives Spielepaket des Mobilfunkbetreibers Telekom Deutschland setzt auf eine spezielle 5G-Technik, die das Internet in unterschiedlich behandelte Klassen einteilt. Ob das die Netzneutralität verletzt, prüfen nun Regulierungsbehörden und Verbraucherschützer:innen.
Auf den ersten Blick sieht die Tarifoption für Online-Spiele verlockend aus. Mit der vergangene Woche auf den Markt gebrachten „5G+ Gaming“-Option will die Telekom Deutschland „innovative 5G-Netzfunktionen“ des aktuellen Mobilfunkstandards ausreizen. Das soll auch unterwegs ein ruckel- und verzögerungsfreies Spielerlebnis bieten, heißt es im Werbetext des Unternehmens. Mit der bevorzugten Datenverbindung sei man Gegner:innen „immer einen Schritt voraus“, lockte die Telekom auf der vergangenen Gamescon die Zielgruppe.
Damit begibt sich der Netzbetreiber auf gefährliches Terrain. Thomas Lohninger von der digitalen Grundrechteorganisation epicenter.works spricht von einer „klaren Verletzung der Netzneutralität“.
Seit 2016 schützt in der EU ein Gesetz das offene Internet. Zum einen sollen die Regeln die Diskriminierung von Nutzer:innen und Online-Diensten verhindern, zum anderen das Ökosystem des Internets insgesamt bewahren. Das als Netzneutralität bekannte Prinzip sorgt dafür, dass Online-Angebote für alle frei erreichbar bleiben, ohne bezahlpflichtige Überholspuren oder beschnittene, Kabel-TV-artige Internetpakete.
Spezialdienste als Überholspur
Produkten wie „5G+ Gaming“ sind deshalb enge Grenzen gesetzt. Grundsätzlich sind solche sogenannten Spezialdienste, die bevorzugt ausgeliefert werden, zwar nicht ausdrücklich verboten. In Leitlinien, mit denen die europäischen Regulierungsbehörden (BEREC) das EU-Gesetz technisch abrunden, sind die Auflagen für Netzbetreiber im Detail ausgeführt.
Demnach dürfen Spezialdienste herkömmliche Internet-Zugangsangebote nicht ersetzen, sie müssen zudem für spezifische Anwendungen oder Inhalte optimiert sein, und die Notwendigkeit der Optimierung muss objektiv nachweisbar sein. Außerdem dürfen die Überholspuren nicht zu Lasten des offenen Internets gehen, andere Nutzer:innen und ihre Datenverbindungen dürfen also nicht ausgebremst werden.
Technisch setzt die Telekom auf sogenanntes „Network Slicing“, einen in den 5G-Mobilfunk eingebauten Standard. Damit lässt sich das Netz auf einer physischen Infrastruktur, also etwa einer Funkzelle, quasi in mehrere virtuelle Scheiben schneiden. Jeder „Slice“ erhält dann eigene Einstellungen für die Bandbreite, Latenz und sonstige Netzwerkparameter. Dass Netzbetreiber 5G und Network-Slicing-Methoden nutzen könnten, um die Netzneutralität zu untergraben, deutete sich schon vor Jahren an.
Eigener Netzwerk-Slice für „Sora Stream“
Eine Person, die netzpolitik.org liest, konnte das Paket buchen und ihre Erfahrungen mit netzpolitik.org teilen. Hierfür hat die Person mit einem kompatiblen Smartphone ausgelesen, was technisch bei der Verbindung über „5G+ Gaming“ passiert. Demnach legt das Telekom-Netz beim Aktivieren des Spieledienstes „Sora Stream“, der Teil der Tarifoption ist, einen neuen Zugangspunkt (APN, Access Point Name) auf dem Handy an. Dies ist sowohl im neu in Betrieb genommenen 5G-Standalone-Netz, als auch im LTE-Netz (4G, die noch weit verbreitete Vorgängergeneration), der Fall.
Zugeteilt wird diesem logisch vom sonstigen Internetzugang getrennten „Slice“ eine bestimmte Bandbreite, die einem Zugangsprodukt entspricht. Im LTE-Netz, welches kein Slicing unterstützt, erhält die Verbindung einen besonders hohen QCI-Wert. Das soll eine hohe Dienstgüte (Quality of Service, QoS) garantieren. Diese Einstellungen betreffen lediglich die Funkverbindung, weitere Optimierung der Datenverbindung auf dem Rest der Strecke sind denkbar und wahrscheinlich.
Für manche Gamer:innen kann die garantierte Übertragungsbeschleunigung ein echter Vorteil sein. Aber verstößt das nicht gegen die Regeln zur Netzneutralität? Eine Sprecherin der Telekom versichert, dass sich das Unternehmen an die rechtlichen Vorgaben halte. Die 5G-Funktionen sorge für eine optimierte und stabile Latenz, nur mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen, so die Sprecherin. „Die Bandbreite aller anderen Nutzer einer Mobilfunkzelle wird dadurch nicht beeinflusst, keinem wird etwas weggenommen.“
Testen, was geht
Indes ist es nicht das erste Mal, dass die Telekom Deutschland die Grenzen der EU-Regeln testet. Jahrelang hatte der Netzbetreiber, wie viele andere europäische Anbieter auch, ein sogenanntes Zero-Rating-Produkt im Angebot. Bei solchen Modellen wird der Zugriff auf bestimme Online-Dienste nicht auf das monatliche Transfervolumen angerechnet. Unter anderem ließ sich das Telekom-Zusatzpaket „StreamOn Gaming“ buchen, um darüber ausgewählte Spiele ohne Belastung des Datenvolumens abzurufen.
EU-Regulierer hatten dieses mit der Netzneutralität kaum vereinbare Modell zunächst mit Auflagen genehmigt, abgesägt wurde es nach jahrelangen Gerichtsverfahren letztlich vom Europäischen Gerichtshof: Die ungleiche Behandlung von Datentransfers „auf Grundlage kommerzieller Erwägungen“ sei mit den EU-Regeln nicht vereinbar, so das wegweisende EuGH-Urteil aus dem Jahr 2021.
Geklagt hatten damals sowohl die Bundesnetzagentur als auch der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), die unterschiedliche Teile der Zero-Rating-Angebote deutscher Netzbetreiber für illegal hielten. Dieses Schicksal könnte auch dem „5G+ Gaming“-Tarif drohen. Die Bundesnetzagentur wird die Tarifoption „auf Konformität zu den Netzneutralitätsregeln“ überprüfen, so ein Sprecher gegenüber netzpolitik.org. Und auch der vzbv wird das Angebot des Netzbetreibers näher unter die Lupe nehmen, bestätigt die Verbraucherschutzorganisation auf Anfrage.
Exklusive Spielwiese mit Zutrittsbarrieren
Hinzu kommt, dass „5G+ Gaming“ nur einen einzigen, exklusiven Partner hat. Über die Cloud-Plattform „Sora Stream“ lassen sich Titel wie Fortnite, PUBG oder 9 Years of Shadows spielen. Die Exklusivität des Angebots beziehe sich auf die Marketingpartnerschaft mit Sora Stream der Firma Ludium, gibt die Telekom-Sprecherin an. „Darüber hinaus sind wir aktiv auf der Suche nach weiteren Partnern.“
Ob es hierbei fair zugeht, lässt sich derzeit schwer sagen. Als gesichert gilt jedoch, dass nicht alle Anbieter die Möglichkeit haben, Zutrittsschranken zu überwinden, selbst wenn sich ein Angebot als diskriminierungsfrei ausgibt. Neben kleineren Podcastern hatte etwa selbst der weltweit bekannte Video-Anbieter Vimeo nicht genügend Ressourcen, um beim damaligen StreamOn-Angebot der Telekom mitzumachen.
„Die Teilnahme an Zero-Rating-Angeboten wie StreamOn ist kein kostenfreies Unterfangen und dürfte deshalb größere Platzhirsche auf Streaming-Märkten zum Nachteil kleinerer Anbieter bevorzugen“, erklärte das Unternehmen damals gegenüber der Bundesnetzagentur.
Spezialdienste könnten Kosten in die Höhe treiben
Diese Gefahr sieht Thomas Lohninger auch bei „5G+ Gaming“: „Eine bezahlte Überholspur würde den großen Diensteanbietern nutzen und die Kleinen vom Markt vertreiben“. Dies könnte nicht nur die Vielfalt des Angebots einschränken, sondern auch die Kosten für die Endnutzer:innen erhöhen. „Die bezahlte Überholspur würden sich die großen Diensteanbieter nämlich einfach durch höhere Preise von uns Kund:innen finanzieren lassen“, sagt Lohninger.
Ein Verbot des Spielepakets durch die Bundesnetzagentur sei deshalb dringend geboten, so der Netzneutralitätsexperte. In der Vergangenheit habe die Deutsche Telekom schon mehrmals EU-Recht gebrochen und sei damit wirtschaftlich gut gefahren, etwa bei StreamOn. „Wenn es nicht endlich empfindliche Strafen für dieses Verhalten gibt, wird der Rechtsbruch dauerhaft zum Geschäftsmodell der Deutschen Telekom“, sagt Lohninger.
Update, 28. Oktober: Screenshots hinzugefügt.
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