Worum geht es bei den Terrorismusvorwürfen gegen den gestürzten pakistanischen Premierminister?

Von Maria Müller

Die Medienaufsichtsbehörde Pakistans hat Fernsehsendern verboten, die Reden des ehemaligen Premierministers Imran Khan zu übertragen. Worum geht es?

Die Rede von Imran Khan auf einer Kundgebung sei Terrorismus

Die politisierte Justiz leitete eine Ermittlung wegen Terrorismus ein, nachdem Imran Khan, der abgesetzte ehemalige Premierminister Pakistans, auf einer Kundgebung vor seinen Anhängern dem Polizeichef von Islamabad und einer Richterin gedroht hatte:

"Hören Sie, Generalinspektor , wir werden Sie nicht gehen lassen, wir werden eine Klage gegen Sie einreichen. Und Frau Richterin, bereiten Sie sich auch vor, wir werden gegen Sie vorgehen."

Das Einreichen einer Klage anzukündigen, stellt allerdings auch in Pakistan keinen Straftatbestand dar. Khan sprach vor Hunderten seiner Anhänger der pakistanischen Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) während einer Kundgebung zur Unterstützung seines ehemaligen Stabschefs Shahbaz Gill, der Anfang dieses Monats wegen Volksverhetzung verhaftet wurde. Er hatte Soldaten aufgefordert, Befehlen des Militärchefs nicht Folge zu leisten.

Ehemaliger Stabschef wegen "Volksverhetzung" verhaftet

Khan hat behauptet, die Polizei habe Gill während seiner Haft gefoltert. Die Behauptungen fanden bei Anhängern des ehemaligen Präsidenten Anklang. Die Vorwürfe wurden jedoch vom Innenministerium der neuen Regierung zurückgewiesen.

Der Informationsminister Marriyum Aurangzeb beschuldigte den ehemaligen Premierminister, "das Volk zu Gewalt, Anarchie, Rebellion und Unruhen aufzustacheln". Richter Ali Javed, der ein  Verfahren gegen Khan einleitete, bestand seinerseits darauf, dass die Rede darauf abzielte, hochrangige Polizeibeamte und Richter zu "terrorisieren", damit sie ihre Pflichten nicht erfüllen und keine Maßnahmen gegen Personen ergreifen sollten, die mit Khan in Verbindung stehen.

"Der Terrorismus hat sich ausgebreitet und der Frieden des Landes wurde beschädigt", schrieb Richter Javed in dem Dokument.

Unterstützer Khans wollten seine Verhaftung verhindern

Khans Anwälte sagten, sie würden die Anklage anfechten. Hunderte seiner Unterstützer versammelten sich vor seinem Haus in Islamabad und prangerten den neuen Premierminister Shehbaz Sharif an, seinen wichtigsten politischen Rivalen zum Schweigen bringen zu wollen.

"Die terroristischen Anklagen gegen Imran Khan sind völlig voreingenommen. Wir werden vor Gericht gehen, um diese Anschuldigungen anzufechten", sagte Iftikhar Durrani, ein hochrangiger Beamter und Mitglied der aus der Macht gedrängten Partei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI) von Imran Khan.

Zensur auf YouTube und im Fernsehen

Die pakistanische Medienaufsichtsbehörde untersagte TV-Kanälen die Ausstrahlung von Khans Reden, und YouTube wurde letzten Sonntag bei mehreren Anbietern im Land "kurz" gesperrt, als Khan eine aus der Stadt Rawalpindi übertragene Rede hielt. Der Internet-Tracking-Dienst NetBlocks sagte, der Ausfall sei bei einigen Anbietern aufgetreten, aber nicht bei allen. Der Zugang zur Videoplattform wurde wiederhergestellt, nachdem der Ex-Premier seine Rede beendet hatte.

Khan seinerseits kritisierte die derzeitige Regierung, nannte sie "faschistisch" und "importiert". Der PTI-Führer twitterte, dass die Exekutive "heute auf ein neues Niveau gesunken" sei, nachdem sie seine Reden "im Fernsehen verboten und YouTube vorübergehend blockiert" habe. "Dies ist nicht nur ein schwerer Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, sondern wirkt sich auch negativ auf die digitale Medienbranche und die Lebensgrundlagen vieler aus", prangerte er die Vorfälle an.

Khan leitete die Regierung Pakistans bis zum 10. April. Danach verlor er durch einen Misstrauensantrag im Parlament sein Amt. Er ist der erste Regierungschef in der Geschichte Pakistans, der durch einen Misstrauensantrag von der Macht verdrängt wurde.

Khan wirft den USA eine Verschwörung gegen ihn vor

Zuvor hatte Khan Washington wiederholt vorgeworfen, "eine Verschwörung" geplant zu haben, um ihn aus dem Amt zu entfernen. Am 31. März erwähnte der damalige Premierminister "zufällig" die USA als verantwortlich für die Situation. Ein "ausländischer Staat" wolle ihn durch einen Misstrauensantrag absetzen. "Die Vereinigten Staaten, oh, nicht die Vereinigten Staaten, sondern ein fremder Staat, den ich nicht nennen kann", sagte der Präsident und bemerkte, dass das nicht näher bezeichnete Land ihm eine "Nachricht" geschickt habe, um zu versuchen, sich in Pakistans Innenpolitik einzumischen. Sie lautete, er solle sich zurückziehen. In diesem Fall werde man Pakistan seine Fehler verzeihen.

Die vormalige Menschenrechtsministerin Shireen Mazari bezichtigte damals die USA, an Khans Absetzung beteiligt zu sein.

"Die Vereinigten Staaten haben uns gesagt, dass Pakistan verschont bleiben wird, wenn Imran eliminiert wird. Ich frage, wer zum Teufel sind die Vereinigten Staaten, die uns verschonen?", sagte Mazari.

Wegen seiner Position gegenüber Russland abgesetzt?

Khan beschuldigte die USA, wegen seiner neutralen Haltung gegenüber Russlands Militäroperation in der Ukraine das interne politische Manöver gegen ihn beeinflusst zu haben. Er war nach einer lange vorbereiteten Agenda am 23. und 24. Februar in Moskau eingetroffen, just einen Tag vor Beginn der "speziellen Militäroperation Russlands" in der Ukraine. Dort unterzeichnete er gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Putin ein Abkommen über den Import von rund 2 Millionen Tonnen Weizen und den Kauf von russischem Erdgas.

Islamabad und Moskau haben 2015 und 2021 zwei Abkommen über den Bau einer 1.100 Kilometer langen Gaspipeline zwischen Karatschi und Lahore, der größten und der zweitgrößten Stadt des Landes, unterzeichnet. Der Bau des Projekts im Wert von 2.500 Millionen US-Dollar soll ab 2023 beginnen.

In letzter Zeit hatten sich die pakistanisch-US-amerikanischen Beziehungen auch aufgrund der Situation in Afghanistan verschlechtert. Die USA beschuldigten Pakistan, die Taliban zu unterstützen. Washington seinerseits wies Khans Behauptung rundweg zurück, dass sich die USA an einer Verschwörung beteiligten, um ihn von der Macht zu entfernen.

Die USA weisen die Einmischung in innere Angelegenheiten zurück

"An dieser Anschuldigung ist absolut nichts dran", sagte die Kommunikationsdirektorin des Weißen Hauses Kate Bedingfield gegenüber Reportern, nachdem der pakistanische Politiker behauptet hatte, die Vereinigten Staaten seien Teil einer Verschwörung, um ihn wegen seiner "unabhängigen Außenpolitik" abzusetzen. Parallel dazu beschuldigte Khan Pakistans bisherige Oppositionsparteien, "Marionetten der ausländischen Macht" zu sein.

Khan hatte sich seit seinem Regierungsantritt 2018 als Verfechter eines multilateralen Ansatzes in den Außenbeziehungen seines Landes positioniert. Die bedeutenden jüngsten Entwicklungen in der russisch-pakistanischen Beziehung, mit denen der Premierminister seine multipolaren Ambitionen umsetzte, versprachen dem Land bedeutende wirtschaftliche Fortschritte. Doch mit seinem Moskau-Besuch überschritt er offenbar eine rote Linie. Das konservative Lager Pakistans, das sich traditionell den USA zuneigt, nutzte die Wirtschaftsprobleme nach der Pandemie, um Khan persönlich dafür verantwortlich zu machen. Teile seiner Regierungskoalition wechselten ins Lager der Opposition und ermöglichten den Erfolg des Misstrauensvotums.

Die Macht im Hintergrund ist das Militär

Der wahre Machtfaktor in Pakistan ist jedoch immer noch das Militär. Ohne grünes Licht seitens der Streitkräfte wären die pakistanischen Oppositionsführer nicht in der Lage gewesen, Khan zu stürzen. Seit der Geburtsstunde Pakistans vor etwa 75 Jahren lenkt die Armee das Land, das mit dem Abzug der britischen Kolonialmacht von Indien abgetrennt wurde. Berichten zufolge häuften sich in letzter Zeit Meinungsverschiedenheiten zwischen Armeechef Qamar Javed Bajwa und Imran Khan. Der Armeechef möchte die Beziehungen zu den USA beibehalten und ausbauen, da er westliche Ausrüstung und Ausbildung bevorzugt. Die USA trauten Khan zudem nicht, weil er den Taliban zugeneigt ist und sich geweigert hatte, für die US-Amerikaner auf pakistanischem Boden Krieg zu führen.

Die Anwälte Babar Awan und Faisal Chaudhry behaupten, ihr Mandant, der ehemalige Premierminister, sei wegen seiner furchtlosen Kritik und energischen Haltung gegen die Korruption zur Zielscheibe der regierenden Partei "Pakistan Democratic Movement" (PDM) geworden. Die Regierung habe beschlossen, alles zu unternehmen, um Khan unter "falschen Anschuldigungen" zu verhaften. Sie sei entschlossen, ihn und seine Partei um jeden Preis zu vernichten.

Der neue Premierminister Shehbaz Sharif stammt aus einer traditionellen Politikerfamilie, deren Mitglieder seit Jahrzehnten hohe Ämter im Staat und in der Regierung einnehmen. Machtmissbrauch, Korruption und Vetternwirtschaft sollen ihr Ansehen in der Bevölkerung stark geschmälert haben.

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