Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Dr. Stefan Holzheu
Wer kennt sie nicht, diese Posts, Sharepics oder empörte Interviews, in denen in schrillsten Tönen das Ende der Industrienation Deutschland angekündigt wird. Schaut man sich die Urheber dieser Posts genauer an, fällt auf, dass viele dieser Aussagen einer Faktenprüfung nicht standhalten und die Verfasser in vielen anderen Bereichen massive Faktenleugnung betreiben. Natürlich geht es dabei oft nur darum, die Stimmung des eigenen Klientel zu bedienen. Doch gefährlich wird es, wenn diese Faktenleugnung die öffentliche Meinung manipuliert oder gar in konkreten politischen Beschlüssen mündet. Dann kostet Faktenleugnung nicht nur Geld und verzögert Maßnahmen gegen die Klimakrise, sondern gefährdet ironischerweise am Ende die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Industriestandort. Schauen wir uns als Beispiele 3 Fake-Behauptungen an:
1. Fake zu den Auswirkungen von Infraschall an Windenergieanlagen
Windenergie ist nach PV die Stromerzeugungstechnologie mit den höchsten Zubauraten weltweit. Gerade Windkraft an Land war lange Zeit die kostengünstigste Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Nach Fukushima gab es so etwas wie eine Aufbruchstimmung in Deutschland. Die AKWs sollten nun doch abgeschaltet werden und dafür insbesondere die Windenergie ausgebaut werden. Horst Seehofer redete schon davon, dass Bayern zum Musterland der Energiewende wird. Die Zubauzahlen gingen in die Höhe.
Doch mit dem erfolgreichen Zubau wuchs auch der Widerstand. Fossile Thinktanks wie z.B. EIKE machten massiv Stimmung gegen den Ausbau der Windenergie. Ein ganz besonderes Argument der Windkraftgegner war dabei der angeblich krank machende Infraschall von Windenergieanlagen. Auch wenn sich der Gesetzgeber nie wirklich klar dazu geäußert hat, ist anzunehmen, dass dieses Argument in diverse Mindestabstandgesetze (wie z.B. das bayerische 10H Gesetz) eingeflossen ist. Man musste ja die Bevölkerung irgendwie vor den Windenergieanlagen „schützen“.
Infraschall-Argument: wissenschaftlich unhaltbar, für den Industriestandort schädlich
Wissenschaftlich war und ist Infraschall von Windenergie-Anlagen völliger Humbug. Die Pegel sind schlicht viel zu schwach, um auch nur eine Wahrnehmung zu ermöglichen (siehe Abbildung 1). Das belegen alle wissenschaftlichen Doppelblindversuche. Eine angebliche Schädigung auf Zellebene, wie es z.B. mal von Prof. Vahl und aktuell von Frau Bellut-Staeck postuliert und von der AfD verbreitet wird, ist völlig ausgeschlossen. Dann müssten wir in anderen Bereichen, wo Menschen regelmäßig um Größenordnungen höheren Pegeln ausgesetzt sind, medizinische Notfälle sehen.
Das Infraschall-Argument konnte durch erhebliche Anstrengungen von mir und anderen Wissenschaftlern weitgehend entkräftet werden. Ein ganz entscheidender Erfolg war dabei die öffentlich erzwungene Korrektur der falschen Schalldruckpegel durch die BGR im April 2021. Doch in letzter Zeit mehren sich wieder die Versuche insbesondere aus Reihen der AfD, dieses Argument wieder zu reaktivieren. So hat die AfD am 21.11.2024 einen neuen Antrag auf ein Genehmigungsverbot von Windenergieanlagen gestellt. Begründung: Infraschall.
Es ist auch aus dieser Perspektive zu hoffen, dass die AfD nicht noch mehr Zulauf erfährt. Bereits die Anti-Windkraft-Diskussion der Jahre 2017-21 hat dem Industriestandort Deutschland massiv geschadet. Wissenschaftlich nicht begründete Mindestabstandgesetze haben die Zahl der möglichen Flächen reduziert. Flächenreduktion macht verbleibende Flächen teurer und es entsteht Druck, auch weniger ertragreiche Standorte zu nutzen. Zudem führten massiv gestiegene Auflagen z.B. beim Artenschutz und Bürokratie ebenfalls zu höheren Kosten. Gleichzeitig wurde die Vergütung gesenkt. Die Konsequenz: Die Ausbauzahlen brachen massiv ein und nach einem großen Aufbau der Beschäftigung nach Fukushima wurden viele Arbeitsplätze in der Windbranche in den Jahren 2017-19 wieder abgebaut. Dieses Hü und Hott ist Gift für eine Industrie, die Personal und Produktionsanlagen langfristig plant. Abbau ist deshalb immer mit Kosten verbunden und belastet damit die Produktivität der Firmen, die wiederum im internationalen Wettbewerb stehen.
2. Fake zu Wärmepumpen im Altbau
Ein weiteres Beispiel für aktuelle Faktenleugnung ist das Thema Wärmepumpe. Im Grunde war der Entwurf des viel diskutierten Gebäudeenergiegesetzes sehr vernünftig. Wer Geld in einen neue Heizung investieren muss, weil er neu baut oder die alte Heizung irreparabel defekt ist, sollte keine reine Fossilheizung mehr einbauen. Warum? Nun, wenn man bis 2045 klimaneutral sein möchte, eine Heizung mindestens 20 Jahre betreiben möchte, und wir nächstes Jahr 2025 haben…
Trauriger Weise wurde der Gesetzentwurf massiv populistisch angegriffen. Auch die Springerpresse mischte ganz im Interesse ihres fossilen Anteilseigners KKR kräftig mit. Was wurde nicht alles gesagt und geschrieben über Heizungshammer, Heizungsverbot, angebliche Kosten von bis 300.000 € (unter anderem verbreitet von Markus Söder) bis hin zur unsinnigen Behauptung, dass Wärmepumpen im Altbau ohne Sanierung nicht funktionieren würden.
All das ist natürlich Unsinn. Ein Haus zu beheizen ist nun wirklich keine Raketenwissenschaft. Wie in Abbildung 2 skizziert, besteht die Aufgabe der Heizung darin, den Energieverlust des Gebäudes an die Umgebung wieder auszugleichen und so für eine konstante Temperatur im Haus zu sorgen. Bei einem schlecht gedämmten Gebäude muss man mehr Energie zuführen, weil die Wärmeverluste höher sind. Aber das gilt ganz unabhängig von der verwendeten Heiztechnik.
Probleme mit Wärmepumpen werden bereits gelöst
Es gibt nur ein spezielles Problem bei Wärmepumpenheizungen: Wird die Wärme über Heizkörper im Haus verteilt und sind diese sehr klein, benötigt man sehr hohe Vorlauftemperaturen, um die notwendige Heizleistung zu erzielen. Hohe Vorlauftemperaturen senken die Arbeitszahl der Wärmepumpen und damit die Wirtschaftlichkeit. Doch auch dafür gibt es Lösungen. Manchmal genügt es schon mit Ventilatorenreihen für aktive Konvektion zu sorgen. Vergleichsweise unaufwändig ist auch der Tausch von Heizkörpern. So liefert ein Typ 33 Heizkörper bei 45/40 (°C Vorlauf-/Rücklauftemperatur) eine ähnliche Leistung wie ein gleich großer Typ 11 Heizkörper bei 70/65. Eine weitere Option sind spezielle Wärmepumpenheizkörper mit Gebläse oder gleich Luft-Luft-Wärmepumpen (Splitklimageräte). Und als letzte Möglichkeit war bereits im EEG-Entwurf der Einbau einer Hybrid-Heizung vorgesehen.
Eine Hybridheizung macht sich die Temperaturstatistik zunutze (Abbildung 3). In Deutschland werden Heizungen so ausgelegt, dass sie auch bei der kältesten zu erwartenden Temperatur (Auslegungstemperatur z.B. -12°C) das Gebäude noch beheizen können. Diese Fälle sind jedoch äußerst selten. Der Großteil der Heizenergie wird an Tagen mit Temperaturen >0°C benötigt, da diese viel häufiger auftreten. Eine Wärmepumpen-Gas-Hybridheizung sollte mit einer Vorlauftemperatur von <55°C nahezu jedes Gebäude in Deutschland auch ohne Heizkörperanpassung effizient bis 0°C beheizen können. Die Tage < 0°C würde dann die Gasheizung übernehmen. Trotzdem würde die Wärmepumpe in dieser Konstellation 75% des Gasverbrauchs ersetzen und wäre GEG-konform.
Auch Wärmepumpen-Fakes schaden Industriestandort
Doch wie schon die Windenergie wurde auch die Wärmepumpe massiv schlecht geredet. Ich selbst wohne im Landkreis Kulmbach mit gleich zwei Wärmepumpenherstellern. Wie viele andere deutsche Wärmepumpenhersteller mussten auch Glen Dimplex und Alpha-Innotec massiv Personal abbauen. Und auch hier gilt: Personalabbau bedeutet Kosten und Verlust an Produktivität. Es ist nur zu hoffen, dass die Firmen das überstehen. Die Konkurrenz aus dem Ausland schläft nicht. Jens Spahns (CDU) jüngste Äußerungen auf der Veranstaltung des Bundesverbands der Wärmepumpe lassen jedoch schlimmes befürchten. Spahns Vorschlag mit „grünem Öl“ zu heizen, ist Faktenleugnung pur. Die notwendigen Mengen sind völlig utopisch.
3. Fake – Wie die Leugnung der Klimakrise den Industriestandort Deutschland zerstört
Der absolute Gipfel der Faktenleugnung ist die Leugnung der Existenz der Klimakrise. Man muss sich das einmal vorstellen. 196 Staaten haben das Pariser Abkommen unterzeichnet, die meisten mittlerweile auch ratifiziert, darunter auch Ölförderländer wie Saudi-Arabien. Zu glauben, dass der menschengemachte Klimawandel nur „erfunden“ sein könnte, ist an Absurdität nicht zu überbieten.
Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass der 2%ige Anteil der deutschen Emissionen an den globalen Gesamtemissionen den Klimawandel nicht aufhalten wird. Das stimmt auch. Aber das gilt auch für den Anteil Chinas von gut 30%. Kein Land kann den Klimawandel alleine aufhalten. Jedes Land muss seinen Beitrag leisten und jedes Land muss auf Netto-Null kommen.
Doch auch ganz ohne diese internationalen Verpflichtungen, Moral oder Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen halte ich es für dumm, nicht in nationale Klimaschutzmaßnahmen zu investieren. Dazu sind zwei Punkte zu nennen:
Erstens: Deutschland ist Teil der EU und alle Klimaschutzbemühungen finden im europäischen Rahmen statt. Die Zertifikatmengen im ETS und ab 2027 im ETS2 sind begrenzt. Wenn Deutschland seine Klimaschutzziele verfehlt, bedeutet dies massive Kosten für zusätzliche Zertifikate. EU Regeln kann Deutschland nicht einfach verändern. Dieser Punkt ist selbst der AfD bewusst. Daher gibt es auch die absolut irrwitzige Idee eines Dexit, was tatsächlich die Deindustrialisierung Deutschlands herbeiführen dürfte.
Der zweite Punkt betrifft die globale Technologieentwicklung. Die Klimakrise wird für viele zukünftigen Entscheidungen weltweit den Rahmen vorgeben. Schon heute boomen Klimaschutz-Technologien fast überall auf der Welt. Daran ändert auch die kleine Delle in den Verkaufszahlen von E-Autos in Deutschland nach dem Wegfall der E-Auto Prämie nichts. Wenn wir als Industriestandort weiterhin global erfolgreich sein wollen, können wir es uns nicht leisten, an fossilen Technologien wie dem Verbrennungsmotor festzuhalten, der in keiner wissenschaftlichen Studie auch nur annähernd konkurrenzfähig zum batterieelektrischen Antrieb ist.
Schon jetzt massiver Schaden durch Klimaleugnung für Industriestandort Deutschland
Bei einigen wichtigen Technologien wie der Batterietechnologie sind wir leider schon weit hinter die USA und China zurückgefallen. Es gibt aber noch viele Bereiche, die sich in der Entwicklung befinden. Ich möchte drei nennen: Wasserstoff, E-Fuels sowie CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS). Ja, Sie haben richtig gelesen. Auch diese Technologien brauchen wir für eine klimaneutrale Industrienation. Aber nicht, um damit Autos oder Heizungen zu betreiben oder weiterhin Strom aus Kohle zu erzeugen.
Wasserstoff brauchen wir für die Chemieindustrie, die Stahlindustrie, die Düngemittelherstellung, für Hochtemperaturprozesse und als saisonalen Speicher für Dunkelflauten, E-Fuels für den Flug– und wahrscheinlich auch für den Schiffsverkehr. Und CCS wird für prozessbedingte CO2-Emissionen wie die der Zementherstellung und für negative Emissionen benötigt. Die Nachfrage nach diesen Technologien wird weltweit entstehen, aber wir werden sie nur mit dem nötigen Nachdruck entwickeln, wenn wir die Klimakrise nicht als solche leugnen.
Eine erfolgreiche Industrienation fußt nun mal auf Fakten. Mit Faktenleugnung wird Deutschland auf Dauer sicherlich kein erfolgreicher Industriestandort bleiben.
Zum Autor
Dr. Stefan Holzheu ist Umweltwissenschaftler an der Universität Bayreuth. Arbeitsschwerpunkte sind Sensordatenerfassung, Datenbanken und Statistik. Bekannt wurde er durch die Aufdeckung des Rechenfehlers der BGR bei Infraschall von Windenergieanlagen. Privat engagiert er sich bei Scientists4Future und betreibt Wissenschaftskommunikation zu den Themen Klimawandel, Energie- und Wärmewende auf Twitter und BlueSky.
Artikelbild: canva.com
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