Von Mirko Lehmann
Das war sie also, die groß angekündigte Regierungserklärung des Noch-Kanzlers zum Ende der Ampelkoalition. In der anschließenden Debatte im Bundestag inszenierten die Brandmauer-Parteien mit viel Mühe einen Dissens, wo es gar keinen gab. So erinnerten sich die Redner der in Wahrheit übergroßen Koalition von der Linkspartei bis zur CDU/CSU pünktlich zum Beginn des Wahlkampfs, der mit der anschließenden Aussprache im Parlament eröffnet wurde, wieder an das, was im BWL-Deutsch "Markenkern" genannt wird. Und holten gemäß der politischen Farbenlehre die sattsam bekannten Klischees hervor.
Den Anfang machte der Bundeskanzler, indem er sich als unverbrüchlicher Anwalt der "kleinen Leute" zu präsentieren suchte – der "Fleißigen" und derjenigen, "die sich anstrengen", wie er sich ausdrückte. Wieder war die Rede vom "Unterhaken". Dass es aber mit dem von ihm so gerne strapazierten sozialen Zusammenhalt im Lande nicht mehr weit her ist, schob Scholz – Überraschung! – auf den "russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine". Kein Wort von den selbstzerstörerischen antirussischen Sanktionen. Und wie in diesem Zusammenhang zu erwarten, wiederholte der Kanzler auch die Lüge, Russland habe "den Gashahn abgedreht". Sicherlich fiel ihm bloß nicht mehr ein, dass er selbst Anfang 2022 in Washington neben Joe Biden stand, als dieser die Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines ankündigte.
Der eben noch so vergessliche Kanzler rechnete es sich dann doch als Leistung hoch an, dass er seinen "Beitrag dafür geleistet" habe, "dass es keine Eskalation gegeben hat." Womit er auf sein Nein zur Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern an die Ukraine anspielte. Diese Haltung werde er nicht ändern, so Scholz. Vorerst, für die Dauer des Wahlkampfs, möchte man hinzufügen. Und wer weiß, wie sich die Dinge in den USA entwickeln, auch wenn sie momentan in eine andere Richtung als bisher zu laufen scheinen. Hatte Scholz etwa nicht versprochen, keine Kampfpanzer an Kiew zu liefern? Aber Berlin hat am Ende noch jede Waffe in die Ukraine geschickt, sobald Washington dafür grünes Licht gegeben hatte.
Zum inszenierten Dissens genau in dieser Frage gehörte die Forderung des geschassten Finanzministers Christian Lindner, "die Ukraine auch mit dem Waffensystem Taurus auszurüsten." Dafür erhielt Lindner bezeichnenderweise von Noch-Außenministerin Annalena Baerbock Beifall. Friedrich Merz griff seinerseits das Taurus-Thema diesmal im Parlament nicht wieder auf. Allerdings hatte er in Interviews in den vergangenen Tagen wiederholt, er werde Putin ein "Ultimatum" stellen – und Kiew gegebenenfalls die Marschflugkörper liefern.
Damit war man sich schließlich einig in der unbedingten Unterstützung für die Ukraine und in der rabiat antirussischen Haltung, garniert mit spitzen Bemerkungen über Trump und den bevorstehenden Regierungswechsel in Washington. Daher wundert es nicht, dass die Ampelkoalition an der Frage zerbrochen ist, wie die Unterstützung für die Ukraine fortgesetzt werden soll, nicht aber daran, ob Waffenlieferungen und Milliardentransfers an Kiew überhaupt im deutschen Interesse liegen. Wieder einmal setzt Berlin – nun fest in transatlantischer Hand, aber teutonisch-stur wie eh und je – seinen Kurs bis fünf nach zwölf fort. Die "Demokratinnen und Demokraten", wie sie sich hinter ihrer selbst errichteten Brandmauer nennen, sind ja die "Guten" und wähnen sich auf der richtigen Seite. Was kann da schon schiefgehen?
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