Von Wladislaw Sankin
Die anfängliche Reaktion in Moskau auf den sicheren Sieg des republikanischen Kandidaten Donald Trump war ausgesprochen trocken. "Wir geben uns keinen Illusionen über den designierten amerikanischen Präsidenten hin", sagte die Außenamtssprecherin Maria Sacharowa. Aber welche Illusionen sollte es in Bezug auf Trump geben? Mit ihrer Anmerkung verriet die Diplomatin, dass der russischen Politik zumindest in früherer Zeit Illusionen nicht fremd waren.
So merkte etwa der ansonsten spöttische Dmitri Medwedew, der kurz vor der Wahl ebenso wie Sacharowa über den "antirussischen Konsens" im US-Zweiparteiensystem schrieb, nach Trumps Sieg positiv an, dass Trump eine "für uns nützliche" Eigenschaft habe, nämlich dass er ein pragmatischer Geschäftsmann sei. Er würde ungern für Lakaien wie Selenskij Geld ausgeben. Medwedews Signal beinhaltet daher die Botschaft: "Wir sind alle erwachsene Menschen, Donald, wir können mit dir verhandeln, wenn du uns gute Vorschläge machst."
Die Verhandlungsbereitschaft Russlands wurde auch von Wladimir Putin während seines mehrstündigen Auftritts auf dem Waldai-Forum bestätigt. Er gratulierte Trump zu seinem Sieg und nannte ihn einen "mutigen" Mann. Mit dieser Geste der Höflichkeit gab er den Startschuss im großen und komplizierten diplomatischen Spiel zwischen Russland und den USA unter ihrem neuen Präsidenten.
Insgesamt kann sich der Republikaner nicht über ein schlechtes Image in den russischen Medien beklagen. So wird gerne betont, dass Trump im Unterschied zu Biden keine persönliche Verbindung zur Ukraine hat und nicht russophob ist. Außerdem stehe er als Konservativer den russischen Werten näher als sein Vorgänger. Der bekannte Philosoph Alexander Dugin hat sich in seinen ersten Kurzkommentaren zu Trumps Sieg sichtlich erfreut gezeigt: "Wir haben gewonnen!", wobei er mit "wir" die traditionalistischen, antiglobalistischen Kräfte meinte. Seine Jubel-Meldung wurde sofort von dem deutschen Bundeswehr-Professor Carlo Masala mit vergnüglichem Augenzwinkern weitergepostet.
"Aber es ist besser, nicht mit ihm (Trump) über die Ukraine zu verhandeln", schränkte Dugin später ein. "Die Atlantiker werden ihm etwas Vergiftetes unterjubeln, das wie ein Abkommen aussieht. Aber es wird kein Deal sein, sondern etwas, das für uns inakzeptabel ist." Kann sich Dugin aber wirklich sicher sein, dass es unbedingt die "Atlantiker" sind, die Trump etwas unterzujubeln versuchen?
Werfen wir einen Blick auf den zu den Medien durchgesickerten "Ukraine-Plan" des Trump-Teams an. Einer der Vorschläge sieht vor, dass Kiew für mindestens 20 Jahre nicht in die NATO aufgenommen wird. Und danach? Kommt die Ukraine dann doch in die NATO? Russland könne zudem die Gebiete, die es derzeit kontrolliert, behalten; jedoch müsse entlang der Demarkationslinie eine entmilitarisierte Zone geschaffen werden, die von "europäischen" Kräften kontrolliert werden soll. Im Gegenzug würden die USA die Ukraine weiterhin "mit Waffen beliefern, um künftige Angriffe Russlands zu verhindern". Auch die Ausbildung ukrainischer Soldaten und "andere Unterstützung" ist vorgesehen.
Zur Erinnerung: Die ersten tödlichen Waffen, die Panzerabwehrsysteme "Javelin" und Handfeuerwaffen wurden während der ersten Amtszeit Trumps freigegeben. Das war im Dezember 2017. Im selben Monat hat Trump Jerusalem entgegen Protesten aus der arabischen Welt als Hauptstadt Israels und im März 2019 die von Israel anerkannten Golanhöhen anerkannt. Auch war er es, der persönlich den Befehl gab, den General der Revolutionsgarde Qassem Soleimani zu ermorden. Trump fing selber zwar keine großen Kriege an, aber versorgte die lodernden Konflikte mit reichlich Brennstoff.
Niemand im Westen macht einen Hehl daraus, dass für den Westen die wahren Ziele des "Waffenstillstands an der Frontlinie" in der Umgruppierung von Kräften und einer Aufstockung der ukrainischen Truppen sowie ihrer Versorgung mit Waffen und Geld bestehen. Gleichzeitig sollen neue Garantien für Kiew ausgearbeitet werden. Von den Sicherheitsgarantien für Russland, die es seit mindestens Dezember 2021 fordert, ist hingegen nirgends die Rede.
Und auch von den ausdrücklichen Zielen der Militäroperation wie Entmilitarisierung und Entnazifizierung ist bei den westlichen Politikern und Politexperten nichts zu hören. Von den Forderungen, alle Diskriminierungsgesetze gegen das Russische zurückzunehmen und Repressionen zu stoppen, schon gar nicht. Wenn davon überhaupt gesprochen wird, ist immer nur zu hören, der Nazismus-Vorwurf gegen die Ukraine sei "natürlich Quatsch". Auch die US-Konservativen können mit diesem Vorwurf wenig anfangen. Die Reaktionen von Tucker Carlson auf Putins Ausführungen zu dem Thema sind dafür ein klarer Beleg.
Das sollte nicht wundern. Auch Trump werden die russischen Befindlichkeiten nicht interessieren. Für ihn ist es wichtig, den Ukraine-Konflikt so zu beenden, dass er die USA keine Ressourcen mehr kostet. Im Gegenteil, damit die US-Rüstungsindustrie nicht in "Langerweile" erstarrt, muss die Möglichkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine bestehen bleiben. Sollte Trump von den Russen am Verhandlungstisch ein "Nein" zu hören bekommen, wird er die Waffenlieferung in die Ukraine garantiert erhöhen – wer gibt schon ein solch perfektes Druckmittel freiwillig aus der Hand?
Zudem ist Win-win-Diplomatie den Angelsachsen ziemlich fremd, was auch Putin in seiner Waldai-Rede anmerkte. Egal, wer verhandelt – die Lösung des Konflikts darf aus ihrer Sicht Russland nicht als Sieger dastehen lassen. Darauf legt der mögliche Blinken-Nachfolger Mike Pompeo besonderen Wert. Für das Amt des Außenministers werden neben Pompeo der US-Diplomat Richard Grenell sowie der republikanische Hardliner Marco Rubio gehandelt. Wenn jemand von unseren Lesern in ihren bisherigen Äußerungen etwas findet, was auf ein Entgegenkommen gegenüber den Russen hindeutet, möge er sich gern im Kommentarbereich melden.
Wenn Trump als Erstes sogar die treuen "Verbündeten" mit Zöllen belegen will, dann gilt diese Politik erst recht gegenüber Russland. Die geplanten Investitionen in die heimische Öl-Förderung in phantastischer Höhe deuten darauf hin, dass Trump fest entschlossen ist, Russland (und die anderen Öl-Lieferanten wohl auch) von dem lukrativen Markt zu verdrängen. Der Wegfall wichtiger Einnahmequellen könnte Russland dann schließlich auch in der Ukraine-Frage nachgiebiger machen.
Fakt ist, der Team-Wechsel in Washington bietet in der Tat einen Spielraum für diplomatische Manöver. Man kann sie auch militärisch-diplomatische Manipulationen nennen, wie es die russische Politikwissenschaftlerin Jelena Panina vorschlägt. Es sei zu erwarten, dass die neue Regierung in Washington vor allem entschlossen versuchen wird, die Achse Moskau-Peking-Pjöngjang-Teheran zu zerbrechen, BRICS zu zerstören und Russlands Loyalität zu gewinnen, um es zu Verbündeten der Vereinigten Staaten gegen China zu machen. "In diesem Szenario könnten Russland bald die schönsten Versprechungen gemacht werden."
Panina stellt ferner fest, dass Trumps Einzug in das Weiße Haus bei vielen in Russland die Illusion erweckt, sich "gütlich" über die Ukraine einigen zu können. Darin liegt die größte Gefahr. Zwar stellt Russland bei jeder Gelegenheit klar, dass es kein "Minsk III" geben wird und es von den Grundsätzen, die Putin am 14. Juni formuliert hat, nämlich die Anerkennung der vier Oblaste als russisches Gebiet und allen weiteren Zielen der Militäroperation, nicht abrücken wird.
Aber vor dem Hintergrund der immer noch ungewissen innenpolitischen Lage Trumps könnte Russland versucht sein, "um eine Verhandlungsatmosphäre zu schaffen", die militärischen Aktivitäten in der Ukraine einzufrieren. Die Reste dieser diplomatischen Tradition, die man als "Gorbatschowismus" bezeichnen kann, sind im russischen außenpolitischen Denken immer noch vorhanden. Außerdem gibt es im Großunternehmertum, im Bankensektor und im Verwaltungsapparat immer noch einflussreiche Kräfte, die auf eine sogenannte "Friedenslösung" oder zumindest einen Waffenstillstand drängen.
Dieser ist unter den gegebenen Umständen jedoch ein Grundstein für eine aufgeschobene Niederlage. Es darf keine Pausen, keine Gesten des guten Willens oder sonstige Zugeständnisse mehr geben, solange es keine felsenfesten Garantien für die Erfüllung der russischen Sicherheitsgarantien und der sonstigen Forderungen geben wird. Darin sind sich russische Experten im Hinblick auf die Militäroperation einig. Kein Zurückweichen mehr, egal, wie charmant sich Trump als neuer Verhandlungspartner und Sympathieträger der russischen Konservativen aufführt. Dies sollte die Maxime der russischen Diplomatie für die nächsten vier Jahre sein.
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