Von Susan Bonath
Am 7. Oktober jährt sich der Angriff aus dem abgeriegelten Gazastreifen auf Israel. Seither wird die Welt per Livestream Zeuge eines grausamen Rachefeldzugs des westlich hochgerüsteten Staats mit zehntausenden Todesopfern. Das erschüttert zu Recht die deutsche Staatsräson zur bedingungslosen Israel-Unterstützung. Umso panischer warnen Politik, Verfassungsschutz und Polizei vor angekündigten Palästina-Protesten. Sie drohen mit "Härte" – bis zum Einsatz von Scharfschützen – und schwingen die Antisemitismus-Keule.
Faeser droht "hartes Vorgehen" an
Nach dieser deutschen Staatsräson gilt bekanntlich schon Kritik am Staat Israel und seiner kriegerischen Besatzungs-, Vertreibungs- und Unterdrückungspolitik als "antisemitisch". In diesem Sinne, echten Judenhass bagatellisierend, kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) "hartes Vorgehen gegen Antisemitismus" gerade zu diesem Jahrestag an.
Mit anderen Worten: Wer gegen den seit einem Jahr andauernden Vernichtungsfeldzug Israels gegen die Menschen im Gazastreifen, im Westjordanland und nun im Libanon protestiert, muss wohl mit Polizeigewalt und Verboten rechnen. Die mediale Hetzkampagne inklusive Antisemitismus-Keule und sonstigen Pauschalverdächtigungen läuft inklusive. In diesem Slang wetterte Faeser am Sonnabend:
"Wenn wir erneut widerwärtigen Judenhass, Aufrufe zur Vernichtung Israels, islamistische Terrorpropaganda oder Angriffe auf Einsatzkräfte erleben müssen, dann muss die Polizei schnell und hart einschreiten."
Wenn Papierfahnen zerreißen zum "Gewaltexzess" wird
Tags zuvor hatte bereits das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), also der deutsche Inlandsgeheimdienst, "vor einer Zunahme israelfeindlicher und antisemitischer Proteste" vor allem in Berlin gewarnt. "Der Jahrestag könnte ein Trigger-Ereignis für weite Teile des Protestspektrums sein", sagte dessen Präsident Thomas Haldenwang. Dies könne zu "Emotionalisierung, Polarisierung und Radikalisierung" führen.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) stimmte in den Alarmismus ein. Man blicke "mit großer Sorge auf die kommenden Tage", so deren Berliner Sprecher Benjamin Jendro. Ihm zufolge könnten "die jüngsten Entwicklungen zwischen Israel, dem Libanon und dem Iran" vermehrt "zu Hass, Antisemitismus und Gewaltexzessen führen". Deshalb sei allein die Berliner Polizei mit 2.000 Beamten in der Hauptstadt im Einsatz. Hinzu komme Unterstützung durch weitere Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern.
Wie die Polizei die Bedeutung des Wortes "Gewaltexzesse" auslegt, wird an der Berichterstattung zu einer "Mahnwache für Gaza" am 4. Oktober in Berlin deutlich: Die Polizei hatte ganze 400 Beamte für 60 bis 100 Teilnehmer am Alexanderplatz beordert. Zehn Personen habe sie vorübergehend festgenommen. In einem dieser Fälle habe ein Mann Papierfahnen des Staats Israel zerrissen. Laut Polizei wurden auch "Israel diffamierende Parolen" gerufen – ohne diese näher zu erläutern.
Polizei mit Scharfschützen im Einsatz?
Für Aufsehen sorgte ein Bericht der BILD. Dem mit propagandistischen Kampfbegriffen wie "pro-palästinensische Fanatiker" und "Israel-Hasser" nicht sparenden Springer-Boulevardblatts werde die Polizei nicht nur von Spezialeinsatzkommandos aus anderen Bundesländern unterstützt, sondern auch von Präzisionsschützen.
Mit anderen Worten: Ein größeres Drohszenario als einen Scharfschützen-Einsatz gegen Demonstranten kann man kaum aufbauen. Ein Novum in der jüngeren deutschen "Demokratie"-Geschichte ist das aber nicht. Bereits im Jahr 2022 beim G7-Gipfel waren solche Sniper der Polizei im Einsatz.
Frankfurt will Demonstration verbieten
Die Stadt Frankfurt am Main hatte indes versucht, eine für den 7. Oktober geplante propalästinensische Demonstration ganz zu verbieten. Sie scheiterte allerdings in erster Instanz vor dem Frankfurter Verwaltungsgericht. Dieses hatte einem Eilantrag der Protestanmelder stattgegeben, weil es deren "Willen, sich an Auflagen zu halten" sah.
Klein beigeben will die Stadt allerdings nicht. Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) erklärte, sie wolle nun den Hessischen Verwaltungsgerichtshof anrufen. Dieser könnte die Demonstration noch kurz vor deren geplantem Auftakt am Montag verbieten. Frankfurts Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) sieht eine propalästinensische Kundgebung "ausgerechnet am 7. Oktober, dem Jahrestag des Hamas-Terrorangriffs" als eine "extreme Provokation, die wir zutiefst verurteilen" an.
Die rechte Lüge vom "linken Antisemitismus"
Unterdessen läuft die proisraelische Lobby auf Hochtouren. Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, malte ein Horrorszenario von angeblich explodiertem Antisemitismus an die Wand. Er forderte eine "konsequente Anwendung der Strafgesetze gegen Antisemitismus und Israelhass".
Überdies zückte er die inzwischen gut bekannte Keule der westlichen Rechten und Rechtsextremen: Prosor sehe "in Deutschland sehr viel Links-Antisemitismus". Das ist ein klassischer Missbrauch politischer Begriffe. So bedeutet die Zuschreibung "links" in ihrem Kern, sich für gleiche Rechte und Würde für alle Menschen einzusetzen, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht und so weiter.
Anders ausgedrückt: Eine antisemitisch motivierte Ungleichbehandlung von Juden ist bereits in ihrem Wesen rechts, genauso wie die anhaltende Unterdrückung der Palästinenser durch den Staat Israel, die westliche Unterstützung des israelischen Völkermords an den Bewohnern des Gazastreifens oder der im Westen alltägliche antimuslimische Rassismus. Der Vorwurf eines angeblich linksmotivierten Antisemitismus ist ein demagogisches Konstrukt Rechtsextremer – die bekanntlich in Israel gerade regieren.
Proisraelische Demagogie
Die Verdrehung der Kritik am politischen Israel zu "Antisemitismus" treibt auch den deutschen Antisemitismus-Beauftragten Felix Klein um. Er warnte, "der Hass auf Juden" drohe sich in Deutschland zu normalisieren. Er forderte ebenso hartes Einschreiten der Polizei.
So treibt derlei Demagogie mal wieder ihre Blüten in Deutschland. Die Verbreiter derselben leugnen nicht zuletzt, dass sich viele Juden an den Protesten beteiligen und dagegen wehren, in kollektive Mithaftung für Israels Massenmord genommen zu werden. In Deutschland gehören dazu unter anderem die Mitglieder des internationalen Vereins "Jüdische Stimme".
Live gestreamter Massenmord
Diese live gestreamte Barbarei im Gazastreifen, immer stärker im Westjordanland und nun auch im Libanon zelebrieren sogar israelische Soldaten selbst im Netz, wie etwa eine neue Dokumentation des Senders Al Jazeera English ausführlich belegt.
Die verfügbaren Dokumente über willkürliche Zerstörung ziviler Infrastruktur, den Einsatz von Hunger und Durst als Kriegswaffe, absichtliches Töten von Zivilisten, darunter Kinder, grauenhafte Praktiken in israelischen Foltergefängnissen und alle nur denkbaren abscheulichen Kriegsverbrechen sind so zahlreich, dass es sogar ausgesprochen schwer ist, sie in sozialen Medien nicht zu entdecken.
Sie sind so zahlreich, dass auch die Bundesregierung, die deutsche Polizei und die proisraelische Lobby längst nicht mehr behaupten können, von nichts etwas zu wissen. Vermutlich setzen sie gerade deswegen vermehrt auf aggressive Stimmungsmache und die Androhung von Repressionen und Polizeigewalt.
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