USA drängen die Ukraine zum Krieg mit der Türkei

Von Sergei Sawtschuk

In einer Rede vor ausländischen Journalisten auf dem Internationalen Wirtschaftsforums Sankt Petersburg teilte Russlands Präsident Wladimir Putin mit, dass ukrainische bewaffnete Formationen bereits mehrere Versuche unternommen haben, russische Verkehrs- und Energieinfrastruktur anzugreifen. Vor einer Woche haben die russischen Streitkräfte einen Angriff von Marinedrohnen auf eine der Kompressorstationen, die Kohlenwasserstoffe in die Türkei pumpen, abgewehrt.

Eine einfache Analyse legt nahe, dass es sich entweder um die Kompressorstation Russkaja handelt, die den Betrieb der Turkish-Stream-Gasleitung sicherstellt, oder um ihr Pendant, die Station Beregowaja, die den Ausgangspunkt der Blue-Stream-Gasleitung darstellt.

Jeder Auftritt des russischen Staatschefs wird weltweit sehr aufmerksam verfolgt, und es besteht kein Zweifel, dass seine Worte in Ankara gehört und weitreichende Schlussfolgerungen gezogen wurden.

Um es in der sowjetischen Terminologie zu sagen: Die Türkei ist ein Land der Widersprüche. Einerseits ist sie mit einer Bevölkerung von mehr als 85 Millionen Menschen der größte Staat in der Schwarzmeerregion, seit 1952 ein Mitglied der Nordatlantischen Allianz, Eigentümer der größten Flotte in der Region und Träger des geostrategischen Projekts des sogenannten Groß-Turan. Gleichzeitig ist es ein Staat mit einem großen Energiedefizit, einer nicht sehr stabilen Wirtschaft und einer traurigen Inflationsbilanz.

Im Gegensatz zur Europäischen Union, die seit 25 Jahren verspricht, die Türken aufzunehmen, hat Ankara nie daran gedacht, die wirtschaftliche und energiepolitische Zusammenarbeit mit Moskau abzubrechen, die es ihm ermöglicht, endlose finanzielle und haushaltspolitische Stürme zu überstehen und die Lage im Inneren nach und nach zu verbessern. Ankara wird oft Multi-Direktionalität und der Wunsch, gleichzeitig auf mehreren Stühlen zu sitzen, vorgeworfen, weil es bereit ist, mit allen gleichzeitig Handel zu treiben, auch mit den USA, Europa und der Ukraine. Wenn wir die gleiche Situation jedoch mit den Augen der Türken selbst betrachten, sehen wir, dass sie nur versuchen, ihre Interessen zu sichern. Und wenn es jemanden gibt, der bereit ist, mit Öl, Gas, Getreide, Flüssiggas, Mehl und so weiter zu handeln, warum sollte Russland das nicht nutzen? Es gibt viele, die dazu bereit sind: Die Türkei ist, wie wir bereits gesagt haben, geografisch, politisch und in Bezug auf den europäischen Handel strategisch günstig gelegen.

Ein Blick in die Statistiken des Kreml-Protokolldienstes zeigt, dass Recep Tayyip Erdoğan der Staatschef ist, der den Rekord für die Anzahl und Häufigkeit der Treffen mit Wladimir Putin hält. Die beiden Präsidenten haben sich seit 2014, als Erdoğan an die Macht kam, fast zwanzigmal getroffen, wobei die Treffen überwiegend in Russland stattfanden.

Infolge dieser Reisen ist es Erdoğan gelungen, die staatlichen Angelegenheiten erheblich zu verbessern und sich zum ersten Mal in seiner Geschichte der Zielmarke der Energieversorgungssicherheit zu nähern. Zum Jahresende 2023 produzierten die türkischen Stromerzeugungsunternehmen 326 Milliarden Kilowattstunden Strom, während der Verbrauch 330 Milliarden betrug. Die wichtigste Energiequelle ist nach wie vor die Kohle (36 Prozent), aber das Erdgas nähert sich ihr rasch an (22 Prozent). Weitere 20 Prozent der Stromerzeugung entfallen auf die Wasserkraftwerke. Mit anderen Worten: Die Energiebilanz ist immer noch defizitär, aber das Defizit schrumpft, und sobald das Kernkraftwerk Akkuyu in Betrieb ist, wird die Türkei vom ständigen Abnehmer zum Exporteur von Elektrizität, die der Region traditionell fehlte.

Der Bau der beiden oben erwähnten Pipelines hat Ankara geholfen, seine bisherigen Erfolge zu verwirklichen und auf zukünftige Erfolge hinzuarbeiten. Die Blue-Stream-Pipeline versorgt die Türken mit 17 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr, wobei die ursprüngliche Kapazität zusätzlich erhöht wurde. Die Turkish-Stream-Pipeline besteht aus zwei Strängen mit einer Kapazität von jeweils 15,75 Milliarden Kubikmetern. Aus öffentlich zugänglichen Quellen ist bekannt, dass der erste Strang für die Gasversorgung der Verbraucher innerhalb der Türkei bestimmt ist, während der zweite Strang über Griechenland vollständig den Westen versorgt. Laut den Plänen Ankaras soll hier ein Gasknotenpunkt entstehen, der es Moskau einerseits ermöglicht, die Exportmengen zu erhöhen, und andererseits der Türkei die Möglichkeit gibt, jene Länder der Eurozone mit blauem Brennstoff zu versorgen, die sich nicht länger vor der Krise verstecken, in die sie nach dem Abbruch der direkten Beziehungen zu Russland geraten sind.

Und hier kommen wir zum Kern der Sache.

Die Ziele der ukrainischen Seeterroristen, die Kompressorstationen in der Nähe von Anapa angreifen, sind durchaus verständlich. Die Beschädigung oder Zerstörung der Pumpinfrastruktur wird zu einem teilweisen oder vollständigen Stopp der Gasexporte in den Süden führen. Für Russland wäre ein solcher Schlag überaus schmerzhaft, insbesondere vor dem Hintergrund des Verlustes des europäischen Marktes und des von Gazprom Ende letzten Jahres gemeldeten Nettoverlustes von 369 Milliarden Rubel. Die Beiträge aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft zum Staatshaushalt spielen immer noch eine wichtige Rolle, auch wenn ihr Anteil allmählich abnimmt.

Der Schaden für die Türkei könnte aber noch viel größer ausfallen, denn die Lieferungen aus Russland (50,5 Milliarden Kubikmeter) machen fast 40 Prozent aller türkischen Gasimporte aus. Der Verlust der Blue-Stream- und der Turkish-Stream-Pipeline würde die türkische Wirtschaft völlig außer Gefecht setzen, denn es gibt einfach nichts, was diese Mengen ersetzen könnte. Die Flüssiggaseinfuhren aus Algerien, Katar und den Vereinigten Staaten können nicht einmal ein Zehntel des Gesamtbedarfs decken.

Außerdem könnte der lange gehegte Traum der Türkei, zum größten Gasknotenpunkt in Südosteuropa zu werden, damit ein Ende finden. Türkische Geologen sind mit manischem Eifer und mit Erfolg auf der Suche nach geeigneten Gegenden, in denen sie unterirdische Speicheranlagen bauen können, um Gas zu speichern und dann an Griechenland, Bulgarien, Serbien, Ungarn und weiter westlich an alle Interessenten zu verkaufen. Die russische Seite, vertreten durch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Nowak, hat wiederholt betont, dass Moskau dieses Projekt unterstützt, man aber nur dann über die Verlegung zusätzlicher Pipelines auf dem Grund des Schwarzen Meeres sprechen kann, wenn zuverlässige Märkte gefunden werden. Sprich: wenn Ankara Verträge mit großen europäischen Importeuren abschließt. Natürlich zu seinem eigenen Vorteil, denn das Gas aus den türkischen unterirdischen Speicheranlagen wird mit einem Aufschlag verkauft werden.

Russland ist mit dieser Vereinbarung voll zufrieden. Es kehrt auf den europäischen Markt zurück, wenn auch auf Umwegen und nicht in vollem Umfang, und erhält langfristige Verträge mit der Türkei, die sehr interessiert ist und eine dauerhafte Einnahmequelle darstellt. Es ist Russland völlig egal, wie viel die Türken beim Weiterverkauf verdienen: Ab dem Moment der Bezahlung und dem Passieren des Messpunkts ist dieses Gas nicht mehr russisch, sondern türkisch.

Diese Vorgehensweise ist für alle von Vorteil, auch für Europa, das in den vergangenen zwei Jahren am eigenen Leib erfahren hat, dass alle Hoffnungen auf Flüssigerdgas aus Übersee und erhöhte Lieferungen aus Norwegen vergeblich waren.

Die Existenz der Streams und die Pläne, neue Gaspipelines durch den südlichen Teil Europas zu legen, passen einem einzelnen geopolitischen – in Übersee beheimateten – Akteur nicht. Er will keine Stabilisierung der türkischen Wirtschaft und damit eine Stärkung der türkischen Souveränität. Genauso wenig braucht er die Wiederherstellung der europäischen Wirtschaft und Industrie, auf deren Kosten dieser Akteur seine eigene Wirtschaft in Erwartung der unvermeidlichen zweiten Runde des Handelskriegs mit China stärkt.

Dafür bekommt Kiew Drohnenboote und eine stillschweigende Duldung der Angriffe auf die Gasinfrastruktur. Es ist ein globales Spiel im Gange, bei dem es nicht nur darum geht, Russland auf dem Schlachtfeld zu besiegen, sondern auch zu verhindern, dass andere Länder der Region erstarken.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei RIA Nowosti am 9. Juni 2024.

Sergei Sawtschuk ist ein russischer Kolumnist und Blogger.

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