Robbensterben vor Rügen: Politik und Medien ignorieren möglichen Zusammenhang mit LNG-Terminal

Von Susan Bonath

Seit Wochen spült die Ostsee tote Kegelrobben an den Oststrand der Insel Rügen, bisher offenbar 40 an der Zahl. Behörden in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen untersuchen den Fall, Experten obduzierten Kadaver und in den Medien wird spekuliert: Haben sich die Tiere in Fischernetzen verfangen und sind ertrunken? Doch einen Fakt blenden alle kategorisch aus: Genau an dieser Stelle ging im September das umstrittene LNG-Terminal in Betrieb – ohne eigentlich vorgeschriebene Umweltprüfung.

Selektive Ursachenforschung

Ein "mysteriöses" Robbensterben vor Rügen beschäftigt die deutschen Medien und Behörden momentan mehr, als es die im Mittelmeer ertrunkene Flüchtlinge derzeit tun. Wie die Tagesschau berichtete, seien in den vergangenen Wochen bereits 40 tote Kegelrobben an den Rügener Oststrand gespült worden. Obduktionen der Kadaver deuteten darauf hin, so hieß es, dass die Tiere ertrunken seien.

Die Verletzungen seien "typisch für Tiere, die sich unter Wasser verfangen haben", erklärte die Kuratorin des Stralsunder Meeresmuseums, Judith Denkinger. Offen sei, ob die unter Naturschutz stehenden Robben versehentlich in Fischernetze geraten oder gezielt geködert worden seien. Man untersuche nun weitere Kadaver, um der Ursache auf die Spur zu kommen. Doch ob es wirklich um offene Ursachenforschung geht, bleibt fraglich. Eine eindeutige Todesursache habe man bisher nicht feststellen können, und dies sei überraschend, mahnte Meeresbiologe Ulrich Karlowski. Man müsse beispielsweise auch "gezieltes Vergiften" in Betracht ziehen. Solche Fälle habe es in Deutschland schon gegeben, beispielsweise bei Wölfen und Greifvögeln.

Kein Zusammenhang mit LNG-Terminal?

Bei allen Spekulationen und Deutungen klammern Experten, Beamte und Medien interessanterweise eines aus: Das LNG-Terminal vor der Ostküste der Ostseeinsel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern – also genau dort, wo das Meer die toten Robben an Land spült. Das vom Konzern Deutsche ReGas betriebene Terminal für Flüssiggas ging Anfang September in den Regelbetrieb. Die Korrelation zwischen der Inbetriebnahme des LNG-Terminals und dem Robbensterben ist also zweifelsfrei vorhanden. Das belegt freilich noch keine Kausalität – doch genau diese müssten die Behörden spätestens jetzt als eine mögliche Ursache eingehend untersuchen. Offensichtlich will man das vermeiden.

Prüfungen verweigert, Folgen ignoriert

Dabei warnten Umweltverbände schon sehr früh vor massiven Umweltschäden. Unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und der Naturschutzbund Deutschland (NABU) kritisierten insbesondere den völligen Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Doch ihre Klage wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig im Frühling dieses Jahres ab. Die Begründung ist bemerkenswert: Der Verzicht auf eine Prüfung auf Umweltverträglichkeit bei der Genehmigung der LNG-Gasversorgungsleitung vom Rügener Hafen Mukran nach Lubmin sei rechtens, weil sie der "Bewältigung der Energieversorgungskrise" diene.

Salopp gesagt: Der "böse Russe" sei mal wieder schuld, dass Deutschland auf die Umwelt keine Rücksicht nehmen könne. Die Politik tat also Folgendes: Sie schnitt Deutschland vom russischen Gas ab, um Russland zu schaden. So trieb sie die Energiekosten in ungeahnte Höhen. Sie sah dann achselzuckend dem wohl mindestens unter Aufsicht der USA verübten Terroranschlag auf die Nord-Stream-Pipelines zu. Und nun setzt sie auf viel umweltschädlicheres Flüssiggas, verzichtet auf gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen und sieht bei möglichen Folgen einfach weg.

Vorsorgliche Vertuschung eines Umweltskandals?

Bereits vor Beginn der Bauarbeiten hatte der NABU kritisiert, dass die Flüssiggas-Pipeline durch ausgewiesenes Meeresschutzgebiet verlaufen soll. Dies werde "empfindliche und zu schützende Lebensräume zerstören" und geschützte "Meeressäugetiere, Rast- und Zugvögel dauerhaft bedrohen". Auch die Kegelrobben-Population, die sich dort "gerade erst wieder angesiedelt" habe, erwähnte der Verband. Die sei auf den Hering als Nahrungsgrundlage angewiesen, den der Betrieb der Anlage jedoch massiv schwächen werde.

So wirbele das Terminal zum Beispiel Sediment auf, was das Wasser trübe, das Algenwachstum fördere, anderen Wasserpflanzen schade und den Sauerstoffgehalt des Wassers minimiere. Die Bundesregierung versuche, so der Verband damals, "das Projekt gegen jeglichen Widerstand im Schnellverfahren durchzudrücken". Genau das hat sie getan. Und heute sieht man wohl lieber weg. Auf die Idee, das aktuelle Robbensterben könnte irgendwas damit zu tun haben, will offensichtlich keiner kommen. Man untersucht das Naheliegende nicht einmal. Ein Schelm, wer nun vermutet, hier könnte sich ein hausgemachter Umweltskandal anbahnen, der nun vorsorglich vertuscht werden soll? Dies wäre nicht das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik.

Mehr zum Thema - Wie kriminell ist das LNG-Terminal vor Rügen?

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