Maximal defizitär – Nachbetrachtung zur EU-Wahl

Von Gert Ewen Ungar

Die Wahl zum EU-Parlament wurde auch in Russland aufmerksam verfolgt. Das Verhältnis zwischen der EU und Russland ist zerrüttet, die EU hat Russland mit einem beispiellosen Sanktionsregime überzogen, hat russische Medien umfassend zensiert und unterstützt bis zur Selbstaufgabe die Ukraine als Nicht-EU-Mitglied. Sie tut das, weil die Ukraine nach Auffassung der EU angeblich die Demokratie gegen das autoritär geführte Russland verteidigt. Und von den Redaktionen der großen westlichen Medien wird diese Auffassung geteilt und propagiert. Sie verbreiten das Narrativ von einer demokratischen EU, die als freiheitlicher Gegenentwurf zu allen autoritären Regimen dieser Welt die dort herrschenden Autokraten und Diktatoren mutig bekämpft. Dieses Narrativ wurde so oft wiederholt, dass es schwer fällt, es in Zweifel zu ziehen. 

Aus diesem Grund mag es manchen EU-Anhänger überraschen, wenn er hört, dass man diese Sicht der EU auf sich selbst in Russland so gar nicht teilt. Am Wahlabend nannte ein Kommentator des russischen Fernsehsenders Rossija 24 den Führungsstil der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen "autoritär". Heute kommentierte ein Analyst, von der Leyen habe die EU zu einer Filiale der USA gemacht.

Dass diese Kritik nun ausgerechnet aus dem Land kommt, das man in der EU-Kommission und in zahlreichen Mitgliedsstaaten für eine Ausgeburt des Autoritarismus hält, führt sicherlich zu manch narzisstischer Kränkung. Allerdings sollte man die russische Kritik nicht einfach abtun, denn daran ist deutlich mehr dran, als den Freunden einer immer weitergehenden EU-Integration lieb sein kann.

Faustformel für Demokratie-Verlust

Denn jenseits von Ideologie und Propaganda hat die EU gerade im Vergleich zu Russland enorme Demokratiedefizite vorzuweisen. Das fängt beim Wahlsystem und den Möglichkeiten der Bürger an, Einfluss auf die Politik zu nehmen, und hört damit auf, dass die EU-Kommission ihre Macht beständig ausweitet und damit die Souveränität der EU-Mitgliedstaaten immer weiter aushöhlt. Das heißt – auf eine Faustformel gebracht –, je mehr Macht die Institutionen der EU bekommen, desto weniger Demokratie gibt es in den EU-Mitgliedstaaten.

So etwas würde sich Russland übrigens niemals bieten lassen – Deutschland dagegen schon. Staatliche Souveränität ist von zentraler Bedeutung in der russischen Politik, in der deutschen nicht. Der Umgang mit dem Anschlag auf die Ostsee-Pipelines Nord Stream machte das überdeutlich, die Unterordnung des Bundesverfassungsgerichts unter die Richtersprüche des EuGH ebenso. Klagen gegen die Administration in Brüssel kann man sich sparen. 

Der EU als politisches System ist staatliche Souveränität ihrer Mitglieder zuwider. Die Union fordert Unterordnung unter ihre Regeln und Prinzipien. Für Selbstbestimmung lässt sie keinen Raum. Das hat die Kommission erst kürzlich wieder vorgeführt, als es um das Transparenzgesetz in Georgien ging. Die EU fordert dessen Rücknahme, vermutlich weil es auch das Ausmaß der Einmischung der EU in die inneren Angelegenheiten Georgiens sichtbar macht. Georgien jedoch ist Aufnahmekandidat. Die EU hat der Welt gezeigt, dass sie weder vor der Souveränität Georgiens noch vor demokratischen Entscheidungen Respekt hat. Nein, die EU ist nicht nur keine Demokratie, sie verachtet Demokratie und demokratische Prozesse geradezu.

Demokratieverachtung als Regierungsprinzip

Die derzeitige EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ist als Politikerin das beste Beispiel für diese Verachtung. Ihre erste Amtszeit in der EU wurde im Hinterzimmer ausgekungelt. Sie stand gar nicht zur Wahl. Zur Wahl standen die Spitzenkandidaten Manfred Weber für die EVP-Fraktion und Frans Timmermans für die Sozialdemokraten. Kommissionspräsidentin geworden aber ist Ursula von der Leyen. Der Vorgang ist an Wählerverhöhnung von keinem autoritären Regime dieser Welt zu toppen. 

Für die zweite Amtszeit sollte es zumindest ein bisschen demokratischer aussehen, ohne freilich demokratischer zu sein. Der Wählerwille sollte erneut maximal herausgehalten werden. Von der Leyen ließ sich mit der Hilfe der CDU zur Spitzenkandidatin der EVP machen. Trotzdem konnte sie aber niemand wählen, denn ihr Name tauchte auf keinem Wahlzettel in den EU-Mitgliedsstaaten auf. Da die EVP jedoch auch weiterhin die größte Fraktion im EU-Parlament stellt, ist von der Leyen eine zweite Amtszeit faktisch sicher. Das sind die Zustände in dieser EU, die ihrerseits in Bezug auf Russland von angeblichen "Scheinwahlen" spricht. 

Vielen Bürgern in der EU sind diese Zustände zunehmend ein Gräuel. Genau davon kündet das Ergebnis der diesjährigen Wahl. In nahezu allen Ländern wurden die EU-skeptischen Kräfte gestärkt. Dabei ist ganz deutlich zu sagen, die große Gefahr für die EU geht nicht von rechten Parteien, sondern von den real existierenden Zuständen in Brüssel aus. Das enorme Ausmaß an Wählerverachtung ist den Bürgern der EU natürlich nicht entgangen. In Brüssel trifft man in aller Regel Entscheidungen, die gegen ihre wahren Interessen gerichtet sind.

Das trifft beispielsweise auch für die Unterstützung der Ukraine zu. Die EU verschenkt dorthin Geld, obwohl sie selbst im internationalen Vergleich wirtschaftlich immer weiter zurückfällt. Sie sucht zudem auf Geheiß und Anweisung der USA die Konfrontation nicht nur mit Russland, sondern auch noch mit China – zum eigenen Nachteil. Die Russland-Sanktionen schaden vor allem den Volkswirtschaften innerhalb der EU und erhöhen zudem die Abhängigkeit von den USA.

Ohne Realitätssinn und ohne Plan B

Doch statt die Realität in den Blick zu nehmen, verbreiten die Politiker der EU Propaganda und Desinformation. Russland würde aus Waschmaschinen und Kühlschränken Mikrochips ausbauen, weil die für die Produktion von Waffen benötigt würden, behauptete die EU-Kommissionspräsidentin persönlich vor einem Jahr. Das Erschreckende daran ist, dass sie es vermutlich sogar selbst geglaubt hat. Faktisch ist es andersherum. Der EU gehen die Möglichkeiten zur militärischen Unterstützung der Ukraine aus. Es fehlt an Munition. Es fehlt auch an einem Plan B, wie man aus der Eskalationsspirale wieder herauskommt. An Frieden in Europa hat die Europäische Union als kollektiver Friedensnobelpreisträgerin kein Interesse. 

Was die Demokratiedefizite in der EU angeht, so wird den EU-Bürgern bereits seit der Unterzeichnung des Maastricht-Vertrags im Jahr 1992 versprochen, man werde die Demokratisierung nachholen. Faktisch allerdings ist stets das Gegenteil passiert. Die gemäß dem Gründungsvertrag demokratisch kaum legitimierte EU-Kommission hat immer mehr Macht an sich gerissen. Inzwischen nimmt sie auch Schulden für die Union als Ganzes auf, was ihr eigentlich verboten ist. Das geliehene Geld verteilt sie an die EU-Länder und diszipliniert mit diesem Instrument die nationalen Regierungen. EU-kritische Regierungen gehen leer aus, wechselt die Regierung oder ändert sie ihre Politik, könnte der Geldsegen aus Brüssel wieder fließen. In Polen wurde dieses Prinzip gerade vorgeführt. Die Regierung Tusk bekommt das Geld, das der Vorgängerregierung vorenthalten wurde. Die Vorgängerregierung scheute die Konfrontation mit Brüssel nicht, Tusk ist als früherer EU-Politiker auf Linie.

Die EU ist keine Demokratie, sie ist ein System der Willkür und der Repression, ein Autoritarismus. Die Kommission von der Leyen hat die Demokratie-Defizite noch vertieft und ausgeweitet. Was die EU gut kann, das ist Selbstvermarktung. Von der Leyen und Co. sind gut geschult im Demokratie- und Werte-Geschwurbel. Dass an all den vollmundigen Sprüchen nichts dran ist, merken die EU-Bürger inzwischen deutlich.

Der Lebensstandard sinkt, die gesellschaftlichen Spannungen nehmen zu und in der EU herrscht de facto Krieg, wobei die EU zur Lösung des Konflikts absolut nichts beiträgt – im Gegenteil. Vom ursprünglichen Versprechen – von wachsendem Wohlstand, Stabilität und Frieden – ist faktisch nichts mehr übrig. Verfolgt die EU den eingeschlagenen Kurs weiter, dann drohen sie die inneren Widersprüche zu zerreißen. Ihr droht zudem ein maximaler Einflussverlust in Europa, denn es zeichnet sich immer deutlicher ab: die Regeln, die in Europa gelten, machen Russland und die USA. Die EU hat in Europa immer weniger zu melden. Die größte Gefahr für die EU sind daher nicht irgendwelche Autokraten, keine ausländischen Medien, keine von Russland oder China gekauften Politiker. Die größte Gefahr für die EU und ihren Fortbestand, das ist sie selbst.

Mehr zum Thema – "Für Europa und die Ukraine" – von der Leyen feiert Wahlsieg der EVP

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