Macron in Deutschland – Bilanz eines Staatsbesuchs

Von Pierre Lévy

Der französische Präsident beendete am 28. Mai seinen dreitägigen Staatsbesuch in Deutschland. Eine solche diplomatische Initiative, die protokollarisch auf höchstem Niveau angesiedelt ist, stellt ein wichtiges politisches Ereignis dar. Der jüngste vormalige Besuch eines französischen Staatsoberhauptes in Deutschland fand bereits im Jahr 2000 statt, als Jacques Chirac noch im Élysée-Palast residierte.

Macrons Visite fand in einem Kontext statt, der durch zwei Merkmale gekennzeichnet ist. Zum einen haben sich in den deutsch-französischen Beziehungen in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten die Widersprüche und Divergenzen vervielfacht. Und das, während die Beziehungen zwischen den Regierenden in Paris und Berlin traditionell als der "Motor" angesehen werden, der für das Funktionieren und den "Fortschritt" der Europäischen Union notwendig ist.

Das zweite Element im Kontext dieses Besuchs ist die momentan erkennbare Schwächung sowohl von Emmanuel Macron als auch des deutschen Bundeskanzlers in ihren jeweiligen Ländern. Die makroökonomischen Rückschläge Frankreichs (Schulden, Defizite ...) werden von den EU-Granden in Brüssel angeprangert, weshalb in Kürze ein Verfahren wegen übermäßiger Defizite eingeleitet werden dürfte. Die Bundesregierung von Olaf Scholz ihrerseits muss sich drastischen Haushaltskürzungen unterziehen, da das Verfassungsgericht in Karlsruhe vor kurzem einige strenge Regeln in diesem Bereich Scholz ins Gedächtnis zurückgerufen hat. Das wirtschaftliche Wachstum in Deutschland, das ohnehin schon sehr schwach ist, wird sich also so schnell kaum wieder erholen können.

Darüber hinaus verfügt das Lager des französischen Präsidenten über keine solide parlamentarische Mehrheit und muss behutsam "auf Sicht fahren". Und in Berlin stützt sich der Bundeskanzler auf eine Koalition aus drei Parteien, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Prioritäten in vielen Fragen immer wieder in die Haare geraten. Darüber hinaus scheinen die gesellschaftlichen Strömungen, aus denen die beiden Männer stammen – die "liberale Renaissance" für Macron, die deutsche Sozialdemokratie für Scholz – bei den künftigen Wahlen unterzugehen: Die Umfrageinstitute rechnen für sie am 9. Juni mit nicht mehr als 15 Prozent der Wählerstimmen.

Welche Bilanz kann man vor diesem Hintergrund nach der Reise des französischen Präsidenten auf das andere Ufer des Rheins ziehen? Drei Punkte lassen sich festhalten: erstens eine bewusste Einmischung in die laufenden Wahlkämpfe für die Europawahlen, zweitens die Verleihung eines "internationalen Friedenspreises" an Emmanuel Macron und drittens die Abhaltung eines deutsch-französischen Verteidigungsrates, der eine Beschleunigung der euro-atlantischen Rüstungsperspektiven fordert.

Der erste Punkt zeigte sich auf dem sogenannten "Fest der Demokratie", zu dem der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seinen Amtskollegen eingeladen hatte. Der französische Staatspräsident prangerte die "illiberalen Versuchungen" an, die sich seiner Meinung nach in der gesamten Europäischen Union immer stärker bemerkbar machen würden. Später, als er zum "Europafest" in Dresden eingeladen war, versuchte er das noch zu dramatisieren, indem er implizit an die Zeit in Europa vor dem Zweiten Weltkrieg erinnerte und mit den feierlichen Worten schloss: "Wachen wir auf!"

An die junge Generation gewandt sagte er: "Europa aufzubauen ist eine ständige Aufgabe, ich zähle auf euch, genauso wie ihr auf mich zählen könnt." Der deutsche Bundespräsident Steinmeier, auch ein Sozialdemokrat wie Scholz, erklärte seinerseits in Berlin: "Wir haben eine ganz bestimmte Botschaft, die wir mit diesem Staatsbesuch vermitteln wollen: Sagt "Ja" zu Europa, geht am 9. Juni wählen!" In diesem Moment verwandelte sich der Staatsbesuch, der eigentlich eine feierliche Etappe in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern markieren sollte, in eine plumpe Wahlveranstaltung zweier Politiker, die über den Absturz ihrer jeweiligen Parteien zu Recht besorgt sind.

Was den auf beiden Seiten des Rheins und anderswo angekündigten Aufstieg der extremen Rechten betrifft – ein Sammelbegriff, der sehr heterogene Gruppen zusammenfasst, der aber der herrschenden Ideologie sehr nützlich ist –, so wird er eine spezifische Analyse verdienen, die auf die Verantwortung der europäischen Integration hinweist.

Das zweite Element wäre fast schon lustig, wenn es nicht so dramatische Themen betreffen würde: Der Herr im Élysée-Palast wurde in Münster mit großem Pomp mit dem "Internationalen Preis des Westfälischen Friedens" ausgezeichnet. Für diese Auszeichnung, die alle zwei Jahre verliehen wird, hatten die Organisatoren vor achtzehn Monaten Emmanuel Macron ausgewählt, zu einem Zeitpunkt, als dieser versuchte, sich als Schirmherr einer Versöhnung zwischen Kiew und Moskau aufzuspielen, und glaubte, mit seinem Charme Druck auf Wladimir Putin ausüben zu können.

Seitdem hat Emmanuel Macron seine Haltung geändert und gehört nun zu den kriegslüsternsten unter den westlichen Führern. Im Februar schloss er die Entsendung von französischen Bodentruppen zur militärischen Unterstützung der ukrainischen Regierung "nicht aus" und löste damit einen Aufschrei innerhalb der NATO, insbesondere auch in Berlin, aus. Und erst kürzlich plädierte er dafür, dass die Ukrainer westliche Waffen gegen das Territorium Russlands selbst einsetzen dürften. Damit hat er ja zweifellos einen Friedenspreis verdient!

In diesem Fall ist es der "Westfälische Friedenspreis", der 1998 zum 350. Jahrestag des gleichnamigen Vertrags ins Leben gerufen wurde. Dieser Vertrag wird oft als historischer Gründungsakt des Konzepts der staatlichen Souveränität in der internationalen Ordnung bezeichnet. Genau dieses Konzept wird von der europäischen Integration im Grundsatz angegriffen.

Der dritte Punkt, den man sich nach diesem Staatsbesuch merken sollte, betrifft die gemeinsamen Erklärungen der beiden Regierungen. Da ist zunächst der Text mit dem hochtrabenden Titel "Eine neue Agenda zur Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in der Europäischen Union", der die Arbeit der künftigen Europäischen Kommission befruchten solle.

Darin findet man die Bestätigung eines im Jahr 2023 ausgearbeiteten Plans zur Verringerung der Formalitäten für Unternehmen. Emmanuel Macron hatte dafür plädiert, das Volumen des nächsten EU-Haushalts zu verdoppeln – ein Vorschlag, der in Berlin auf Widerstand stieß. Letztendlich wurde in der gemeinsamen Erklärung nur noch festgehalten: "Wir werden dafür sorgen, dass der EU-Haushalt für die Zukunft angepasst wird."

Außerdem fand der "Deutsch-Französische Verteidigungsrat" statt. Daran nahmen neben Macron und Scholz auch Minister beider Länder teil, und das Resultat der Beratung war von einer substanziellen gemeinsamen Erklärung geprägt.

Neben der wiederholten Bereitschaft, "so lange wie nötig" militärisch zur Unterstützung der Ukraine beizutragen, weil der "Angriffskrieg Russlands die europäische Sicherheit bedroht", betonten beide Seiten die "europäische und im weiteren Sinne euro-atlantische Sicherheit, insbesondere durch starke und glaubwürdige europäische Verteidigungsfähigkeiten".

Der Text spiegelt einerseits die Priorität in Paris wider, die "Stärkung der industriellen und technologischen Basis der europäischen Verteidigung" anzustreben, und anderseits die Betonung der Bundesregierung in Berlin, "den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO als Grundlage unserer kollektiven Verteidigung zu stärken".

Sowohl bei der nuklearen Abschreckung als auch bei den Rüstungsprogrammen der Zukunft stellten beide Seiten ihre Positionen in dem gemeinsamen Text nebeneinander dar. Einzig im Bereich eines möglichen künftigen Raketenabwehrschildes erkannten einige Analysten einen möglicherweise kleinen Fortschritt in der Entwicklung. Paris scheint offener zu sein, das von Berlin vorgeschlagene Projekt "European Sky Shield Initiative" (auch mit US-amerikanischen und israelischen Modulen) zu tolerieren. Rund 20 europäische Länder haben sich mittlerweile diesem System angeschlossen, während Frankreich und Italien ihr eigenes System SAMP/T (Système sol-air moyenne portée_terrestre) bevorzugen.

In allen Bereichen wurden also die strittigen Themen nicht geglättet. Dazu gehören etwa die Energieversorgung, insbesondere die Nutzung der Kernenergie, die öffentlichen Finanzen, wo Berlin noch immer nicht die Nichteinhaltung der EU-Haushaltsregeln durch Frankreich akzeptiert und die Differenzen über den reformierten Stabilitätspakt bestehen bleiben sowie der internationale Handel, wo Deutschland immer noch für die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit dem Mercosur plädiert und den Handel mit China fördern will.

Auch Macrons Drängen auf eine neue große Gemeinschaftsanleihe zur Finanzierung von Investitionen in die "Verteidigungsindustrie" oder den "grünen Übergang" stößt auf eine grundsätzliche Ablehnung in Berlin. Ob Staatsbesuch oder nicht – die Liste der Meinungsverschiedenheiten bleibt lang.

Der "deutsch-französische Motor", der die EU antreiben sollte, ist nicht wie erhofft wieder angesprungen. Ist der nächste Termin wieder in 24 Jahren zu erwarten?

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