Kaum bekanntes Hinweisgeberschutzgesetz: Der langsame Dampfer Polizei

Seit einem Jahr genießen Whistleblower:innen besonderen Schutz, wenn sie Missstände melden. Doch viele wissen nichts von ihren neuen Rechten – und eine umfassende Evaluation könnte an Geldmangel im Justizministerium scheitern.

Foto der GFF-Veranstaltung, im Bild die Diskutant:innen
Über das Hinweisgeberschutzgesetz diskutierten gestern in Berlin, von links nach rechts: Alexander Poitz (GdP), Doreen Denstädt (Grüne), Maria Scharlau (GFF), Uli Grötsch (Polizeibeauftragter) und Benjamin Strasser (BfJ).

Über 1.200 Meldungen möglicher Missstände sind im vergangenen Jahr bei der Meldestelle des Bundesamtes für Justiz eingegangen. Was aus diesen Hinweisen geworden ist, lässt sich zwar noch nicht sagen. Aber die Zahl, die gestern Benjamin Strasser (FDP), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz (BfJ), öffentlich genannt hat, gibt einen ersten Einblick in einen noch jungen Mechanismus, der Missstände aller Art im Land zu beseitigen helfen soll.

Seit einem Jahr ist das sogenannte Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft. Es soll die vertrauliche Meldung von Rechtsverstößen oder Verfehlungen garantieren und zugleich sicherstellen, dass Whistleblower:innen etwa beruflich nicht benachteiligt werden.

Immer wieder kam es in der Vergangenheit dazu, dass Menschen am Arbeitsplatz gemobbt, gekündigt oder mit Klagen überzogen wurden, wenn sie auf unzumutbare Zustände aufmerksam machen wollten. Bekannt wurde beispielsweise der Fall der Altenpflegerin Brigitte Heinisch, die bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen musste, um sich gegen ihre fristlose Kündigung zu wehren.

Doch relativ wenige Menschen wissen überhaupt, dass sie in so einem Fall mittlerweile besonderen Schutz genießen. So hat im Frühjahr eine Studie der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) herausgefunden, dass drei Viertel der befragten Polizeibeamt:innen nicht über ihre neuen Rechte informiert wurden. Auch haben viele von ihnen immer noch Angst, etwa rechtsradikale Umtriebe oder gewalttätige Übergriffe in ihrem Arbeitsumfeld zu melden, weil sie es sich mit ihren Kolleg:innen oder Vorgesetzten nicht verscherzen wollen.

„Man kennt sich“

Verschworene Zirkel sind schwer aufzubrechen, berichtete die thüringische Justizministerin Doreen Denstädt (Grüne) auf der gestrigen Veranstaltung, mit der die GFF eine erste Bilanz über das Hinweisgeberschutzgesetz gezogen hat. Gerade in kleineren Bundesländern wie Thüringen, wo es eine überschaubare Zahl an Beamt:innen gibt, kann es schwerfallen, unbemerkt Verfehlungen zu melden. „Man kennt sich“, sagte Denstädt. Als ehemalige Polizeihauptkommissarin weiß sie offenkundig gut Bescheid darüber, wie ihre Ex-Kolleg:innen ticken.

Trotzdem ließen sich Hinweise so gut es geht anonymisieren, etwa mit Hilfe digitaler Meldewege, sagte Denstädt. Grundsätzlich müsse der Zugang zu Meldestellen, ob intern oder extern, so niedrigschwellig wie möglich sein – und diese müssten auch mit Personal besetzt sein, die mit der jeweiligen Thematik vertraut und für entsprechende Problemfelder sensibilisiert sind.

„Bestimmte Sachen kann man ja wirklich niemandem erklären, wenn man sie nicht selbst erlebt oder gesehen hat, wie diese Blackbox Polizei funktioniert“, so die ehemalige Mitarbeiterin der Vertrauensstelle der Thüringer Polizei.

„Graswurzelarbeit“ des Polizeibeauftragten

Nicht nur um Vertrauen, sondern auch um die Bekanntheit seines neu geschaffenen Amtes warb Uli Grötsch, seit März Polizeibeauftragter des Bundes. In den rund 100 Tagen, seit denen er im Amt ist, habe er knapp 140 Eingaben erhalten, sagte Grötsch. Rund 55.000 Bundespolizist:innen, aber auch der Zivilgesellschaft soll er als Anlaufstelle bei Fehlverhalten dienen – parallel zum Hinweisgeberschutzgesetz. Nur bei zweien dieser Hinweise hätten er und seine Mitarbeiter:innen das Gefühl gehabt, „da möchte jemand mal jemandem eine reinwürgen“.

Alles in allem liefe es „sehr, sehr konstruktiv“, sagte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Polizeibeamte. Indes räumte Grötsch ein, dass sein Amt noch „nicht so bekannt“ sei. Dies zu ändern, sei eine „Graswurzelarbeit“. Das scheint auch sein erster Tätigkeitsbericht zu bestätigen, den der Polizeibeauftragte letzte Woche vorgestellt hat: 109 der Eingaben stammten von Bürger:innen und nur 24 von Beschäftigten der Polizeibehörden. Beschweren wolle er sich nach 100 Tagen nicht, aber es sei „noch ein dickes Brett zu bohren, was die Bekanntheit angeht“, sagte Grötsch.

Eingeschränkte Evaluation

Zu mehr Öffentlichkeit könnte womöglich auch die für nächstes Jahr anstehende Evaluation des Hinweisgeberschutzgesetzes führen. Allerdings dämpfte Staatssekretär Strasser die Erwartungen: „Jede Evaluation kostet Geld“, und an dem mangle es im Bundesjustizministerium. Eigentlich hätte das Haus vorgehabt, in diesem Jahr zum „Goldstandard“ einer wissenschaftlichen Evaluation zu greifen, daraus werde aber nichts. „Wir überlegen jetzt Alternativmaßnahmen, wie wir trotzdem noch eine objektive Evaluation hinkriegen“, sagte Strasser.

Nur langsam scheint sich ein Mentalitätswandel durchzusetzen – der ohnehin maßgeblich auf eine inzwischen fünf Jahre alte EU-Richtlinie zurückgeht. Eine pünktliche Umsetzung scheiterte vor allem am Widerstand der Unionsparteien in der damaligen Großen Koalition. Erst den Ampelparteien gelang es, nach einigem Hin und Her mit dem Bundesrat, das Gesetz im Großen und Ganzen so zu beschließen, wie sie es im Koalitionsvertrag versprochen hatten.

Selbst wenn immer noch Lücken im Gesetz klaffen – so bleibt etwa der Geheimdienstbereich vollständig ausgespart – scheint es zumindest in Trippelschritten voranzugehen.

„An den Strukturen liegt es nicht“, beteuerte Alexander Poitz von der Polizeigewerkschaft GdP. Die seien jetzt eingerichtet, nun müsse man diesen Weg gehen und dabei auch eine neue „Fehlerkultur“ lernen. „Aber die Mühlen mahlen eben sehr langsam, was die Transparenz solcher Behörden darstellt“, sagte Poitz. „So ein Dampfer Polizei ist sehr schwer nach rechts oder nach links zu bewegen.“


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