EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung: „Traurige Wende beim Schutz der Privatsphäre“

Der Europäische Gerichtshof ändert seine bisher grundrechtsfreundliche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung und erlaubt in einem Urteil die anlasslose Überwachung sogar bei Urheberrechtsverletzungen. Grundrechte-Organisationen sind entsetzt und sprechen von einer „Wende“.

Taste mit Überwachung als Aufschrift
Der EuGH erlaubt jetzt mehr anlasslose Überwachung. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen erheblich ausgeweitet. Nicht nur sagt das Gericht in seiner Pressemitteilung, dass „die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte“ darstelle, sondern sieht auch deren Erhebung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen als rechtmäßig an. Geklagt hatten verschiedene Digital-Rights-Organisationen, unter ihnen La Quadrature du Net gegen das französische Anti-Piraterie-System HADOPI.

Laut dem Gericht ist eine Vorratsdatenspeicherung zulässig, „wenn die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleisten und es damit ausschließen, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können.“

Der Europäische Gerichtshof hatte bislang immer gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geurteilt, so zum Beispiel gegen die deutsche Variante der Massenüberwachung. Das Gericht hatte in den letzten Jahren wiederholt eine anlasslose Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten deutlich abgelehnt.

Gleichzeitig hatte er aber in Ausnahmefällen erlaubt, IP-Adressen zu speichern, um schwere Kriminalität zu bekämpfen und schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zu verhüten. Im letzten Jahr hatte sich schon angedeutet, dass es zu einem anderen Umgang mit der Überwachung kommen könne. Dennoch ist die Enttäuschung bei Datenschützer:innen und Grundrechte-Organisationen über das Urteil groß.

„Möglichkeit der Massenüberwachung“

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 sprach von „Ganz schlechten Nachrichten“.  Chloé Berthélémy vom Dachverband europäischer Digitalorganisationen sagt: „Das heutige Urteil des EuGH zum französischen Anti-Piraterie-System HADOPI stellt eine traurige Wende in der europäischen Rechtsprechung zum Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Internet dar.“ Der Gerichtshof habe beschlossen, „die bisherige Rechtsprechung zum Zugang zu Daten privater Unternehmen aufzuweichen, um Internetnutzer leichter identifizieren zu können.“ In einem breiteren politischen Kontext der zunehmenden Unterdrückung von Journalistinnen, Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft in Europa untergrabe dieses Urteil auf gefährliche Weise das Recht, online anonym zu bleiben.

La Quadrature du Net nennt das Urteil in einer Erklärung „enttäuschend“. Der EuGH habe seine bisherige Rechtsprechung erheblich verwässert, was sich nicht nur auf den Fall Hadopi auswirke. „Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu“, so die Digitalorganisation aus Frankreich.

Auch La Quadrature stuft das Urteil als „wichtige Wende in der EU-Rechtsprechung“ ein. Der Gerichtshof habe mit dem Urteil den „massenhaften, automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind“. Dieser Zugriff könne laut dem Gericht sogar zu Bagatellzwecken und ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde erfolgen.


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