In den letzten Tagen wurden gleich zwei Entwicklungen in der Finanzpolitik der EU-Kommission bekannt, die nachdenklich machen sollten. Das eine ist ein Entwurf für einen Umbau des EU-Haushalts: Bisher ist das nur ein Vorhaben der Kommission, das in den kommenden Mehrjahreshaushalt einfließen soll, der bis Sommer 2025 vorgelegt werden müsste. Das andere ist eine Meldung vom Montag über die Einrichtung einer Repo-Faszilität.
Über den Umbauentwurf berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Demnach sollen im nächsten Haushalt die Einzelposten (wie zum Beispiel die Agrarförderung) auf nur vier Haushaltspositionen zusammengefasst und außerdem sämtliche Förderungen, die an ein Land ausgezahlt werden, auf einmal ausgehandelt werden, was auf den ersten Blick wie eine Verringerung der Bürokratie aussieht. Schließlich sind Förderanträge für EU-Mittel, gleich in welchem Bereich, wirkliche Monstrositäten. Auf den zweiten Blick wird allerdings klar, dass sich diese Veränderung nicht in eine Reduzierung des bürokratischen Apparats in Brüssel umsetzen wird. Letztlich ist das Ziel, das lässt der Bericht der FAZ erkennen, die Ersetzung der finanziellen Kontrolle durch eine politische – denn die Vergabe der Mittel wird an allgemeine Zielvorgaben geknüpft, die den Nationalstaaten vorgegeben werden. Der Großteil des Budgets soll künftig "nach dem Vorbild des 2021 geschaffenen Corona-Aufbaufonds als eine Art 'Zuschuss' zum nationalen Haushalt an die EU-Staaten überwiesen" werden.
Die FAZ lieferte dafür folgende Beispiele:
"Die EU-Hilfen für den Bau einer Bahnlinie knüpfen die Autoren an die Erfüllung der Bedingung, die öffentliche Auftragsvergaben zu vereinfachen, Hilfen für sozialen Wohnungsbau mit der Schließung der Lohnlücke zwischen Männern und Frauen und Hilfen für Auffanglager für Migranten mit der Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit."
Übersetzt bedeutet das, die EU-Kommission will sich das Recht verschaffen, in beliebiger Tiefe in das staatliche Handeln der Mitgliedsländer einzugreifen. Die Bündelung der Haushaltspositionen ermöglicht es aber nicht nur, weitaus mehr Bereiche einzubeziehen, wenn in einem davon politischer Druck ausgeübt werden soll. Unter der Überschrift der "Vereinfachung" wird gleichzeitig die ohnehin nicht sehr starke Budgetkontrolle des EU-"Parlaments" weiter reduziert:
"Auch die Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen würden leichter, weil das Europaparlament und der Ministerrat nicht mehr über Hunderte von Programmen verhandeln müssten. Es ginge vereinfacht gesagt nur darum, wie viel Geld es für die vier Budgetposten insgesamt gibt und wie viel anschließend jeder Staat an Haushaltszuschüssen erhält."
Das ist noch nicht einmal ein Haushalt für jeden Kommissar, sondern nur noch eine Liste mit vier Pauschalbeträgen und je einer Summe für jedes Mitgliedsland. Damit verliert das Parlament nicht nur jegliche Kontrolle über die verwendeten Mittel, es verlöre auch den bedeutendsten Ansatz, um überhaupt politische Vorgaben zu machen, da die Entscheidung, wie die Haushaltsmittel auf die einzelnen Posten verteilt werden, allein bei der Kommission und ihrem bürokratischen Apparat läge.
Auch die Mittel, die dann pauschal an die Staaten überwiesen werden, darf das Parlament zwar noch bewilligen, aber die Entscheidung darüber, ob und inwieweit sie tatsächlich ausgezahlt werden, läge abermals in der alleinigen Verfügungsgewalt der Kommission. Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen der EU und Ungarn zur Migrationspolitik zeigten, in welche Richtung die Entwicklung geht. In den vergangenen Jahren nahmen die Sanktionierungen von EU-Mitgliedsländern durch die Kommission stetig zu, während sie immer weitere Bereiche staatlicher Politik an sich zog.
Der zweite Schritt deutet an, dass die Ausgabe von EU-Schuldverschreibungen in naher Zukunft deutlich ausgeweitet werden soll. Die am Montag bekannt gegebene Einrichtung einer "Repo Facility", also einer Struktur für Rückkaufvereinbarungen, ist ausgesprochen ungewöhnlich – weil sie gewissermaßen "falsch herum" läuft, und nicht den sonst üblichen Regeln folgt.
Repo ist normalerweise ein Verfahren, wie sich Geschäftsbanken kurzfristig Geld bei den Zentralbanken verschaffen. Die bekannteste Variante ist der "Overnight". Dabei werden Wertpapiere nur über Nacht in "Pension" gegeben (so heißt das tatsächlich) und am nächsten Tag gegen Rückzahlung des Kredits plus Verzinsung wieder ausgelöst. Dabei stellen die Zentralbanken, innerhalb der EU, also die EZB, Kriterien auf, welche Wertpapiere sie unter welchen Bedingungen als Sicherheiten akzeptieren.
Nun läuft der Repo, den die EU gestern bekannt gegeben hat, andersherum. Die EU-Kommission schafft sich eine Struktur, über die kurzfristige EU-Anleihen ausgegeben werden, gegen die Geld entgegengenommen wird. Wenn diese Anleihen wieder zurückgegeben werden, werden sie gelöscht. Das Gegenüber der Geschäftsbanken (der "Primary Dealer", Primärhändler, also der Banken, die auch sonst berechtigt sind, die EU-Anleihen zu vermarkten) ist nicht die EZB, wie man annehmen sollte, sondern die Deutsche Bundesbank, die über Clearstream und Eurex Clearing die Abwicklung übernimmt, während die Vereinbarung über den Handel selbst über Eurex Repo mit der Kommission erfolgt.
Die Beschreibung der Repo-Faszilität gibt folgende Begründung für die Einführung dieser Struktur:
"Über die Repo-Faszilität können die Primärhändler die Europäische Kommission bitten, zusätzliche Mengen von Schuldverschreibungen auszugeben, um ihre Verpflichtungen ihren Geschäftspartnern gegenüber zu erfüllen, wenn sie die nötige Menge auf dem Markt nicht finden können."
Die Handelsgeschäfte haben ein Minimum von 25 Millionen und ein Maximum von 1 Milliarde Euro. "Die EU wird die angeforderten Papiere für jeden Handel schaffen und nach Abschluss der Transaktion löschen."
Es ist, und das ist das Ungewöhnliche an dieser Struktur, nicht die Geschäftsbank, die Wertpapiere gegen kurzfristiges Geld hinterlegt, sondern die EU-Kommission. Was drei mögliche Deutungen ermöglicht. Erstens, die EU-Kommission verschafft sich die Möglichkeit, kurzfristige Kredite aufzunehmen. Zweitens, im Falle eines extremen Anstiegs der Nachfrage nach Eurobonds ließe sich so der Kursanstieg kontrollieren (im Fall des Einbruchs der Nachfrage allerdings nicht), und drittens, Kreislaufgeschäfte sind nicht ausgeschlossen. Es wäre also denkbar, dass die Kommission Bonds schafft und kurzfristig an Geschäftsbanken ausgibt, die dann diese Bonds wieder bei der EZB in einen Repo der "normalen" Richtung geben, um damit am Ende eine niedrigere Verzinsung dieser kurzfristigen Kredite zu erreichen, weil es explizit heißt:
"Die EU wird die angeforderten Papiere an die Primärhändler im Austausch gegen einen Geldbetrag beschaffen, der deutlich unter dem allgemeinen Zins für Sicherheiten liegt."
Die erste Variante steht für eine Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten der Kommission in Richtung eigener Staatlichkeit (was die Presseerklärung der Kommission als "ein einem Staat ähnlicher Ausgeber auf den EU-Kapitalmärkten" umschreibt); Variante zwei und drei lassen eher an eine Vorbereitung auf einen größeren Finanzcrash denken.
Ursprünglich war die Einführung dieser Rückkauffaszilität bereits für Anfang 2024 geplant. Die Hauptpositionen, für die bisher EU-Bonds ausgegeben wurden, sind 70 Milliarden Euro für das NexGenEU-Programm, eine bunte Tüte von Kontrolle über das Gesundheitssystem, Klima und LGBTQ-Förderung sowie 10 Milliarden Euro Kriegskredite für die Ukraine (wozu dann noch die 50 Milliarden kommen, die angeblich aus den Erträgen eingefrorener russischer Vermögen abgezahlt werden sollen). Allgemein wird geschätzt, dass die Ausgabe dieser EU-Schuldpapiere als Vehikel genutzt wird, um letztlich unmittelbar besteuern zu dürfen und damit Brüssel im Verhältnis zu den Nationalstaaten noch weiter zu stärken.
Mehr zum Thema – Warum die EU nicht zum Frieden fähig ist
Meist kommentiert