Client-Side-Scanning: Die Chatkontrolle ist Überwachungsstaat pur

Die geplante Chatkontrolle macht die Welt unsicherer und autoritärer, denn sie richtet sich gegen private und verschlüsselte Kommunikation. Um das Projekt durchzusetzen arbeiten die Befürworter mit Desinformation, Lügen und Taschenspielertricks. Doch noch kann die Chatkontrolle gestoppt werden. Ein Kommentar.

prompt: surveillance eye looking over the shoulder of somebody writing a letter, dark illustration
Jedes verschickte Bild wird zuhause am Schreibtisch vom Staat kontrolliert, bevor es in den Umschlag gesteckt wird. Man muss sich die Chatkontrolle mit Briefen vorstellen, um zu verstehen, wie tief der Eingriff in die Privatsphäre ist. – Public Domain generiert mit Midjourney

Seit Jahren reden sich Heerscharen von IT-Expertinnen und Sicherheitsforschern, Juristinnen, Datenschützer, Digitalorganisationen, Tech-Unternehmen, Messengern, UN-Vertretern, Kinderschützern, Wächterinnen der Internetstandards, Wissenschaftlerinnen und alle, die Sachverstand haben, weltweit den Mund fusslig: Die Chatkontrolle ist gefährlich. Sie ist eine neue Form der anlasslosen Massenüberwachung. Sie wird die IT-Sicherheit von uns allen schwächen. Sie wird auf den Apps und Endgeräten über die EU hinaus eine Überwachungsinfrastruktur einführen, die autoritäre Staaten mit Handkuss nutzen werden.

Letztlich ist Chatkontrolle ein Frontalangriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Vereinfacht dargestellt stellt letztere sicher, dass der Sender seine Nachricht in einen nur von der Empfängerin zu öffnenden Briefumschlag steckt. Bei der geplanten Chatkontrolle soll jetzt nicht der Briefumschlag auf dem Weg zur Empfängerin gewaltsam geöffnet werden, sondern es soll vor dem Einstecken in den Briefumschlag durchleuchtet werden, was für Inhalte später im Briefumschlag verschickt werden sollen. Beim Brief schreiben wird einem also direkt über die Schulter in die privaten Daten geschaut.

Nichts ist mehr privat, wenn die Chatkontrolle kommt

Die Befürworter der Chatkontrolle behaupten, dass der Briefumschlag – in diesem Bild die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung – nicht geöffnet würde und damit die Kommunikation ja dann sicher und verschlüsselt wäre. Es ist ein schäbiger und durchschaubarer Taschenspielertrick: Denn was ist der schützende Briefumschlag noch wert, wenn standardmäßig vor dem Verschicken durchleuchtet wird, was wir an andere Menschen versenden? Und wo ist eigentlich das gute alte Briefgeheimnis für unsere digitalen Briefe auf WhatsApp, Signal oder Threema? Mit welchem verdammten Recht soll eigentlich auf meinem Handy, Tablet und auf meinem Computer überwacht werden, was ich tue und was ich verschicke? Was fällt Euch eigentlich ein!

Fakt ist: Es ist technisch nicht möglich gleichzeitig alle Inhalte zu überwachen – und trotzdem private und sichere Kommunikation zu garantieren. Das geht einfach nicht. Doch genau das Gegenteil behaupten die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson und alle anderen Befürworter:innen der Chatkontrolle. Sie lügen uns offen ins Gesicht, schalten irreführende Werbung und tun so, als wäre die Chatkontrolle irgendwie harmlos und vereinbar mit den Grundrechten und Datenschutz. Sie verbreiten die Desinformation, dass es private Kommunikation und das Durchleuchten aller Inhalte gleichzeitig gäbe. Das ist nicht weniger als eine Beleidigung der Vernunft.

Es geht nicht um die Kinder

Die Überwachungsfanatiker geben vor, dass sie Kinder besser schützen wollen, erzählen Schauermärchen auf fragwürdiger Zahlengrundlage, doch von Anfang an war klar, dass es bei der Chatkontrolle darum geht, einen Angriff auf Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zu fahren – und damit auf die sichere und private Kommunikation von Milliarden von Menschen. Denn wenn die EU mit ihren 450 Millionen Einwohner:innen die Chatkontrolle einführt, dann wird das weltweit Strahlkraft haben.

Von Anfang an hat ein mit dem Sicherheitsapparat verflochtenes Lobbynetzwerk die Chatkontrolle gepusht. Es ging nie wirklich um die Kinder, sonst würde man an der Wurzel von Missbrauch und Gewalt ansetzen, statt unbescholtene Menschen ohne jeden Anfangsverdacht zu überwachen. Es geht darum, dass dem Sicherheitsapparat verschlüsselte Kommunikation ein Dorn im Auge ist. Deswegen versucht dieser, unsere private und verschlüsselte Kommunikation seit Jahren auf verschiedenen Wegen zu bekämpfen.

Das ist Überwachungsstaat pur und die Umkehrung rechtsstaatlicher Prinzipien. Jeder ist schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Diese Chatkontrolle ist eine Ausgeburt autoritärer Fantasien – und als solche müssen die EU-Staaten sie am Donnerstag im Rat ablehnen, wenn sie noch ein kleines Fitzelchen demokratischer Werte in der Tasche haben.


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