Kriegstüchtigkeit muss schon in wenigen Jahren erreicht werden. Darin sind sich die Ampel-Parteien und die noch oppositionelle Union einig. Denn auch der Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz wendet sich mit einem Appell und Plänen zum Wehrdienst an die junge Generation und will ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr sowie eine sogenannte Kontingentwehrpflicht einführen. Denn es heißt, Russland sei in wenigen Jahren bereit, NATO-Gebiet anzugreifen, und die deutsche Bundeswehr müsse für den Verteidigungsfall wachsen.
Diese einfachen Wahrheiten müssten nun schleunigst an die älteren Schüler vermittelt werden. Dafür setzt die Bundeswehr auf Jungoffiziere, die Schülern verständlich erklären, warum der Dienst in der Bundeswehr aufgrund der "veränderten Sicherheitslage in Europa" so wichtig ist. Dies sind noch keine Rekrutierungsmaßnahmen und es wird nicht unmittelbar zum Dienst angeworben. Aber eine Charme-Offensive ist die Tätigkeit der Jungoffiziere allemal, wobei einige von ihnen inzwischen als "Influencer" auf TikTok unterwegs sind.
So wie David Matei, der seine 170.000 Follower gern mit auf den NATO-Gipfel nimmt oder berichtet, wie er selbst Soldat wurde. Mit seinen Videos ist der Jugendoffizier längst nicht mehr allein in den sozialen Medien, berichtet BR über Matei. Inhaltlich hebt er sich aber deutlich ab von vielen Soldaten-Accounts, in denen sich die Inhaber einfach beim Dienst zeigen, etwa, indem sie Selfies in Uniform posten.
Derartige Präsenz im Netz ist vom Kommando ausdrücklich erwünscht. "Tragen Sie dazu bei, das Bild des Arbeitgebers Bundeswehr weiter zu verbessern und dessen Einbindung in die Gesellschaft zu fördern", heißt es in den entsprechenden Richtlinien der Bundeswehr. So geht David Matei mit seinem Kollegen Patrick Jungmann in die Schulen, um im Rahmen des Gemeinschaftskundeunterrichts über aktuelle sicherheitspolitische Fragen zu sprechen.
"Krieg führen zu können, um keinen Krieg führen zu müssen" ‒ so hieß beispielsweise die Unterrichtsstunde "Jugendoffiziere über die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik" in einem Gymnasium in Esslingen, die Anfang November stattfand. Die Referenten brachten dabei die Sicht der Jugendoffiziere auf die "Bedeutung militärischer Fähigkeiten für den Frieden in besonders prägnanter Weise zum Ausdruck", hieß es in der Mitteilung dazu.
Außerdem beleuchtete der Vortrag zentrale Themen wie die Zukunft der NATO, den Ukraine-Konflikt und die tiefgreifenden Veränderungen in der Weltordnung. "Dabei war es den Jugendoffizieren ein Anliegen, aufzuzeigen, dass die Herausforderungen der Sicherheitspolitik heutzutage weit über nationale Grenzen hinausgehen und von Faktoren wie technologischen Entwicklungen, geopolitischen Spannungen und der Klimakrise geprägt werden."
Es ist seit langem bekannt, wie weit entfernt die Jugendlichen von der Fernsehwelt sind. Aber nachdem sie in der Schule einen rhetorisch perfekten und gut aussehenden Jungoffizier erlebt haben oder einfach in der Innenstadt einem der vielerorts sichtbaren Werbeplakate der Bundeswehr begegnet sind, lassen sie sich möglicherweise einfacher überreden, sich mit ihren Eltern zusammen ins Wohnzimmer zu setzen und die ARD-Reportage "Zeitenwende hautnah – Ein Jahr mit Soldaten" anzuschauen? Ausgestrahlt werden soll sie am 25. November, sie ist aber schon in der Mediathek zu sehen. Hier ein Vorbericht:
Während in der Reportage durchaus peinliche Mängel in der Ausstattung der Bundeswehr offengelegt werden, kommen die vorgestellten Soldaten auffallend sympathisch herüber, besonders die bereits zu Anfang vorgestellten Sympathieträger Yannick und Samira.
Yannick, ein junger Hauptmann bei der Bundeswehr und Panzerkommandant, wird gezeigt, wie er – in Tarnkleidung und mit Tarnfarbe geschminkt – in seinem Panzer fährt und sich mit seinen Kameraden auf den anspruchsvollen Einsatz in Litauen vorbereitet. Yannick gibt sich differenziert und betont, er und seine Kameraden seien keineswegs "kriegsgeil". Sie wollten als Soldaten Leben retten und Leben schützen.
Er hält dafür aber auch Abschreckung für notwendig. Yannick erklärt lächelnd, dass bereits sein Vater Soldat gewesen sei und er sich schon als kleiner Junge für Panzer interessiert habe. Seine Begeisterung für die "Leoparden" ist deutlich spürbar. Von den Russen scheint er keine gute Meinung zu haben:
"Ich habe mich aktiv für das Soldatsein entschieden und als dann der russische Aggressor dazukam, da war mir durchaus klar, dass so etwas irgendwann mal kommen könnte."
Gemeint war wohl die Verlegung an die NATO-Ostgrenze, nach Litauen. Der schneidige Yannick freut sich sichtlich auf den Auslandseinsatz: "Das ist eine neue Erfahrung, ich darf dann mit meinem Zug endlich mal weg von zu Hause, neue Bilder kennenlernen, ein neuer Übungsplatz, auch mal im Ausland. Multinational arbeiten, darauf freue ich mich auch." Die Verlegung an die Ostfront als touristische Erfahrung.
Die ebenfalls 29-jährige Samira, blond und hochgewachsen, ist als Rekrutin auf der soldatischen Karriereleiter noch ganz unten. Sie hat bisher schon mehrere Berufe ausprobiert und will es jetzt bei der Bundeswehr versuchen. Auch sie ist im Feld mit Tarnkleidung und Waffe in der Hand zu sehen, später auch bei der Vereidigung im Bendlerblock zusammen mit ihren Eltern. 70 Minuten Stillstehen, bei 30 Grad in kompletter Uniform.
Auch sie gibt sich besonnen und verantwortungsbewusst. Ihr sei durchaus klar, dass es beim Militär anders laufe als im zivilen Leben. Beim Militär könnte einem eine Fehlentscheidung – im ungünstigsten Fall – das Leben kosten. Ihr sei die Zugehörigkeit wichtig, die sie beim Militär verspüre. Außerdem könne sie beim Bund beruflich weiter kommen, als das in einem zivilen Beruf möglich wäre. Die größere Gefahr "durch den russischen Angriffskrieg" nehme sie zur Kenntnis ‒ diese habe sie aber bei ihrer Entscheidung nicht beeinflusst.
Hauptbootsmann Marco dient seit rund zehn Jahren auf Deutschlands größtem Kriegsschiff. Auch er nimmt die Zeitenwende ernst, jetzt, wo der Krieg näher an Deutschlands Grenze gerückt sei. Man werde schon nachdenklicher.
Bernd ist als Dozent bei der Bundeswehr für die mentale Bewusstmachung der Zeitenwende verantwortlich. Man müsse den Offizieren bewusst machen, dass es nicht mehr ums Abhaken von Dienstpflichten gehe, sondern dass man nötigenfalls seine Soldaten ins Gefecht schicken müsse.
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