Russland ist bereit, Los Angeles und San Francisco ins Visier zu nehmen

Von Jewgeni Posdnjakow und Roman Krezul

Russland erwägt die Stationierung von Mittel- und Kurzstreckenraketen in Asien. Nach Angaben des stellvertretenden Außenministers Sergei Rjabkow wäre dieser Schritt eine Gegenreaktion auf die Stationierung ähnlicher US-Systeme in jeder anderen Weltregion. Er fügte hinzu, dass die USA und ihre Verbündeten die direkte Verantwortung für jede Eskalation der Situation tragen würden.

Nach seiner Einschätzung wirke sich die "rücksichtslose und unmenschliche Politik" Washingtons negativ auf die internationale Stabilität aus. Rjabkow wies auch darauf hin, dass es derzeit keine Einschränkungen für Moskau im Rahmen der potenziellen Stationierung von "Oresсhnik"-Raketen gebe. Dieses Waffensystem falle nicht unter den Vertrag zur Verringerung strategischer Waffen.

Er erinnerte daran, dass diese Situation unter anderem durch den "zutiefst verfehlten Schritt der ersten Donald-Trump-Administration" entstanden sei, sich aus dem Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrag zurückzuziehen. Dem Minister zufolge könnten im Konfliktfall mit Washington die US-Militärstützpunkte in Europa – darunter auch jene, die taktische Atomwaffen beherbergen – zu einem Angriffsziel für Moskau werden.

Zur Erinnerung: Letzte Woche hat Russland das "Juschmasch"-Werk in Dnjepropetrowsk (Dnjepr) getroffen. Laut Vermutungen westlicher Medien wurde der Beschuss mithilfe einer ballistischen Interkontinentalrakete durchgeführt, deren Start angeblich vom Gebiet Archangelsk aus erfolgte.

Wladimir Putin stellte jedoch später klar, dass es sich um eine Erprobung des neuen "Oreschnik"-Raketensystems handelte, das mit einer Geschwindigkeit von Mach 10 (2–3 Kilometer pro Sekunde) ein Ziel angreifen kann. Er betonte auch, dass die dem jeweiligen Gegner zur Verfügung stehenden Raketenabwehrsysteme nicht in der Lage seien, diese Rakete abzufangen. Das russische Staatsoberhaupt bezeichnete den Abschuss der Rakete als Reaktion auf das aggressive Vorgehen der NATO.

Die Expertengemeinschaft ist der Ansicht, dass die Stationierung von Raketen im Osten Russlands eine abschreckende Wirkung auf eine potenzielle US-Aggression haben wird. Da Washington früher oder später ohnehin deeskalieren muss, birgt dieser Schritt das Potenzial, auch das Kräftegleichgewicht in Europa zu verändern.

Der Militärexperte Alexei Anpilogow beschreibt die derzeitige strategische Lage so:

"Wir haben ein gigantisches territoriales Ausmaß und kontrollieren einen Großteil des eurasischen Kontinents. Sollten also Waffen auf dem Territorium unserer fernöstlichen Regionen, zum Beispiel in Tschukotka, stationiert werden, können unsere Raketen nicht nur die amerikanischen Stützpunkte auf Guam oder Okinawa, sondern auch die Westküste der USA erreichen."

Er erinnert daran, dass die angegebene Reichweite der 'Oreschnik'-Rakete etwa 5.000 Kilometer beträgt. Wenn dies zutrifft, liegt selbst Los Angeles innerhalb der theoretischen Reichweite dieses Waffensystems. Für die Stationierung russischer Waffen auf dem Territorium verbündeter Staaten bestehe vorerst kein besonderes Erfordernis. Länder wie China, Iran oder die Demokratische Volksrepublik Korea verfügten zudem über eigene, ausreichend leistungsfähige Waffensysteme, erklärt Anpilogow.

Interessanter könne der Versuch sein, russische Raketen auf dem Territorium von Venezuela oder Kuba zu stationieren. Kommt es zu einer entsprechenden Einigung mit diesen Ländern, könnte der Druck auf die Vereinigten Staaten von beiden Küsten aus gleichzeitig ausgeübt werden. Dies wäre eine Wiederholung des Szenarios der Kubakrise von 1962. Der Experte sieht in diesem Schritt eine Ultima Ratio und nennt die Umstände, unter denen Moskau zu diesem Mittel greifen könnte: 

"Diese Schritte könnten als Gegenreaktion auf die Stationierung ähnlicher Systeme durch die USA in Alaska unternommen werden. Darüber hinaus würde eine US-Aufrüstung in Südkorea, Japan oder Guam Moskau zu solchen Entscheidungen zwingen, die selbst den eifrigsten Aggressor zur Vernunft bringen könnten."

Ihm zufolge würden sich in diesem Fall "die Vereinigten Staaten nicht hinter dem angeblich riesigen Pazifischen Ozean" verstecken können. Dennoch werde sich Russland nach Ansicht des Analysten auf sein Hoheitsgebiet beschränken, wenn es um die Stationierung von Kurz- und Mittelstreckenraketen gehen sollte:

"Bei einer solchen Entwicklung ist es sehr wahrscheinlich, dass der Verhandlungsprozess über ein neues Mittel- und Kurzstreckenraketen-Abkommen endlich in Gang kommt. Unsere Aufgabe besteht in der möglichst umfassenden Gestaltung dieses Prozesses, wobei die Interessen Russlands zu berücksichtigen sind. Sollte es gelingen, ein gegenseitiges Einvernehmen über die Hauptmerkmale der Einschränkungen und die Anzahl der an dem Abkommen beteiligten Parteien zu erzielen, könnte das endgültige Dokument die internationale Lage wirklich verändern."

Es gebe unter Russlands Verbündeten keine Staaten, die der Stationierung von Mittel- und Kurzstrecken-Raketensystemen auf ihrem Hoheitsgebiet zustimmen würden, meint Wassili Kaschin, Direktor des Zentrums für integrierte europäische und internationale Studien an der Nationale Forschungsuniversität "Hochschule für Wirtschaft". Russlands asiatische Partner seien "sehr ehrfürchtig, was ihre Militärhoheit angeht", fügt er hinzu und zieht historische Parallelen:

"Höchstwahrscheinlich wird es tatsächlich ausschließlich um das Hoheitsgebiet unseres Landes gehen. Schon zu Sowjetzeiten wurde die mögliche Waffenstationierung in Tschukotka sehr ernsthaft erwogen. Dieses Militärobjekt wurde 'Anadyr-1' genannt. Von hier aus sollten Waffen nicht nur Alaska, sondern auch den kontinentalen Teil der Vereinigten Staaten, zum Beispiel San Francisco, erreichen können. Dieses Projekt wurde jedoch aufgrund der Unterzeichnung des zwischen Moskau und Washington geschlossenen Abkommens über die Abschaffung von Mittel- und Kurzstreckenraketen eingestellt."

Es sei durchaus realistisch, an die sowjetischen Pläne anzuknüpfen und die Kapazitäten dieses Militärobjekts wiederherzustellen. Alle früheren Ausarbeitungen seien erhalten und könnten jederzeit wieder angegangen werden. Kaschin geht sogar weiter:

"Ich würde auch andere fernöstliche Regionen als geeignete Territorien bezeichnen. Es ist gut möglich, dass die Raketenstationierung auch in der Nähe der Arktis erfolgt. Darüber hinaus wird wahrscheinlich eine Raketenaufrüstung in Weißrussland in Betracht gezogen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Schritte für Moskau wohl nicht zu vermeiden sind. Die USA haben bereits für uns inakzeptable Entscheidungen getroffen, und niemand scheint sie rückgängig machen zu wollen. Ab 2026 werden amerikanische Marschflugkörper in Deutschland stationiert."

Ein ähnliches Schicksal erwarte wahrscheinlich auch die Philippinen. Niemand könne garantieren, dass das Weiße Haus nach diesem Waffen-Transfer nicht noch stärkere Waffen an seine Verbündeten weitergibt. Auf diese Gefahren müsse Moskau reagieren. Die Vereinigten Staaten müssen sich darüber im Klaren sein, dass ihre auf weitere Eskalation abzielenden Aktionen nicht ohne Konsequenzen bleiben werden, so der Experte.

Kaschins Blick in die Zukunft ist trotz allem positiv für Russland:

"Auch wenn es seltsam erscheinen mag, befinden wir uns jetzt in einer günstigeren Position. Die Produktionskapazitäten unseres militärisch-industriellen Komplexes sind denen der westlichen Länder voraus. Außerdem haben wir kürzlich eine Erprobung der Oreschnik-Rakete durchgeführt, die bei Beobachtern aus den USA und der EU großen Eindruck hinterlassen hat."

Darüber hinaus würden die USA versuchen, an zwei Fronten gleichzeitig auf Abschreckung zu setzen. China sei in dieser Hinsicht ein äußerst ernst zu nehmender Gegner Washingtons, schätzt Kaschin ein. Russland sollte seine Anstrengungen daher allein auf die Eindämmung der USA konzentrieren, um das Kräftegleichgewicht in Europa künftig zu seinen Gunsten verändern zu können.

Auch der Abschluss neuer Abkommen in diesem Bereich sei durchaus möglich, meint Kaschin. Wichtig sei aber, dass man dabei die "schlechten Erfahrungen der 1980er Jahre" nicht vergisst, als Moskau zur Vermeidung unnötiger weltpolitischer Spannungen Zugeständnisse an Washington im Bereich der Mittel- und Kurzstreckenraketen machte. Deswegen sollte Russland seine Raketenbestände unter keinen Umständen reduzieren. Dennoch könne es akzeptabel sein, mit den Vereinigten Staaten eine "Vereinbarung über die Unmöglichkeit der Waffenstationierung auf bestimmten Territorien zu treffen", resümiert dieser Experte.

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 26. November 2024 zuerst auf der Internetseite der Zeitung 'Wsgljad' erschienen.

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