Gewalthilfegesetz: Aus vor der Ziellinie?

Wenige Stunden vor dem Ende der Koalition hat das Bundesfamilienministerium einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen sichern sollte. Der Entwurf könnte nur noch mit den Stimmen der Union verabschiedet werden – doch die winkt ab.

Drei Menschen vor blauem Hintergrund, vorne eine blonde im lila Blazer
Déjà-vu: Lisa Paus bei der Vorstellung des Lagebildes Straftaten gegen Frauen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO

Als Bundesfamilienministerin Lisa Paus gestern morgen vor die Kameras trat, um das neue Lagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt vorzustellen, erfüllte sie damit etwas, zu dem sich Deutschland schon vor Jahren verpflichtet hatte. Die Istanbul-Konvention sieht vor, dass Unterzeichnerinnen regelmäßig Zahlen zu Gewalt gegen Frauen vorlegen. Deutschland sammelt diese Zahlen erst seit wenigen Jahren. Das Lagebild zu Straftaten, die sich überwiegend gegen Frauen richten, ist das erste seiner Art.

Eine weitere Forderung, eine der zentralsten, wird die Bundesfamilienministerin in ihrer Amtszeit hingegen wohl nicht mehr umsetzen können. Deutschland hatte sich verpflichtet, ausreichend Plätze in Frauenhäusern bereitzustellen – unabhängig davon, wo Betroffene leben, wie viele Kinder sie haben, ob sie arm oder reich sind, cis oder trans.

Ein Gesetz dazu ist seit langem in der Mache. Und für Beobachterinnen hatte der Auftritt gestern etwas von Déjà-vu: Schon im Juli warb Paus vor der Presse für das Gewalthilfegesetz, da ging es um die Vorstellung des Lagebildes häusliche Gewalt. Die Ampel sollte Frauenhäuser mitfinanzieren und den Zugang zu Schutz und Beratung bei Gewalt auch rechtlich absichern. 2,2 Milliarden Euro sollte das den Bund kosten über die kommenden Jahre.

Doch der offizielle Gesetzentwurf aus dem Familienministerium ließ lange auf sich warten. Paus konnte sich nicht mit dem damaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) einigen. Ihm war das Vorhaben zu teuer, die Freigabe aus dem Finanzministerium blieb aus. Am 6. November schließlich stellte Paus den Entwurf trotzdem vor. Wenige Stunden später war die Ampel-Koalition Geschichte.

Jetzt gibt es einen neuen Finanzminister und Jörg Kukies (SPD) hat dem Vorhaben zugestimmt, teilt das Ministerium mit. Man geht davon aus,  dass das Kabinett den Gesetzesentwurf schon Mittwoch nächster Woche beschließen wird, sagt eine Sprecherin. Was aber folgt dann?

Geplant war ein Rechtsanspruch auf Schutz ab 2030

Das Gewalthilfegesetz soll den Zugang zu Schutz vor Gewalt und Beratung für Betroffene absichern. Bis 2030 sollen die Bundesländer dazu ihr Angebot an Frauenhausplätzen und Beratungsstellen ausbauen, orientiert am tatsächlichen Bedarf. Ab Anfang 2030 würde dann ein Rechtsanspruch auf Schutz gelten. Neu wäre, dass auch der Bund sich an den Kosten des Ausbaus beteiligt. Bislang ist die Finanzierung etwaiger Initiativen Sache der Länder und Kommunen. Das Angebot und die Bedingungen sind damit bundesweit unterschiedlich.

Zentral war auch dieser Punkt: Alle Betroffenen sollten laut den Plänen kostenfrei Schutz und Beratung bekommen. Bislang müssen Frauenhäuser jeden Fall einzeln abrechnen. Wer keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat, muss den Aufenthalt – teils mehrere Tausend Euro im Monat– selbst zahlen. Das trifft Studierende und Rentnerinnen, aber auch Menschen ohne gesicherten Aufenthalt.

Von einem „Meilenstein“ sprach Lisa Paus bei einer Regierungsbefragung im Bundestag. Doch mit dem Ende der Koalition wird der Weg ins Gesetzbuch immer unwahrscheinlicher. Nur mit den Stimmen der Union könnte Paus den Entwurf noch durchbringen. Doch die will nicht mitziehen.

CDU winkt ab

Vergangene Woche hatte die Union einen eigenen Antrag zum Thema eingebracht. Die Überschneidungen mit dem Entwurf aus dem Familienministerium sind auffallend groß. Rechtsanspruch auf Schutz, Mitfinanzierung des Bundes, alles mit drin. Bei Verbänden weckte das Hoffnung. Wohl verfrüht.

„Der Antrag ist nicht als Signal an die Rest-Ampel gedacht“, sagt Silvia Breher, familienpolitische Sprecherin der Union. Er sei bereits beschlossen gewesen als die Ampel zerbrach, die zeitliche Überschneidung nur Zufall. Dass das Gesetz noch vor der Wahl durch den Bundestag kommt, hält sie für sehr unwahrscheinlich. „Wir haben derzeit nicht mal einen finalen Entwurf. Wie sollen wir das noch hinbekommen?“ Für eine parlamentarische Beratung bliebe gar keine Zeit mehr. Zudem stünde ohne Haushalt für das kommende Jahr die Finanzierung in Frage.

Das plant die Ampel zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt

Auch Breher fordert eine Gesamtstrategie gegen Partnerschaftsgewalt, neben dem Schutzanspruch müsste auch mehr für Prävention getan werden, Strafmaße sollten hochgesetzt werden. Doch das müsse zügig nach der Wahl passieren, sagt sie. „Vor dem Stellen der Vertrauensfrage geht eh nichts.“

Breher hat Recht, das Timing ist knapp. Unmöglich wäre es aber nicht. Der Bundesrat, der ebenfalls zustimmen muss, tagt noch zwei Mal in dieser Legislaturperiode: am 20. Dezember und am 25. Februar. Das Ministerium stellt sich den Zeitplan so vor: Vor Weihnachten könnte das Gesetz noch in Bundesrat und Bundestag zur ersten Lesung eingebracht werden, eine zweite und dritte Lesung im Bundestag wäre im Januar möglich, der Abschluss im Bundesrat Mitte Februar.

Bei der Vorstellung zum Lagebericht gestern hat Lisa Paus noch einmal Werbung für das Vorhaben gemacht. “Frauen, die bedroht und geschlagen werden, um ihr Leben fürchten, ist es vollkommen egal, wer regiert – sie brauchen schnellstmöglich Schutz und Beratung“, sagte sie vor der Presse. „Ich möchte hier schon mal dafür werben, dass sich dieses Thema nicht für parteipolitische Profilierungen eignet, sondern dass das etwas ist, was fraktionsübergreifend Unterstützung erfahren könnte.“

Könnte, aber ob es auch wird? Am Ende könnten dann alle Fraktionen von sich behaupten, das Thema sei ihnen wichtig. Und das Gesetz würde dennoch im Bundestag scheitern.

„Dieses Gesetz kann Leben retten“

Verbände drängen weiter auf eine Lösung noch vor der Wahl. „Es ist unerlässlich, dass Regierung und Opposition ebenso wie Bundesländer und Kommunen jetzt an einem Strang ziehen, um das Gesetz noch in diesem Jahr zu realisieren“, sagt Sibylle Schreiber, Geschäftsführerin des Vereins für Frauenhauskoordinierung.

„Sie alle tragen eine Verantwortung, die stärker wiegen muss als parteipolitische Streitigkeiten. Dieses Gesetz kann Leben retten.“ Im Interesse der betroffenen Frauen und Kinder sollten Verantwortliche parteiübergreifend handeln, appelliert Schreiber, deren Verein die Arbeit von Frauenhäusern und Beratungsstellen unterstützt.

Das Bündnis Istanbul-Konvention, in dem sich mehr als 20 Organisationen aus der Prävention und Beratung zusammengeschlossen haben, richtet sich mit ihrem Appell hingegen schon an eine künftige Bundesregierung und kritisiert das Scheitern der Ampel. „Umso wichtiger ist es, dass die neue Bundesregierung und die politisch Verantwortlichen das Thema mit hoher Priorität auf die Agenda setzen und die begonnene Arbeit fortsetzen“, schreibt das Bündnis. Die Bundesregierung müsse ihren Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention und der EU-Gewaltschutzrichtlinie nachkommen.

Ein Jahr kein Digitale-Gewalt-Gesetz

Gesetz gegen digitale Gewalt ebenfalls versandet

Das Gewalthilfegesetz ist nicht das einzige Vorhaben der Ampel zum Gewaltschutz gewesen, das nun am vorzeitigen Aus der Koalition zerschellt.

Anfang 2023 stellte das Bundesjustizministerium Eckpunkte für ein Gesetz gegen Digitale Gewalt vor. Für Betroffene sollte es im Zivilrecht leichter werden, bei Beleidigungen im Netz Auskunft über die Verfasser zu bekommen. Deren Accounts sollten im Zweifel gesperrt werden können.

Fachleute kritisierten, dass damit ohnehin nur ein Bruchteil der Taten abgedeckt wäre, die Expert:innen als digitale Gewalt bezeichnen. Taten aus dem privaten Umfeld wie Stalking oder das Veröffentlichen von Nacktaufnahmen ohne Zustimmung waren hier von Vornherein nicht gemeint. Es gehe nur um den ohnehin schon gut sichtbaren Teil an Drohung und Beleidigung, der sich öffentlich im Netz abspielt. Sie forderten, das Gesetz müsse unbedingt nachgebessert werden.

Doch auch dieses Vorhaben ist versandet. Das Haus von Ex-Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte bis November 2024 nicht mal einen Entwurf dazu vorgelegt.


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