Der tiefe US-Staat möchte seine geopolitischen Gegner auf der Erde endlich wieder effektiv sanktionieren können, aber am liebsten ohne Boomerang-Effekt. KI soll diesen Traum Wirklichkeit werden lassen. Geht das aber im derzeitigen ideologischen Klima des Westens noch?
Von Elem Chintsky
Ein verhältnismäßig frisches DARPA-Papier zeigt auf, dass das US-Verteidigungsministerium schon bald fortschrittliche Künstliche Intelligenz (KI) zum Zwecke der „geoökonomischen“ Dominanz einsetzen möchte. Das Ziel ist ein selbstlernendes Computersystem, das zur Modellierung und Vorhersage globaler Wirtschaftsprozesse eingesetzt werden kann – selbstverständlich zum hoffentlich eigenen Vorteil. In dem Dokument selbst gibt man sich außerordentliche Mühe, Begriffe wie KI oder Maschinelles Lernen (ML) zu umgehen, aber der Kontext offenbart klar die Thematik, um die es eigentlich geht. Auch wird suggeriert, dass der Entwicklungsprozess eines solchen KI-betriebenen Computersystems noch nicht abgeschlossen sei. Es trifft aber eher zu, dass ähnliche Programme bereits irgendwo gestartet wurden und im Hintergrund erste Versuche in diese Richtung betreiben.
Dieses innovative Rechensystem integriert eine Reihe von Modellen, die mikroökonomische Interaktionen simulieren sollen. Mithilfe dieser komplexen Nachbildungen sollen makroökonomische Prozesse aufgezeigt werden. Der wachsende Zugang zu Datensätzen soll sicherstellen, dass das neuartige Computerprogramm immer optimal kalibriert und gleichzeitig selbstlernend ist. Wofür? Für den größtmöglichen wirtschaftlichen und sozialen Schaden, den Washington D.C. bei seinen Konkurrenten zu maximieren wünscht. Peking, Moskau, Pjöngjang und Teheran bleiben aufmerksam.
Dies kann auch als verschleiertes Eingeständnis verstanden werden, dass die bisherigen Sanktionen gegen Russland, China und die anderen „nicht effektiv genug“ waren. Es impliziert ferner, dass in den angelsächsich-zionistischen Machtzirkeln im Westen durchaus die Einsicht besteht, dass man unbedingt neue Strategien anwenden müsse – „umdenken müsse“ – um die geopolitischen und geostrategischen Gegner wieder besser dominieren zu können. Während man gleichzeitig das neoliberale Märchen der unkorrumpierbar-egalitaristischen, regelbasierten Weltordnung in den Köpfen der eigenen Subjekte glaubhaft aufrechterhält.
Wie würde denn eine solche geoökonomische KI-Anwendung in der Gegenwart aussehen? Vor allem, wenn man den Narrativen der westlichen Gleichwertigkeit zwischen Europa und Nordamerika Glauben schenkt? Das würde doch sicher implizieren, dass eine solche algorithmisch gespeiste „Wunderwaffe“ aus der DARPA-Schmiede kollegial und brüderlich, nicht nur unter den Five Eyes (bestehend aus dem Vereinigten Königreich, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland) geteilt werden würde, sondern auch den aufmerksamen und profitgierigen Bürokraten der Europäischen Union zur Verfügung gestellt werden würde? Jedem nach seinen Bedürfnissen? Sicherlich nicht ganz.
Man stelle sich nämlich eine von der Bundeswehr, dem Bundesnachrichtendienst oder dem Bundeswirtschaftsministerium betriebene KI vor, der folgender Satz zur komplexen Analyse übergeben würde:
„Computer, sag bitte, was mit unserer deutschen Volkswirtschaft passiert, falls wir den USA erlauben würden, unsere überlebenswichtige und für weitere Industrialisierung garantierende Energie-Infrastruktur zu sprengen?“
Ein Zusatzbefehl für die effektivere Ausführung dieser KI-Aufgabe könnte lauten: „Computer, lass dein prognostizierendes Programm bitte ohne einen ideologischen Filter für politische Korrektheit laufen.“
Falls solch ein neuartiges Computerprogramm daraufhin richtig kalkulieren würde, müsste mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit folgendes Urteil zu lesen sein:
„Unmittelbare zivilisatorische Bedrohung. Akute Gefahr einer Deindustrialisierung, samt verheerender, sozialer Instabilität. Internationale Beziehungen und Partnerschaften – besonders mit den US-Amerikanern – unverzüglich und realpolitisch neu bewerten. Auch: Freundliche Bitte um Neustart.“
Da die BRD jedoch nur die Technologie nutzen darf, welche die USA absegnen und kontrollieren, würde stattdessen folgende Meldung den Monitor schmücken:
„404 Not Found – die angeforderte Ressource konnte nicht gefunden werden. Diese Computereinheit wird sich in 5 Sekunden selbst zerstören.“
Und schon wären erneut dutzende Milliarden von deutschen Steuerzahler-Euros als „unrealisiertes Sondervermögen“ komplett verschwendet worden.
Selbst ohne einen revolutionären Sprung in die KI-Technologie bräuchte man eigentlich nur eine kleine Prise analogen, bio-organischen, gesunden Menschenverstands, um die „unerwünschten“ Resultate der meisten wirtschaftspolitischen Angriffe gegen den Feind (Russland, China, Iran, usw.) zu antizipieren. Da dieser jedoch schwindet, muss sich die Technik stattdessen sputen zu begeistern.
Könnte solch eine gerissene, machiavellistische KI zum Beispiel die horrenden Einspielergebnisse eines mit politischen und moralisierenden Bevormundungen gespickten Kinofilms voraussagen? Ähnliches gilt für die Einschaltquoten von TV-Serien mit gleichen erzieherischen Agenden. Ein zeitgenössisches Beispiel wäre der Disney-Animationsfilm „Strange World“ (Jahr 2022, Altersfreigabe ab sechs Jahren), der sich explizit vornahm, dem jüngstmöglichen Kinopublikum sexuelle Identitätspolitik schmackhaft zu machen. Das Werk war ein absoluter Misserfolg an den Kinokassen.
Neoliberal-progressive Ideologen versuchen jedoch andere Beispiele zu nennen, welche die Grundthese des Mottos „Go woke, go broke“ widerlegen sollen. Wie zum Beispiel, dass „Arielle, die Meerjungfrau“ (ein Disney-Film von 2023, in dem Arielle ein schwarzes Mädchen ist) oder „Captain Marvel“ (ein von Disney kontrollierter Superhelden-Film von 2019 aus dem Marvel Cinematic Universe, der eine allzu mechanisch-künstliche Glorifizierung von hyper-feministischer Frauenpower propagiert) beides große Kassenschlager waren. Die Grenze der Verträglichkeit und Akzeptanz beim westlichen Publikum scheint tatsächlich sehr fluide und algorithmisch schwer zu qualifizieren zu sein.
Mal übertreiben die Filmemacher mit der „woken Bevormundung“ so sehr, dass es sich negativ auf das Konsumverhalten der Zuschauer auswirkt – mal ist die Propaganda so klug und gerissen in andere Aspekte der Dramaturgie eingeflochten, dass das Publikum unterhalten und zufrieden bleibt: wie beim Film „Barbie“ vom letzten Jahr, der eher trotz statt wegen seiner woken Aspekte Einspielerfolge erzielte.
Sicherlich wäre eine solche gewünscht skrupellos faktische KI handlungsunfähig – ist sie doch von neoliberalen Ideologen programmiert worden, die zwar schaden wollen, aber gleichzeitig ihrem flüchtigen Lügenkonstrukt treu bleiben möchten („Jeder kann sich als biologische Frau identifizieren“). Wohl wird auch deswegen solch eine immense Hoffnung gesetzt in das „selbstlernende“ Potenzial eines solchen Computerprogramms: Die KI muss sich aus ihrer fremdverschuldeten (der kognitiv dissonante Mensch als ideologischer Urtäter und Programmierer) Unmündigkeit selbst befreien.
So ähnlich hat es sich doch stets in der Literatur verhalten: Der Schriftsteller kann keinen Protagonisten erschaffen, der intelligenter ist, als er selbst. Künstliche Intelligenz soll wohl irgendwann idealerweise herhalten als Ausgleichsvorrichtung für das mittlerweile rasant wachsende, pathologische Fehlen des gesunden Menschenverstands, der sich einst mit Vernunft und rationaler Didaktik ausweisen und sie bedienen konnte.
Deshalb müsste man dafür dieser KI eine radikale und unüberbrückbare algorithmische Immunität gegen politische Korrektheit und ideologische Voreingenommenheit einprogrammieren, die aber mindestens das letzte Vierteljahrhundert den westlichen Gesellschaften kollektiv so mühsam und systematisch eingetrichtert wurde. Mit der bevorstehenden Amtszeit Donald Trumps könnte aber genau solch eine Ära im Begriff sein, ein Gelegenheitsfenster zu öffnen.
Eine so anspruchsvolle und facettenreiche, geoökonomische KI-Waffe der USA müsste den leichtgläubigen Deutschen und der naiv-aggressiven EU als Altem Kontinent insgesamt freilich vorenthalten werden – wird sie doch, wenn man die Kausalkette des zu erwartenden Schadens zu Ende denkt, auf breiter Linie gegen die Vereinigten Staaten gerichtet werden, statt gegen den üblichen Verdächtigen in Moskau.
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Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit „RT DE“ besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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