Zwei Jahre lang hat der Beirat Digitalstrategie die digitalpolitischen Vorhaben der Ampel-Regierung eng begleitet. Im Abschlussbericht empfehlen die Expert:innen der nächsten Regierung grundlegende Kurskorrekturen.
Einen „umfassenden digitalen Aufbruch“ – das versprach die Ampel-Regierung zu Beginn ihrer Amtszeit. Was sie am Ende ihrer Legislatur bekommt: eine Fundamentalkritik ihrer Digitalpolitik. Und zwar von jenem Beirat Digitalstrategie Deutschland, den sie selbst vor gut zwei Jahren eingesetzt hat.
Das 17-köpfige Gremium aus Vertreter:innen der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft begleitet die Umsetzung der Digitalstrategie, die die Ampel im August 2022 vorlegte. In ihrem Abschlussbericht, den sie gemeinsam mit dem DigitalService des Bundes verfasst haben, beleuchten die Beiratsmitglieder aber nicht den aktuellen Stand der 19 Leuchtturmprojekte der Ampel, sondern sie nehmen die zugrunde liegenden politischen Prozesse ins Visier.
Hier liege einiges im Argen, betonen Beiratsmitglieder auch in einem Pressegespräch am Dienstag. Die Ampel habe ihre digitalpolitischen Ziele weitestgehend verfehlt. Wenn die nächste Regierung es besser machen wolle, müsse diese ihre Strategie grundlegend anders angehen.
Drei zentrale Empfehlungen durchziehen den knapp 20-seitigen Beiratsbericht: Erstens brauche es einen klar ausgerichteten strategischen Kurs, zweitens eine zentrale Steuerung des Umsetzungsprozesses und drittens eine frühzeitige Einbindung von Nutzenden, Fachleuten und Stakeholdern. Statt zahlreicher Leuchttürme empfiehlt der Beirat zur Orientierung zudem die Konzentration auf eine übergeordnete Vision.
Eine Strategie ohne Strategie
Wichtiger Ausgangspunkt der Grundsatzkritik ist die Digitalstrategie selbst. Mit ihr habe die Ampel keine wirkliche Strategie vorgelegt, so die einhellige Meinung beim Pressegespräch, sondern „eine Ansammlung von über 140 Einzelmaßnahmen“ aus unterschiedlichen Ministerien.
Selbst den Beiratsmitgliedern sei bis zum Ende nicht ersichtlich gewesen, was ein Leuchtturmprojekt auszeichnet und nach welchen Kriterien die Ampel diese ausgewählt hat, betont Stefan Heumann am Dienstag. Er sitzt für die Denkfabrik Agora Digitale Transformation im Beirat. Zu den Leuchtturmprojekten zählen unter anderem Vorhaben wie der Gigabitausbau, ein digitaler Familienassistent, ein „digitales Gefechtsfeld“ für die Bundeswehr und ein Ökosystem für Mobilitätsdaten.
Um bei den nautischen Metaphern zu bleiben: Weil eine Gesamtstrategie fehle, gingen selbst zentrale Digitalisierungsvorhaben über Bord. So etwa das Vorhaben der digitalen Identitäten. Sie ermöglichen es Bürger:innen, sich online auszuweisen und Behördengänge mit dem Smartphone zu erledigen. Das sei kein „nice to have“, sagt Heumann, sondern eine notwendige Voraussetzung für die Verwaltungsdigitalisierung. Das Thema müsse die nächste Regierung klarer priorisieren, „damit Digitalvorhaben nicht gegen Sicherheit verhandelt werden“.
Das Bundesinnenministerium hatte Ende vergangenen Jahres unter anderem den Online-Ausweis fürs Smartphone aus Kostengründen gestoppt, plant aber zugleich einen „Sicherheitshaushalt“ mit einer zusätzlichen Milliarde Euro für die Sicherheitsbehörden.
Wo ist der Käpt‘n?
Immerhin sei es in den vergangenen Jahren gelungen, einige Digitalisierungsprojekte umzusetzen. Dies sogar in Absprache zwischen Ressorts und über Bundesländergrenzen hinweg, wie der Beirat betont. Als Beispiel nennen Mitglieder das Leuchtturmprojekt „Zivilgerichtliche Online-Verfahren“. Bürger:innen können hier Zahlungsklagen von niedrigem Streitwert digital einreichen.
Andere Projekte seien aber auf halbem Wege ins Stocken geraten. So etwa das Auslandsportal des Auswärtigen Amtes, wo Fachkräfte im Ausland digitale Visa-Anträge stellen können. Damit die digitalisierten Prozesse sich bis ins Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die einzelnen Ausländerbehörden fortsetzen, hätte das Bundesinnenministerium einbezogen werden müssen. Das sei aber nicht passiert.
An den zuständigen Fachkräften in den Ministerien habe das nicht gelegen, betont der Beirat. „Beim Auslandsportal haben Leute ganze Wochenenden durchgearbeitet“, sagt Alexander Rabe, Geschäftsführer bei eco – Verband der Internetwirtschaft. Allerdings habe eine koordinierte Steuerung gefehlt, also der Käpt’n auf der Brücke. „Es bedarf einer kompetenten Steuerung, das mag banal klingen, aber das haben wir derzeit mit dem Bundesdigitalministerium nicht“, so Raabe.
Noch-Digitalminister Volker Wissing (parteilos) kann dies nur teilweise angelastet werden: SPD, Grüne und FDP hatten sich erst nach sieben Monaten im Amt auf eine hochgradig komplexe und kleinteilige Aufteilung der Zuständigkeiten für Digitalvorhaben geeinigt. Bei vielen Themen lag die Federführung mindestens bei zwei Ministerien, neben dem Digitalministerium zum Beispiel noch beim Wirtschafts-, Finanz- oder Innenministerium sowie dem Kanzleramt.
Zentrale Steuerung und klare Arbeitsteilung
Der nächsten Regierung empfiehlt der Beirat daher eine „steuernde, zentrale Instanz“, die mit einem eigenen Digitalbudget ausgestattet ist. Das müsse nicht unbedingt ein Digitalministerium sein – hier gehen die Meinungen im Beirat auseinander –, sondern könnte auch anders ausgestaltet sein.
Die Ministerien sollten sich derweil auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren: die politische Steuerung und Gesetzgebung. „Wir brauchen hier nicht weniger als eine Prozessrevolution mit klaren Aufgabentrennungen“, betont Raabe.
Gleichzeitig müssten die Silos der einzelnen Ministerien aufgebrochen werden, damit die Ressorts stärker miteinander ins Gespräch kommen. Derzeit gebe es nicht einmal eine kollaborative Austauschplattform zwischen den Ministerien. „Es ist nicht einmal möglich, gemeinsam ressortübergreifend an einem Textdokument zu arbeiten“, so Ann Cathrin Riedel, Geschäftsführerin bei NExT e.V., im Pressegespräch.
Eine Vision entwickeln
Außerdem empfiehlt der Beirat der kommenden Regierung, nur einen großen Leuchtturm aufzustellen. Das sollte kein bestimmtes Digitalisierungsprojekt sein, betont Riedel. Sinnvoller wäre es, eine Vision zu entwickeln, die ein übergreifendes Ziel vorgibt.
Dabei sollte die nächste Regierung Stakeholder, Expert:innen und Zielgruppen von Beginn an einbinden. Das habe die Ampel versäumt: „Viele Projekte definieren ihre Zielgruppen nicht klar und bleiben zu allgemein bei der Adressierung ihrer Vorhaben“, kritisiert der Bericht.
Etliche der Leuchtturmprojekte hätten sich nicht mit der Frage befasst, inwiefern sie Wirkung entfalten. Meist hätten nicht einmal Metriken vorgelegen, kritisiert Christina Lang, Geschäftsführerin des DigitalService des Bundes. Buzzwords wie „digitale Souveränität“ gäben keine Messlatte vor, ergänzt Stefan Heumann.
Auch aus diesem Grund habe der Beirat keine qualitative Bewertung darüber erstellt, wo die Leuchtturmprojekte derzeit stehen und wo es jeweils noch hakt. „Wir können in den Istzustand gar nicht hineinschauen“, sagt Ann Cathrin Riedel.
„Ehrliche und offene Einblicke“
„Es war ein mutiger Schritt der Ampel, einen unabhängigen Beirat zu bestellen, der auch ein Stachel sein sollte“, sagt Stefan Heumann. „Aber auch wir kamen zu spät in den Prozess hinein.“ Das sei frustrierend gewesen, weil der Beirat meist sehr grundsätzliche Fragen stellen musste.
Immerhin betonen die Beiratsmitglieder die gute Zusammenarbeit untereinander. „Für uns alle war die Zusammenarbeit von einem zielorientierten Output geprägt“, sagt Alexander Rabe, „das hat Spaß gemacht.“
Und etwas hinzugelernt haben sie nach eigenem Bekunden auch. Am Ende ihres Berichts zeigen sich die Mitglieder „dankbar für die tiefen, ehrlichen und offenen Einblicke in das Innenleben der Verwaltung, die unsere kritische Begleitung der Digitalisierung Deutschlands künftig präziser und besser machen werden.“
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