Eine der bekanntesten Spezialeinheiten des Zweiten Weltkrieges stellte die als "Brandenburg-800" bekannte deutsche Formation dar. Gegründet im Oktober 1939 unter der Tarnbezeichnung "Baulehrkompanie z. b. V. (zur besonderen Verfügung)", erhielt sie ihren Namen, nachdem sie im Sommer 1940 zum "Lehr-Regiment Brandenburg z. b. V. 800" erweitert wurde und unterstand ursprünglich dem Amt Ausland/Abwehr II. Im April 1943 wurde die inzwischen zu einer Division erweiterte "Brandenburg" dem Oberkommando der Wehrmacht unterstellt.
Bis zur Umwandlung der Einheit in eine reguläre Panzergrenadier-Division im September 1944 umfassten die Aufgaben der Formation "Kommandounternehmen" – Einnahmen wichtiger Objekte im gegnerischen Hinterland, Aufklärung und Sabotageakte. Kämpfer der Einheit nahmen an den Kampagnen der Wehrmacht in Polen, Belgien, Frankreich sowie am Überfall auf die Sowjetunion teil. An der sowjetisch-deutschen Front tarnten sie sich oft bei ihren Einsätzen unter Verletzung der Haager Landkriegsordnung als Rotarmisten. Nach dem Beginn des deutschen Rückzugs an der Ostfront wurden Einheiten der Division seit Anfang 1943 zunehmend zur Bekämpfung von Partisanen in besetzten Gebieten eingesetzt.
Als eine deutsche Spezialeinheit gerieten die "Brandenburger" ins Visier der sowjetischen Gegenaufklärung Smersch (vom russischen "Smert spionam" – "Tod den Spionen"). Sowjetische Nachrichtendienste sammelten und dokumentierten Informationen über die Zusammensetzung und Taktik, aber auch über Kriegsverbrechen der "Brandenburger" und versuchten, Angehörige der Spezialeinheit unter anderen Kriegsgefangenen ausfindig zu machen.
Der Pressedienst des russischen Inlandsgeheimdiensts FSB macht am 6. Dezember digitalisierte Dokumente mit Bezug auf die Brandenburg-Division aus dem Jahr 1944 aus dem Archiv der Verwaltung der FSB im Gebiet Omsk erstmals der Öffentlichkeit zugänglich. Die internen Smersch-Meldungen der 1. Weißrussischen Front sowie Verhörprotokolle von zwei gefangen genommenen "Brandenburgern" geben Einblicke in die Struktur, Einsätze und Taktiken des deutschen Spezialverbands, aber auch in die Kriegsverbrechen, die von den Divisions-Angehörigen im Rahmen des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion verübt wurden.
So meldete am 14. Juni 1944 Oberst W. I. Budarew, Leiter der Smersch der sowjetischen 61. Armee, seinem Vorgesetzten, Generalleutnant A. A. Wadis, Sabotageaktionen der Brandenburg-Division im Frontbereich der 61. Armee. Als eine "bezeichnende Tatsache" führte er dabei an, dass Kämpfer der deutschen Spezialeinheit sich mit sowjetischen Uniformen verkleidet hätten:
"Am 30. Mai 1944 um 12:30 Uhr näherten sich der Beobachtungsstelle des 89. Schützenregiments der 23. Schützendivision, wo sich eine Gruppe Aufklärer aufhielt, sieben Deutsche, von denen vier die Uniform der Roten Armee und drei Frauenkleider trugen. Dank der Unachtsamkeit der Aufklärer nahmen die Deutschen zwei Beobachter gefangen und führten sie auf die gegnerische Seite über und nahmen ein Telefon mit, ohne auf Widerstand zu stoßen."
Der im Mai 1944 gefangen genommene Feldwebel der 9. Kompanie des 3. Bataillons des 3. Regiments der Brandenburg-Division, Hubert Kerstges, gab an, dass seine Einheit seit dem Angriff auf die Sowjetunion Uniformen der Roten Armee für Spezialeinsätze nutzte. Der erste solcher Einsätze sei bereits am Tag des Überfalls am 22. Juni 1941 erfolgt. Zu den Aufgaben der "Brandenburger" gehörte der Durchbruch von gegnerischen Linien und die Besetzung von Objekten, die für spätere Offensiven eine wichtige Bedeutung hatten.
Der im Jahr 1922 im damaligen Bezirk Aachen in der Stadt Büllingen (im heutigen Belgien) geborene Kerstges gehörte der Formation seit Dezember 1940 an. Während des Überfalls auf die Sowjetunion im Sommer 1941 nahm sein Bataillon an Kämpfen bei Brest-Litowsk, Minsk, Slonim und Smolensk teil. Seit April 1943 betrieb die Einheit Partisanenbekämpfung im Bezirk Karatschew des russischen Gebiets Brjansk.
Vor Kerstges’ Gefangennahme im Mai 1944 war sein Bataillon in der Nähe der Stadt Rogatschow im heutigen Weißrussland stationiert. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich zwei Bataillone des 3. Regiments der Brandenburg-Division in der UdSSR, ein drittes in Westeuropa. Drei andere der insgesamt vier Regimenter der Brandenburg-Division waren auf dem Balkan stationiert.
Für Sabotageeinsätze wurden in die Brandenburg-Division auch Menschen mit Kenntnissen der einheimischen Sprachen angeworben. So berichtete Kerstges, dass jede vierte Kompanie der vier Bataillone seines Regiments "Legionärkompanie" hieß und etwa zur Hälfte aus sowjetischen Überläufern bestand. Dabei gab er allerdings an, dass diese Kompanie in seinem eigenen Bataillon im Januar 1943 "wegen Unzuverlässigkeit" aufgelöst wurde.
Ein Beispiel für Überläufer bei der Brandenburg-Division lieferte der zweite befragte Gefangene, Gefreiter Heinrich Koch. Als Wolgadeutscher, der 1917 geboren wurde, diente er seit August 1941 in der Roten Armee, wurde aber am 18. Oktober 1941 bei Orjol gefangen genommen. Im April 1942 trat er der Wehrmacht bei. "Ich glaubte an einen Sieg Deutschlands und daran, dass aus dem eroberten Russland alle Deutschen nach Deutschland umgesiedelt werden", führte er während des Verhörs seine Beweggründe an. Wegen seiner Russischkenntnisse wurde Koch dem Brandenburg-Regiment zugewiesen und diente seit Mai 1944 in derselben Einheit wie Kerstges.
Kerstges’ und Kochs Aussagen zur "Partisanenbekämpfung" durch ihre Einheit verdeutlichen, dass unter diesem Deckmantel tatsächlich eher eine Vernichtung der sowjetischen unbewaffneten Zivilbevölkerung stattgefunden hat. Das 3. Bataillon nahm nach Angaben des Feldwebels an vier dieser Einsätze teil.
Im August 1942 zerstörte die Einheit im Rahmen einer "Säuberungsaktion" das Dorf Maloje Kowaljowo bei Roslawl. Bewohner, die sich weigerten, ihre Häuser zu verlassen – etwa zehn Frauen, zwölf Kinder sowie fünf ältere Menschen – wurden erschossen, der Rest in die Gefangenschaft verschleppt. "Ich selbst setzte mit meiner Gruppe fünfzehn Häuser in Brand. In einem lag eine erschossene Frau mit drei Kindern", erinnerte sich Kerstges. Anfang Dezember 1943 erschoss Kerstges einen älteren Zivilisten, nachdem seine Einheit das Dorf Nowo-Bolotscha (im heutigen Gebiet Minsk in Weißrussland) niedergebrannt hatte.
Am 31. Dezember 1943 überfiel Kerstges’ Bataillon ein "Partisanenlager" in der Nähe des Dorfs Poljana bei Bobruisk. Der Feldwebel gab dabei an, dass die "Partisanen" beim Angriff widerstandslos geflohen seien. Zu dieser Aussage vermerkte Oberst Budarew in seinem Bericht, dass es sich um ein Lager von geflüchteten Zivilisten aus den umliegenden Dörfern gehandelt habe. Letzteres legt auch die Opferstatistik nahe: Die "Brandenburger" erschossen im Lager acht Frauen, sieben Kinder und vier ältere Menschen.
Ende April 1944 hatte Kerstges’ Kompanie auf Befehl des 23. Armeekorps das Dorf Powtschen in der Nähe der weißrussischen Stadt Turow "von der Landkarte getilgt". Gruppen von etwa 50 sowie etwa 25 gefasster Zivilisten wurden in zwei Häuser eingesperrt. Kerstges erhielt "den unangenehmen Befehl", 50 Menschen zu erschießen, den er ausführte:
"Das Haus, in dem ich die Dorfbewohner erschossen hatte, steckte ich selbst in Brand, nachdem ich mich versichert habe, dass sie alle tot sind."
Seinerseits berichtete Koch von einer großen Strafexpedition gegen Partisanen, die vom 18. Oktober bis zum 20. November 1943 im Raum Bobruisk – Bychow – Rogatschow im heutigen Weißrussland vom 3. Bataillon gemeinsam mit anderen rückwärtigen Verbänden der Wehrmacht ausgeführt wurde:
"Auf Befehl des Kommandos des rückwärtigen Armeegebiets waren in dieser Gegend sämtliche Dörfer niederzubrennen und sämtliche Zivilisten, die sich in Wäldern versteckten, auf der Stelle zu erschießen."
Koch soll persönlich einen Fall beobachtet haben, bei dem Mitte November eine Gruppe von Zivilisten, die beim Durchkämmen eines Waldgebiets gefasst worden waren, erschossen wurde: "Insgesamt wurden etwa zehn Männer, zehn Frauen und acht Kinder im Alter zwischen zwei und dreizehn Jahren erschossen." Während der gesamten Strafexpedition hat allein das 3. Bataillon des 3. Regiments der Brandenburg-Division im Umland des Dorfs Tschetschewitschi bis zu acht Dörfer zerstört und mindestens 200 Zivilisten ermordet.
Der sowjetische Bericht vermerkt, dass Kerstges und Koch vor ein Militärgericht gestellt wurden. Über ihren Verbleib geben die veröffentlichten Dokumente keine Auskunft. Insgesamt wurden während des deutschen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion allein in Weißrussland 9.200 Siedlungen zerstört, davon knapp 5.300 teilweise oder vollständig inklusive der Ermordung ihrer Bevölkerung.
Mehr zum Thema: Der vergessene Völkermord der Nazis in Weißrussland – Vernissage in Köln hält die Erinnerung wach
Meist kommentiert