Desinformation ist seit Jahren ein Schlagwort in der politischen Auseinandersetzung. Die Erklärungen dazu klingen dramatisch. Desinformation sei eine hybride Bedrohung, die durch fremde Staaten, auch mittels nichtstaatlicher Akteure, mit dem Ziel der Destabilisierung von Staaten durch die Beeinflussung der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung verbreitet werde. Ziel sei es, das Vertrauen der Bevölkerung in unser demokratisches System und seine Institutionen zu untergraben, auf den politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess in Deutschland einzuwirken und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu schwächen, heißt dazu beispielsweise in der Vorbemerkung zur Antwort auf die Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion "Vorgehen der Bundesregierung gegen Desinformation in den sozialen Netzwerken" (Drucksache 20/13880).
Die gezielte Verbreitung von Desinformation stelle damit eine zunehmende Bedrohung für die innere Sicherheit, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die freiheitliche demokratische Grundordnung dar, heißt es weiter. Deshalb nehme die Bundesregierung die Bedrohung durch ausländische Einflussnahme und Manipulation im Informationsraum sehr ernst und trete ihr entschlossen entgegen.
Ernsthaft heißt auch spendabel. Wie aus der Antwort auf die Kleine Anfrage hervorgeht, fließen aktuell mehr als 31 Millionen Euro Steuergelder in "mehrere Forschungsprojekte, die Desinformation analysieren", darunter eine Taskforce gegen Desinformation unter Federführung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) und ein Analysten-Team beim Auswärtigen Amt.
Trotz dieses Apparates ist die Behörde nicht in der Lage, die Desinformationskampagnen staatlicher Akteure konkret zu benennen. Darauf weist die Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) (Abo-Artikel in Ausgabe 50/24) mit Verweis auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage hin: "Es werden keine Angaben zu möglichen Urhebern, Auswirkungen und Reaktionen keine Angaben gemacht – weder im Kontext des Ukrainekriegs und des Nahostkonflikts, noch im Kontext der Europawahl und der Corona-Pandemie." Die Ausnahme sei nur die Russland zugeschriebene "Doppelgänger-Kampagne", die laut der Zeitung vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz fehlerhaft aufgearbeitet wurde.
Welche Akteure explizit was, wo, wie und wann gemacht haben, könne die Bundesregierung allerdings nicht darlegen. Stattdessen betone sie wiederholt: "Ausländische Desinformationskampagnen lassen sich in der Regel nicht trennscharf voneinander unterscheiden und konkreten Urhebern, Zeiträumen, Zielgruppen usw. zuordnen." Dabei hatte die AfD-Fraktion in ihren Anfragen darum gebeten, "nach Möglichkeit aufzulisten nach Jahr, Name der Desinformationskampagne, Initiator der Desinformationskampagne, möglichen Auswirkungen und Gegenmaßnahmen der Bundesregierung und ihrer nachgeordneten Behörden". Die Reichweite solcher Agitationen in sozialen Medien könnten zudem "nur die jeweiligen Plattform-Betreiber präzise ermitteln". Dementsprechend könne "die Bundesregierung keine Aussagen zu Auswirkungen und Schaden einzelner Kampagnen treffen."
In ihrer Antwort auf die Anfrage gibt die Bundesregierung allerdings an, sich innerhalb der Legislaturperiode mehrmals mit Vertretern diverser Tech-Unternehmen wie TikTok, Meta, YouTube, Google und X getroffen zu haben – auch wenn "eine lückenlose Auflistung von diesen Kontakten, den Umständen ihres Zustandekommens, allen Beteiligten und des Zweckes etwaiger Gespräche" nicht geleistet werden könne. Dabei ging es neben dem Digital Services Act und Hasskriminalität auch um hybride Bedrohungsszenarien.
Zusätzlich plane der Digital Services Coordinator bei der Bundesnetzagentur "mit Blick auf die Bundestagswahl 2025" gemeinsame Gespräche mit der EU-Kommission und den sehr großen Online-Plattformen. Doch weder verbindliche Absprachen noch detaillierte Erkenntnisse zu staatlichen Desinformationskampagnen konnten dabei gewonnen werden, obwohl diese vermeintlich ein so großes Problem darstellen, so die JF. Auch juristisch wurde bisher niemand verfolgt, heißt es in der Antwort auf die AfD-Anfrage.
Für den medienpolitischen Sprecher der AfD Bundestagsfraktion Martin Erwin Renner "jagt man einen imaginären Geist". Er wird mit folgenden Wörtern zitiert:
"Trotz dieses enormen Aufwands ist die Bundesregierung nicht in der Lage, die insbesondere in sozialen Medien angeblich all gegenwärtige Bedrohungslage durch Desinformationskampagnen zu konkretisieren."
Für Renner erhärtet sich der Verdacht, "dass hier nur ein Vorwand gesucht wird, um immer weitreichendere Zensurmaßnahmen im Netz zu rechtfertigen. Und zwar nicht nur seitens der Bundesregierung, sondern auch auf EU-Ebene, wie durch den unsäglichen Digital Services Act bewiesen". Auf diese Weise werde "jede Häufung kritischer Meinungsäußerungen zur angeblichen 'Desinformationskampagne' verklärt und als solche bekämpft". Es sei kein Zufall, "dass dieses Phänomen nach Lesart der Bundesregierung ausgerechnet zur Corona-Pandemie, zu EU- oder Bundestagswahlen oder zum Ukraine- oder Nahostkonflikt verstärkt aufgetreten ist".
Laut der Zeitung sehen die Fragesteller aufgrund des Vorgehens der Bundesregierung gegen vermeintliche Desinformationskampagnen erheblichen Informationsbedarf. Besonders fragwürdig sei die Schaffung einer Taskforce gegen Desinformation und mögliche Treffen der Bundesregierung mit den Betreibern von sozialen Netzwerken. Nach Auffassung der Fragesteller müsse sichergestellt werden, dass das Vorgehen der Bundesregierung gegen Desinformation und die sogenannten Hassbotschaften nicht in die Meinungsbildung des Bürgers sowie in die freie Rede (Artikel 5, Absatz 1 Grundgesetz) eingreift.
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