Von Rainer Rupp
Mit einer bemerkenswerten Gesetzesänderung hat die norwegische Regierung vor wenigen Tagen die Rechte der Bürger auf ein analoges Leben und auf Bargeldzahlungen wieder gestärkt. Mit dem neuen Gesetz werden die überall in Norwegen in den Geschäften und an den Kassen angebrachten Hinweise "Kein Bargeld akzeptiert" oder "Nur Kartenzahlung" illegal. Das ist nicht nur eine Abkehr vom totalen Vertrauen auf digitale Zahlungen, sondern auch ein bemerkenswerter gesellschaftlicher Wandel.
Schattenseiten der bargeldlosen Gesellschaft
Auch in Deutschland gilt es nicht mehr als Verschwörungstheorie, dass es nicht sein kann, dass die Wahrnehmung von Grundrechten, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Nutzung öffentlicher Infrastruktur (Bahn, Post, medizinische Versorgung) davon abhängig ist, dass der Mensch Internet hat, ein Smartphone bei sich trägt, eine bestimmte App installiert hat und auch genau weiß, wie man mit all dem umgeht.
Dieser von mächtigen Finanz- und Wirtschaftsinteressen der Gesellschaft aufgezwungene Digitalzwang bedeutet eine handfeste Benachteiligung bis hin zum kompletten Ausschluss großer gesellschaftlicher Minderheiten von öffentlichen Dienstleistungen. Dies betrifft nicht nur alte, kranke oder sehbehinderte Menschen, die die Technik nicht nutzen können, sondern auch Personen, die mit den entsprechenden Techniken einfach nicht umgehen können, oder auch arme Menschen, deren Geld für so was nicht reicht. Aber es trifft sogar technikaffine Menschen, die sich gut auskennen, die aber nicht ständig persönliche Verhaltensdaten in alle Welt senden oder wahllos neue Apps auf ihren Geräten installieren müssen wollen, um nicht vom öffentlichen Leben und den notwendigen Dienstleistungen ausgeschlossen zu sein.
Für die privaten Dienstleister ist die Digitalisierung eine Goldgrube, denn die Einsparungen durch den Wegfall von Büromieten und Arbeitsplätzen sind enorm. In der schönen neuen digitalen Welt gibt es keine freundliche Dame oder netten Herrn in einem Büro im nächsten Städtchen, wo der analoge Mensch bisher anrufen oder vorbeigehen konnte, um Rat oder Auskunft zu erhalten. Selbst die angegebene Telefonnummer, die so manche im digitalen Sumpf verlorene Seele verzweifelt anruft, wird von einem Computer beantwortet, der darauf programmiert ist, den Kunden hinzuhalten und schließlich unverrichteter Dinge aus der Leitung zu werfen mit der Aufforderung, doch auf der firmeneigenen Internetseite eine Lösung für sein Problem zu finden. Der Grund: Auch diese sogenannten "Auskunftszentralen" der Anbieter sind zwecks Gewinnmaximierung total unterbesetzt.
Die zusätzlichen Profite, die durch die Digitalisierung den Konzernen in den Schoß fallen, setzen voraus, dass es überall im Umfeld der digitalen Analphabeten hilfreiche Geister geben muss, bei der Verwandtschaft, bei Nachbarn, Pfleger, usw., die freiwillig und kostenlos die Arbeit verrichten, die früher die Angestellten der Serviceanbieter von ihren Büros aus oder bei Hausbesuchen bei den Kunden gemacht haben.
Das Ganze erinnert an den Merkel-Betrug: "Wir schaffen das." Dabei wurde die gigantische Mehrarbeit der Aufnahme und Betreuung der über eine Million Migranten in einem einzigen Jahr überall von freiwilligen Helfern mit kostenloser Arbeit verrichtet, nicht selten auch noch unter Einsatz eigener Finanzen, um die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Allerdings gab es damals einen Unterschied zur aktuellen Ausbeutung der Hilfsbereitschaft: Beim "Wir schaffen das" wurden die staatlichen Organe vor dem Zusammenbruch bewahrt. Von der freiwilligen Mehrarbeit der digitalen Helfer profitieren ausschließlich die Konzerne, und damit werden die Reichen noch reicher – auf Kosten der in der Bevölkerung herrschenden Solidarität. Auch das ist ein wichtiger Grund, weshalb die Entwicklung zur rein digitalen Gesellschaft mit dem Digitalzwang als Folge unbedingt gestoppt werden muss. Entsprechende Initiativen in diese Richtung gibt es bereits, auch schon im Bundestag.
Der Wandel in Norwegen
Bis vor Kurzem hätte kaum jemand gedacht, dass Norwegen, eines der weltweit führenden Länder in Sachen Digitalisierung, jemals einen Rückschritt in Richtung Bargeld machen würde. Schließlich zahlten laut einer Umfrage der norwegischen Zentralbank nur noch drei Prozent der Bevölkerung bei ihrem letzten Einkauf eines realen Gegenstandes mit Bargeld. Doch die neue Änderung des Finanzvertragsgesetzes stellt sicher, dass Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel wieder eine größere Rolle spielt und Bürgern die Möglichkeit bietet, bar zu zahlen, auch wenn es andere Zahlungsmöglichkeiten gibt.
Dieser Schritt ist mehr als nur symbolisch. Er markiert eine Umkehr von der bedingungslosen Akzeptanz der digitalen Welt hin zu einem erneuten Fokus, weg von der Marginalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Denn auch in einem digital versierten Land wie Norwegen gibt es Menschen, die mit den modernen Technologien nicht Schritt halten können oder wollen, während der andere Teil so weit in den Digitalismus abgerutscht ist, dass der Großteil nicht einmal bemerkt, wie sehr er darauf angewiesen und abhängig geworden ist. Eine solche Entwicklung mag wie ein natürlicher Fortschritt erscheinen, doch die Abhängigkeit von digitalen Tools hat enorme Nachteile, z. B. wenn es mal einige Zeit nur noch sporadisch oder gar keinen Strom mehr gibt.
Die neue Gesetzgebung zielt darauf ab, Menschen zu unterstützen, die Schwierigkeiten mit digitalen Zahlungen haben. Das betrifft keineswegs nur ältere oder technikferne Menschen. Es ist ein Ausdruck des zunehmenden Bewusstseins, dass nicht alle von der digitalen Revolution profitieren. Während die jüngere Generation mit der Geschwindigkeit und dem Komfort von Kartenzahlungen aufgewachsen ist, gibt es eine erhebliche Anzahl von Menschen, die weiterhin auf Bargeld angewiesen sind. Rund 600.000 Norweger, etwa zehn Prozent der Bevölkerung, haben Schwierigkeiten, digitale Zahlungsmethoden zu nutzen. Für sie ist Bargeld nicht nur ein Zahlungsmittel, sondern auch eine Frage der Selbstbestimmung.
Es ist bemerkenswert, dass Norwegen nun erkennt, dass diese Entwicklung nicht ohne Risiken ist. In der Diskussion um das neue Gesetz spielte auch die Tatsache eine Rolle, dass Bargeld das einzige Zahlungsmittel ist, das unabhängig von Strom und Internet funktioniert. Es bleibt stabil, auch wenn das Netz ausfällt oder digitale Angriffe die Infrastruktur lahmlegen. In Zeiten von Cyberangriffen und zunehmenden globalen Unsicherheiten hat das Bargeld daher einen unschätzbaren Wert für die Gesellschaft.
Die unsichtbare Barriere
Mit dem Digitalzwang haben moderne Gesellschaften eine unsichtbare Grenze geschaffen, die diejenigen bevorzugt, die bereit sind, ihre Daten preiszugeben und ständig mit der neuesten Technologie Schritt zu halten. Doch was bedeutet das für unsere Freiheit? Was passiert, wenn grundlegende Rechte und Dienstleistungen nur noch zugänglich sind, wenn man bereit ist, sich dem digitalen Überwachungsnetz zu unterwerfen?
Norwegens Kehrtwende ist ein starkes Signal an den Rest der Welt. Auch wenn die Digitalisierung viele Vorteile mit sich bringt, ist sie kein Allheilmittel. Wenn wir eine Welt verhindern wollen, in der der Mensch ohne Smartphone keinen Zugang zu grundlegenden Rechten oder Dienstleistungen hat, dann müssen wir alle uns an Norwegen ein Beispiel nehmen und den digitalen Tsunami aufhalten. Auch in Deutschland gibt es bereits – einstweilen noch unter dem Radar der System-Medien – Organisationen wie digitalcourage, die den digitalen Tsunami eindämmen wollen.
Digitalcourage verweist z. B. auf Artikel 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik, wo es um das Verbot von Benachteiligung und Diskriminierung von Menschen geht, egal welcher Hautfarbe, welchen Glaubens und welcher Herkunft. Dieser Artikel sollte laut digitalcourage ergänzt werden um das Verbot, Menschen bei der Grundversorgung zu benachteiligen, wenn sie ein bestimmtes Gerät oder eine digitale Plattform nicht nutzen. Daher fordert die Organisation "den Bundestag auf, ein Recht auf Leben ohne Digitalzwang ins Grundgesetz aufzunehmen!"
Aktuell jedoch läuft die Entwicklung hierzulande weiter in die entgegengesetzte Richtung: An immer mehr Stellen werden wir genötigt, uns einzuloggen, uns online zu registrieren oder eine App herunterzuladen – und dabei persönliche Daten preiszugeben. Und das, um Dienste zu nutzen, die zur Grundversorgung gehören!
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