Genauigkeit von Nährwertangaben auf der Verpackung

Sicher kennt das jeder: Bei gekauften Nahrungsmitteln findet sich eine Tabelle mit “Nährwertangaben pro 100g” auf der Verpackung.

Das ist nun nichts besonderes, aber vor kurzem wurde ich stutzig. Bei einem Vanilleeis einer regionalen Manufaktur fand ich Etiketten, deren aufgedruckte Angaben einfach unglaublich sind.

Und da ich weiß, daß bei meinen Lesern durchaus einige dabei sind, die entweder schon Produkte herstellen oder dies beabsichtigen, so dürfte es für diese Jungunternehmer interessant sein, zu wissen, was auf einer Verpackung zu stehen hat.

Hier eine Abbildung der Verpackung, bei der ich stutzig wurde:

Detail:

Bei den Zutaten kann ich es gerade noch so akzeptieren, wenn ich drei Stellen hinter dem Komma vorfinde, denn dabei geht es darum, was man bei der Herstellung zusammen mischt. Und das kann (theoretisch) sehr exakt gemacht werden (zumindest bei sehr großen Gesamtmengen)

Aber bei den Nährwertangaben sind bei 2 Aspekten (Eiweiß und Salz) drei Stellen hinter dem Komma angegeben????

Ich habe vom selben Hersteller weitere Eissorten gekostet und die Verpackung betrachtet: Bei der Sorte Himbeer finden sich bei den Zutaten keine drei Stellen hinter dem Komma, jedoch bei den Nährwertangaben finden sich sechs Aspekte mit drei Stellen hinter dem Komma!

Noch mehr findet sich bei der Sorte Heidelbeer mit Joghurt: Satte sieben Aspekte der Nährwertangaben haben drei Stellen hinter dem Komma:

Im ersten oben gezeigten Beispiel (Vanille) wird angegeben: 0,045% Bourbon Vanillekonzentrat.
Es sind also nicht 0,044% und auch nicht 0,046%, genauer gesagt wird (bei richtiger Rundung) ein Bereich angegeben zwischen minimal 0,0445% (ab da wird aufgerundet zu 0,045%) und maximal 0,0454% (bis dahin wird abgerundet auf 0,045%). Der Korridor beträgt 0,0009 %.
Um sicher innerhalb dieses Korridors zu liegen sollte man mindestens auf 0,0004% exakt abwiegen können…

Bei einer Portion von 389g (500ml) sind 0,0004% genau 0,001556 Gramm oder 0,002 ml.

Eine übliche digitale Goldwaage fängt bei 0,01 g an, also ungefähr bei dem 7 fachen…

Mal angenommen, es werden 100 Liter Eis auf einmal hergestellt. Das wären 200 Portionen zu je 500ml bei einem Gesamtgewicht von 77,8 kg
Der Anteil vom Vanilleextrakt sind 0,045%, also 35,01 g
Bei einer maximalen Abweichung von 0,0004% muss man auf 0,31 g genau abmessen.
Das geht mit einer Goldwaage, aber nicht mit einer Küchenwaage…

Ab 1000 Liter Eis oder besser 10.000 Liter Eis kann man die Zutaten deutlich besser auf 0,0004% genau abwiegen, … allerdings dann passt das nicht mehr zu meiner Vorstellung von “Manufaktur”…

Die Angabe von 0,045% Bourbon Vanillekonzentrat in den Zutaten betrachte ich also als absurd.

Noch verrückter sind drei Stellen hinter dem Komma in der Nährwerttabelle.

Solch eine Genauigkeit kann NUR dann angegeben werden, wenn man reichst technische, synthetische Zutaten verwendet und nichts aus der Natur, weil natürliche Zutaten in den Nährstoffen immer ein wenig variieren.

Sicher kann eine einzelne Charge ins Labor gesendet worden sein, und im Analysebefund wurden genau diese Zahlen angegeben.
Aber diese Angaben stimmen NUR für die eine Portion, die im Labor war und genau diese Portion wird nicht mehr verkauft weil sie im Labor verbraten wurde. Auch eine Packung Eis aus der selben Charge wird andere Nährwerte aufweisen und niemals im Leben exakt auf drei Stellen hinter dem Komma gleich sein.

Im übrigen sind irreführende oder nicht zutreffende Angaben auf der Verpackung nicht zulässig:

VERORDNUNG (EU) Nr. 1169/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 25. Oktober 2011
KAPITEL III
ALLGEMEINE ANFORDERUNGEN AN DIE INFORMATION ÜBER LEBENSMITTEL UND PFLICHTEN DER LEBENSMITTELUNTERNEHMER
Artikel 7
Lauterkeit der Informationspraxis
(1) Informationen über Lebensmittel dürfen nicht irreführend sein, insbesondere
a) in Bezug auf die Eigenschaften des Lebensmittels, insbesondere in Bezug auf Art, Identität, Eigenschaften, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprungsland oder Herkunftsort und Methode der Herstellung oder Erzeugung;

(2) Informationen über Lebensmittel müssen zutreffend, klar und für die Verbraucher leicht verständlich sein.

Quelle: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32011R1169#d1e32-47-1

Bei den Angaben auf der Verpackung muss man die Analysebefunde der Probe im sinnvollen Maß RUNDEN!

Allerdings gibt es dazu nur eine Empfehlung und keine rechtliche Verpflichtung, wie genau dies zu tun sei:

In der Lebensmittelinformationsverordnung gibt es dazu keine Vorgabe. Ein Leitfaden der Europäischen Kommission gibt hierzu aber Empfehlungen:

  • Liegt die Menge an Fett, gesättigten Fetten, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß oder Ballaststoffen über zehn Gramm pro 100 Gramm/ 100 Milliliter, genügt die Angabe auf ein Gramm genau. Die Angabe von Dezimalstellen ist nicht erforderlich.
  • Liegt die Menge an Fett, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß oder Ballaststoffen zwischen 0,5 und zehn Gramm, wird die Angabe auf 0,1 Gramm genau empfohlen.
  • Liegt die Menge an den genannten Nährstoffen (außer gesättigten Fettsäuren) unter 0,5 Gramm pro 100 Gramm/ 100 Milliliter, wird die Angabe „0 g“ oder „<0,5 g“ empfohlen.
  • Bei gesättigten Fettsäuren wird erst bei einer Menge unter 0,1 Gramm die Rundung auf „0 g“ empfohlen. Ab 0,1 Gramm sollte die Zahl auf 0,1 Gramm gerundet werden.
  • Bei Salz sind die Mengen in der Regel geringer und dadurch genauer: Bei Mengen ab einem Gramm Salz pro 100 Gramm sollte die Angabe auf 0,1 Gramm genau erfolgen, bei Mengen zwischen 0,0125 und 1 Gramm auf 0,01 Gramm genau. Erst bei Mengen unter 0,0125 Gramm ist die Angabe „0 g“ oder „< 0,1 g“ möglich.

Der Leitfaden ist nicht rechtsverbindlich. In Streitfällen unterliegt die Auslegung des Rechts den Gerichten.

Quelle: https://www.lebensmittelklarheit.de/fragen-antworten/kommastellen-der-naehrwerttabelle

Diese Textstelle fand ich per Suche im Internet. Und wie so häufig, fehlt die Angabe zu der Quelle der Aussage. Deshalb habe ich weiter gesucht und wurde hier fündig:

https://food.ec.europa.eu/system/files/2021-11/labelling_nutrition-vitamins_minerals-guidance_tolerances_1212_de.pdf

Auf Seite 16 der Datei findet man den Punkt 6.
Dort steht:

  1. RUNDUNGSLEITLINIEN FÜR NÄHRWERTDEKLARATIONEN AUF LEBENSMITTELN
    Rundungsleitlinien gehören zu den Einflussfaktoren bei der Festlegung von Toleranzen und insbesondere
    der Zahl der signifikanten Stellen und Dezimalstellen, damit kein falsches Maß an Genauigkeit impliziert
    wird. Bei der Einschätzung, ob ein bei einer Analyse der Kontrollbehörde festgestellter Wert sich innerhalb
    des Toleranzbereichs befindet, sollten die Leitlinien über die Rundung der angegebenen Werte
    berücksichtigt werden.
    Auf der Grundlage der Rundungsleitlinien könnte ein angegebener Eiweißgehalt von 12 g (keine Angabe
    über Eiweiß) einem Analyse- oder Berechnungswert zwischen 12,4 g und 11,5 g entsprechen.
  • Die Toleranzmargen sollte jeweils auf den höchsten (oberen) und niedrigsten (unteren) Wert
    angewendet werden, von dem auf den angegebenen Wert gerundet werden kann, im Beispielsfall
    also 12,4 g und 11,5 g.
  • In diesem Fall würde die in Abschnitt 3 angegebene Toleranz ±20 % betragen; dies ergibt eine
    Toleranz nach oben von 12,4 g plus 20 %, also insgesamt 14,88 g, die gerundet werden auf 15 g.
  • Wird bei der Analyse ein Gehalt von 15 g festgestellt, so befindet er sich im Toleranzbereich; ein
    Gehalt von 16 g dagegen nicht.
    Ein anderer Aspekt bei der Rundung betrifft die Nährstoffe, die in vernachlässigbaren Mengen vorhanden
    sind, so dass ihr Gehalt mit „0“ oder „<x g“ gemäß Tabelle 4, in der aufgeführt ist, welchen Werten „x“ bei
    den einzelnen Nährstoffen entspricht, angegeben werden kann. Alternativ könnte auf dem Etikett auch
    angegeben werden „Enthält geringfügige Mengen von …“

Im genannten Text findet sich dieser Satz: “… die in Abschnitt 3 angegebene Toleranz ±20 % …”

Dazu habe ich nachgeschlagen und auf Seite 7 der Datei folgendes gefunden:

Die Nährwertangaben der oben gezeigten Sorte ‘Vanille’ würden also korrekt gerundet so aussehen:

bishergerundet
Energie827,73 kj / 197,93 kcal828 kj / 198 kcal
Fett12,89 g13 g
– davon gesättigte Fettsäuren5,7 g5,7 g
Kohlehydrate23,11 g23 g
– davon Zucker18,84 g19 g
Eiweiß4,675 g4,7 g
Salz0,133 g0,13 g
Ballaststoffe0,14 g< 0,5 g

Sensibel geworden auf die richtig gerundeten Nährwertangaben auf Verpackungen staunte ich sehr, als ich plötzlich eine Speiseeispackung vorfand, die keinerlei Angaben zu den Nährwerten trägt:

Ich ging auf die Webseite des Herstellers und suchte in der Rubrik “Premium-Eis” nach den Angaben und auch dort fand ich sie nicht!
https://www.griesels-milchhof.de/unsere-produkte-/premium-eis/

Allerdings fand ich dort einen alles entscheidenden Satz:

Unser Eis wird noch traditionell handwerklich hergestellt, …

Denn es gibt Ausnahmen für handwerklich hergestellte Produkte:

Oben zitierte ich schon mal aus:
VERORDNUNG (EU) Nr. 1169/2011 DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 25. Oktober 2011

unter ANHANG V findet man eine Liste:
LEBENSMITTEL, DIE VON DER VERPFLICHTENDEN NÄHRWERTDEKLARATION AUSGENOMMEN SIND

unter dem Punkt 19 steht dort:

Lebensmittel, einschließlich handwerklich hergestellter Lebensmittel, die direkt in kleinen Mengen von Erzeugnissen durch den Hersteller an den Endverbraucher oder an lokale Einzelhandelsgeschäfte abgegeben werden, die die Erzeugnisse unmittelbar an den Endverbraucher abgeben.

Quelle: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32011R1169#d1e32-47-1

Die ganz oben gezeigten Verpackungen der Rhöner Eismanufaktur könnten womöglich auch auf die Nährwertangaben verzichten, zumindest findet sich auf deren Webseite auch ein Hinweis auf handwerkliche Herstellung:

Der Geschäftsführer der Rhöner Eismanufaktur, Georg Pfaff, legt Wert auf eine naturnahe, regionale und handwerkliche Produktion …

Quelle: http://www.rhoener-eismanufaktur.de/produkte/mandelrose/

Es geht allerdings nicht nur um die handwerkliche Herstellung sondern auch noch um die Art des Vertriebs. Sollte auch an überregionale Händler oder gar Großhändler geliefert werden, dann gilt die Befreiung von der Angabe der Nährwerte nicht.

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