Zu weit von Kaliningrad – Meyer Werft im Emsland könnte für Kriegsschiffbau umgerüstet werden

Die Meyer Werft ist weltbekannt, denn das tief im emsländischen Flachland gelegene Traditionsunternehmen aus Papenburg baut weltweit die größten und komplexesten Kreuzfahrtschiffe. Seit der Corona-Zeit befindet sich die Werft in einer schweren Krise. Das Bundesfinanzministerium sprang im September mit einem Rettungsschirm in Höhe von 200 Millionen Euro bei.

Das sollte nicht wundern: Mit rund 3.500 Mitarbeitern und über 10.000 Beschäftigten in der Zulieferindustrie ist die Meyer Werft einer der größten Arbeitgeber in der Region und wichtiger Motor für die maritime Wirtschaft. Aber es gibt auch einen weiteren Grund für die Großzügigkeit der Bundesregierung. 

An verschiedenen Stellen wurde in den vergangenen Monaten die potenzielle militärische Rolle der Meyer Werft hervorgehoben, schreiben lokale Medien. So legte ein Bericht des Finanzministeriums die geostrategischen Erwägungen an den Tag: Die Werft könne für die Marine und den militärischen Schiffbau genutzt werden. Dies sei ein strategischer Richtungswechsel und ein weiterer Ausdruck der Zeitenwende für die Bundeswehr, sagen Experten.

Auch das Verteidigungsministerium äußerte sich zu der Problematik in einer Stellungnahme, doch das Papier befindet sich unter Verschluss. Maßgeblich für die Entscheidungsfindung dürfte aber ein Gutachten sein, das der Meppener Tagespost vorlag. Ihren Bericht nannte die Zeitung bezeichnenderweise "Weit weg von Kaliningrad: Putin und die Meyer Werft". 

In diesem Gutachten zum volkswirtschaftlichen Nutzen des Unternehmens kommen die Analysten von EY Parthenon zu dem Ergebnis, dass der Bau von Kriegsschiffen eine denkbare Alternative zu Kreuzfahrtschiffen sei – gerade dann, wenn geopolitische Spannungen weiter zunehmen.

Die Analysten schreiben, die Werft könnte jährlich bis zu fünf Fregatten oder andere große Marineschiffe bauen. Große Trockendocks würden den Bau für die Öffentlichkeit unsichtbar machen, was auch ein Vorteil sei. Darüber hinaus liege Papenburg im Gegensatz zu anderen deutschen Marine-Werften außerhalb der Reichweite russischer Mittelstreckenraketen, die in Kaliningrad stationiert sind. Die Analysten sprechen von einer "strategisch wertvollen Lage" der Werft. Nach früheren Mitteilungen werden die Spezialschiffe größtenteils bei der zur Meyer gehörenden Neptun Werft in Rostock gefertigt – Luftlinie näher an Kaliningrad.

Sind diese Pläne realisierbar? Zumindest denkbar, heißt es im Unternehmen – "unter bestimmten Bedingungen", wie ein Sprecher der Werft mitteilte. "Aber dazu wollen wir aktuell nicht weiter spekulieren. Konkrete Pläne gibt es derzeit dazu nicht."

Sebastian Bruns vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel sieht in der Argumentation einen Ausdruck der Zeitenwende nach dem "Überfall Russlands auf die Ukraine". "Mit sicherheitspolitischen Aspekten wurde in der Vergangenheit eher selten argumentiert.

Bruns hält die Argumentation gerade im Blick auf den Radius russischer Mittelstreckenraketen nur für bedingt schlüssig: "Natürlich ist das ein Stück weit auch eine Milchmädchenrechnung: Im Falle eines Krieges wird sich Russland wohl nicht allein auf seine landgestützten Raketen beschränken, Russland verfügt auch über seegestützte Raketen, wo die Distanzfrage eher zweitrangig ist."

Und noch ein weiterer Aspekt gibt laut Experten Grund zu Bedenken: Man müsse nicht zwangsläufig die Meyer Werft angreifen, um den Schiffbau lahmzulegen. Russland verfüge auch über Kapazitäten für Cyberangriffe, etwa auf das Emssperrwerk.

Finanziell gibt es auf absehbare Zeit keinen Spielraum für die Umrüstung der Werft. Die 8,9 Milliarden Euro aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen zur "Ertüchtigung der Bundeswehr" sind schon verplant, und für die neuen Schiffe gibt es keine Mittel. Außerdem hat das Gutachten nicht die Möglichkeiten der neuen russischen Mittelstreckenraketen vom Typ Oreschnik in Erwägung gezogen. 

Mehr zum Thema ‒ Modernisierung der russischen Marine: Was die personelle Erneuerung über die Strategie verkündet

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