Der Westen treibt die Energieindustrie der Welt in eine Falle

Von Olga Samofalowa

Igor Setschin, der Geschäftsführer des russischen Erdölkonzerns Rosneft, hat darauf hingewiesen, dass der Gesamtwert der natürlichen Ressourcen in Russland 100 Billionen US-Dollar betrage und damit doppelt so hoch sei wie in den Vereinigten Staaten. Russland nehme dank seiner riesigen und vielfältigen Ressourcenbasis einen besonderen Platz in der Welt ein.

Setschin nannte seinen Bericht "Abschied von Illusionen. Die Weltenergie in der Thukydides-Falle". Der Begriff "Thukydides-Falle" wurde erst vor relativ kurzer Zeit, im Jahr 2012, von dem US-amerikanischen Politikwissenschaftler Graham Allison in seinem Buch Destined for War eingeführt. Er weist darauf hin, dass ein hegemoniales Land unweigerlich mit einem neuen Herausforderer seines Status zu kämpfen habe.

Nach Ansicht von Setschin hätten die USA bereits einen Krieg begonnen, einen heißen, einen hybriden, und zwar in verschiedenen Bereichen – Technologie, Klima, Finanzen, Handel und Kultur. Die Energiewirtschaft sei zu einem der Ziele und gleichzeitig zu einem Instrument der hybriden Kriegsführung geworden.

"Den USA fällt es immer schwerer, ihre wirtschaftliche Führungsrolle aufrechtzuerhalten, und sie haben in ihrer Rolle als globale politische Führungsmacht versagt, indem sie der ganzen Welt sämtliche Säfte aussaugen. Russland ist in dieser Hinsicht ein autarker Akteur, wir haben alles, und wir können es mit China teilen und so seine Ambitionen auf eine globale politische Führung unterstützen", argumentiert Igor Juschkow, ein Experte des russischen Nationalen Energiesicherheitsfonds und der Finanzuniversität der Regierung der Russischen Föderation, in Bezug auf den Bericht Setschins.

Gleichzeitig verhängten die USA auch Sanktionen gegen Russland. "Weil wir etwas getan haben, das von den Vereinigten Staaten nicht genehmigt wurde und das als Herausforderung ihrer Hegemonie angesehen wird. Das ist die Wiedervereinigung mit der Krim, eine unabhängige Politik und der Start der militärischen Sonderoperation. Zweitens wollen die USA die Ressourcenbasis Chinas untergraben, und Russland wird traditionell als Chinas Ressourcenbasis wahrgenommen, als ein Land, das als Zapfsäule angesehen wird. Die Vereinigten Staaten wollen die russische Wirtschaft zerstören, damit China nicht auf unsere Ressourcen zurückgreifen kann", führt Juschkow weiter aus.

Interessanterweise trieben die USA mit ihrem Handeln Russland im Gegenteil aber noch näher an China heran.

Die USA versuchten, die Kohlenwasserstoffproduktion in Russland schrittweise zu reduzieren, um die Weltpreise zu erhöhen. Und während die Vereinigten Staaten selbst unter den hohen Erdölpreisen litten, sei China noch stärker betroffen. "China importiert mehr als die Vereinigten Staaten und ist stärker von ausländischen Lieferungen abhängig. Die USA verfügen über Schieferöl, und obwohl sie es größtenteils exportieren und andere Erdölsorten importieren, haben sie es dennoch zur Verfügung. Darüber hinaus drucken die Vereinigten Staaten die Weltreservewährung und häufen Auslandsschulden an. Die USA können die Auswirkungen steigender Kohlenwasserstoffpreise abmildern, China hingegen nicht", fügt der Experte hinzu.

Im Jahr 2014 verhängten die USA Sanktionen gegen die russischen Erdöl- und Gasprojekte, die in Zukunft die Hauptressourcenbasis des Landes bilden sollten – die Offshore-Förderung und das schwer zu fördernde Erdöl in der Baschenow-Formation. Ein Jahr zuvor hatte der US-Energieausschuss Russland als führend bei den Schieferölreserven anerkannt, und die Baschenow-Formation war die wichtigste Rohstoffbasis.

"Die USA haben Sanktionen gegen alle diese Projekte verhängt, damit Russland die Produktion in den traditionellen Feldern schrittweise reduziert und neue Projekte nicht in Betrieb genommen werden", meint Juschkow.

Als Chef des Erdölkonzerns schenkte Setschin in seinem Bericht den erneuerbaren Energiequellen große Aufmerksamkeit. Er ist der Ansicht, dass die US-amerikanische Idee einer grünen Energiewende zur Errichtung einer unipolaren Welt beitragen werde und dass die Ablehnung traditioneller Energiequellen durch die Vereinigten Staaten eine Diskriminierung von mehr als 80 Prozent der Weltbevölkerung bedeute.

Im Wesentlichen gehe es darum, dass der kollektive Westen den sich entwickelnden Ländern eine Verweigerung des Erdöl- und Gaszeitalters aufzwinge und sie daran hindere, in den Genuss der Vorteile dieser Ressourcen zu kommen und ihre Wirtschaft anzukurbeln. Die westlichen Länder hätten sich jahrhundertelang an erschwinglichen traditionellen Energieressourcen erfreuen können, die ihnen zu ihrem Wohlstand verholfen hätten.

"Diese Thesen sind nicht einmal gegenüber den USA gerechtfertigt, sondern gegenüber der EU, die sich selbst als die Lokomotive der Energiewende positioniert. Es ist die Europäische Union, die neue Handelsbeschränkungen einführt. Sie ist es, die eine Steuer zur Begrenzung des Kohlenstoff-Ausstoßes plant, die auf bestimmte Waren auf der Grundlage der während ihrer Produktion in die Atmosphäre ausgestoßenen Treibhausgase zu erheben ist. Und es ist eine Steuerpolitik, bei der die Banken durch Vorschriften gezwungen werden, erneuerbare Energien zu niedrigeren Zinssätzen zu finanzieren, während herkömmliche Energieprojekte entweder ganz ignoriert oder zu höheren Zinssätzen finanziert werden. Außerdem propagieren die Europäer, dass alle Länder dasselbe anstreben sollten", sagt Igor Juschkow.

Um die Steuer zu vermeiden, sollen die anderen Länder fortan auf erneuerbare Energien umsteigen.

"Es stellt sich heraus, dass die Europäer den Entwicklungsländern das Recht absprechen, denselben Energiepfad zu beschreiten, den sie selbst einst beschritten haben. Zunächst mit Holz, Kohle, Erdöl und Erdgas zu heizen. Das ist ungerecht.

Schließlich stoßen die westlichen Länder seit einem Jahrhundert Treibhausgase aus, sodass sie mehr Verpflichtungen übernehmen oder die Entwicklungsländer durch die Bereitstellung von Technologien und Ausrüstung für die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen entschädigen müssen. Und wenn man nicht teilen will, dann sollte man solche Opfer nicht von anderen verlangen", betont Igor Juschkow.

Die USA befürworten die Energiewende ebenfalls, aber nicht so eifrig. Das liegt einfach daran, dass sie im Gegensatz zu Europa über eigenes Erdöl, Erdgas und sogar Kohle verfügen.

Setschin weist in seinem Bericht auf die Misserfolge der grünen Energie hin. Erstens sei in den letzten drei Jahren das Interesse der Anleger am Aktienmarkt im Bereich der erneuerbaren Energien zurückgegangen. Die Aktien von Unternehmen, die saubere Energieträger anbieten, seien innerhalb von zwei Jahren mehrfach gefallen. Zweitens stellten Erdölgiganten wie Chevron, BP und Shell ihre Projekte für alternative Kraftstoffe ein. Setschin zeigt sich beispielsweise erfreut darüber, dass es nicht gelungen ist, Flugzeugtreibstoff aus gebrauchtem Frittieröl herzustellen. Dänemarks größtes Energieunternehmen Orsted habe den Bau einer Methanolanlage wegen zu geringer Nachfrage abgesagt.

Die Elektroautos hätten die Welt nicht im Sturm erobert, sondern würden inzwischen enttäuschen. Setschin ist der Ansicht, dass der Boom der Elektroautos im Westen zu Ende gehe, da die Schaffung zusätzlicher Stromerzeugungs-, Netz- und Ladeinfrastrukturen nicht mit der Elektrifizierung der Fahrzeugflotte synchronisiert sei, was den Besitzern von Elektroautos Kopfschmerzen bereite. Heute seien weltweit 1,5 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren unterwegs, und die Verbreitung von Elektrofahrzeugen liege im Durchschnitt bei nur drei Prozent des bis 2050 erforderlichen Niveaus, fügt der Rosneft-Chef hinzu. Und schließlich erinnert er noch daran, dass die Emissionen bei der Produktion von Elektrofahrzeugen bis zu 50 Prozent höher sind als bei Autos mit Verbrennungsmotoren.

Außerdem weist Setschin auf die Voreingenommenheit der Internationalen Energieagentur (IEA) hin, die traditionell Prognosen für die weltweite Erdölförderung erstellt. Während die OPEC ein stabiles Wachstum der Erdölnachfrage bis zum Jahr 2050 auf 120,1 Millionen Barrel pro Tag erwarte, gehe die IEA davon aus, dass die Nachfrage bereits im Jahr 2030 mit 101,7 Millionen Barrel pro Tag ihren Höhepunkt erreichen werde, und sie sage im weiteren Verlauf einen Rückgang auf 93,1 Millionen Barrel pro Tag bis 2050 voraus. Der Unterschied in den Schätzungen sei kolossal. Gleichzeitig sei man sich Setschin zufolge in der Branche einig, dass die Ölnachfrage um 20 Millionen Barrel pro Tag zunehmen werde, was der OPEC-Prognose nahekomme. Dies bedeute, dass die erneuerbaren Energien nicht in der Lage sein werden, die wachsende Energienachfrage zu decken, und dass fossile Brennstoffe nicht verschwinden werden.

"Im Großen und Ganzen sind die Thesen von Setschin in dem Bericht angemessen. Lediglich seine These vom neuen Zeitalter der Kohle ist mit Vorsicht zu genießen. China nimmt zwar neue Kohlekraftwerke in Betrieb, aber nur, um alte zu ersetzen, und die Investitionen in den weiteren Bau gehen zurück. Der Kohleverbrauch sinkt zwar nicht so katastrophal, wie von vielen vorhergesagt, aber man kann nicht sagen, dass die Kohle wieder an Fahrt gewinnt. Der Anteil der Kohle an der Weltenergiebilanz wird in den nächsten 20 bis 30 Jahren abnehmen", so Juschkow abschließend.

Olga Samofalowa ist Wirtschaftsanalystin bei der Zeitung "Wsgljad".

Übersetzt aus dem Russischen. Der Artikel ist am 12. Dezember 2024 zuerst auf der Webseite der Zeitung "Wsgljad" erschienen.

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