Der vergessene Völkermord der Nazis in Weißrussland – Vernissage in Köln hält die Erinnerung wach

Von Wladislaw Sankin

Was wissen unsere Leser über das Grauen von Weißrussland? Diejenigen, die in der DDR zur Schule gegangen sind, könnten eventuell noch an den Film des sowjetischen Regisseurs Elem Klimow "Geh und Sieh" (auch als "Komm und Sieh" bekannt) erinnern – dieser wurde nämlich auch für den Geschichtsunterricht als "Wahlpflichtfach" empfohlen. Doch die meisten Ex-BRD-Bürger sowie Vertreter der jüngeren Generationen können mit dem Thema gar nichts anfangen.

Der Krieg und die deutsche Okkupation in Weißrussland forderten an die drei Millionen Opfer; die damalige Sowjetrepublik verlor damit nahezu ein Drittel seiner Einwohnerschaft. Neben den rund 700.000 Juden, die das städtische Leben in Weißrussland prägten und im Zuge des Holocaust getötet wurden, wurden mehr als eine Million slawischer Zivilisten – fast ausschließlich Frauen, Kinder und Alte – im Zuge der sogenannten Vergeltungsaktionen der Wehrmacht ermordet.

Oft wurde die ganze Dorfbevölkerung in die Scheunen getrieben und bei lebendigem Leibe verbrannt. So wurden mehr als 600 Dörfer samt ihren Einwohnern ausgelöscht. Insgesamt wurden bis zu 10.000 Ortschaften von den Deutschen teilweise oder vollständig zerstört. Damit "rächten" sich die Besatzer für die breite Partisanenbewegung, die mit Sabotageakten und Überfällen aus den Wäldern ihr Leben schwer machte.

Die Erinnerung an diese beispiellose Grausamkeit und an die Partisanenbewegung ist in Weißrussland sehr ausgeprägt. Sie stiftet dem Volk, das sich gleichermaßen als Nachfahre der Opfer eines Rassenkrieges und tapferer Sieger über das Böse betrachtet, seine Identität. Im Land der Täter ist diese grausame Episode des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion dagegen kein Thema. In der Fachliteratur wird das Verbrechen oft durch die stalinistischen Verbrechen relativiert (so wurden auch in einer Steinmeier-Rede die nazistischen Gräueltaten gegen die Sowjetunion in einem Atemzug mit stalinistischen Verbrechen erwähnt).

In einer Analyse der Bundeszentrale für politische Bildung wird dem Präsidenten Alexander Lukaschenko sogar die Instrumentalisierung des Gedenkens an den Völkermord im Zweiten Weltkrieg für den Kampf gegen die prowestliche Opposition vorgeworfen. Statt Reue und Empathie legt das offizielle Berlin Anmaßung und Feindseligkeit an den Tag, wenn es um die Politik gegenüber Weißrussland geht. Schon seit vielen Jahren führen die EU und der Westen gegen Weißrussland einen Sanktions- und Propagandakrieg und Deutschland ist ganz vorne mit dabei. Mit der einseitigen Aufkündigung aller Kooperationen und mit Verkehrsblockaden wurde gegen das Land nach einem gescheiterten Umsturzversuch im Jahre 2020 der Eiserne Vorhang hochgezogen.

Doch für einige Deutsche ist dieser Zustand unerträglich. Und sie nutzen die freizügigen weißrussischen Reisebestimmungen, um das Land zu besuchen. So wie es einmal auch der Vorsitzende der Kleinpartei Deutsche Mitte, Oliver Schneemann, getan hat. Obwohl er Weißrussland auch vorher schon besucht hat, wurde ihm, wie er nun schildert, erst im Jahr 2021 bewusst, welche Grausamkeiten sich hier in den Jahren 1942–43 an Tausenden Orten abspielten.

Dafür war jedoch erst ein Besuch in Dremlewo, einem der verbrannten Dörfer, nötig. Dieser Ort ist nun Gedenkstätte, und er traf dort die letzte verbliebene Einwohnerin, auf deren Geburtsurkunde "Dremlewo" steht. Wie auch das weltweit bekannte Chatyn wurde dieses verbrannte Dorf nie wieder aufgebaut, sondern in ein Mahnmal umgewandelt.

"Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine deutsche Polizeieinheit zu solchen Grausamkeiten jemals fähig wäre. Ich wurde leider eines Besseren belehrt", so Schneemann. "Ich wusste bis zu jenem Tag nichts von derartigen Verbrechen. Ich stellte fest, dass auch alle meine Freunde, denen ich davon berichtete, nichts davon wussten. So entstand der dringende Wunsch in mir, dieses Wissen zu teilen und zu verbreiten."

Seitdem setzt sich der Friedensaktivist für die deutsch-weißrussische Verständigung ein, organisiert mit seinen inzwischen zahlreichen Mitstreitern Reisen und Treffen, wofür er schon von der weißrussischen Botschaft im vorigen Jahr mit einem Empfang gewürdigt wurde – RT DE berichtete.

Eine der Früchte seiner Arbeit ist die Vernissage mit Werken von zehn weißrussischen Künstlern, die in der ersten September-Hälfte in Köln ausgestellt wurden. Die Künstler hätten es sich zur Aufgabe gemacht, die Erinnerungen an diese tragischen Ereignisse wachzuhalten und somit den vergessenen Orten eine Stimme zu geben, schrieb der Parteivorstand auf seiner Webseite über das Vorhaben. "Die zarten Pinselstriche und die kraftvollen Gesten auf der Leinwand erzählen feinfühlig von den verlorenen Dörfern und Menschen, die einst in Flammen standen."

Die Eröffnung der Ausstellung wurde durch musikalisch-visuelle Darbietungen und allem voran durch die dort abgehaltenen Reden zu einem wichtigen Ereignis. Das Event war einzig und allein eine Geste der deutschen Enkel-Generation an die Vertreter des Opfer-Volks und ein 90 Minuten andauerndes Gebet für Frieden und Verständigung.

Normalerweise ist mir ein solches Pathos fremd. Aber die Grausamkeit der nazistischen Verbrechen in Weißrussland, die von den Deutschen begangen wurden, lässt sich wahrlich schwer in Worte fassen. Es gab beispielsweise spezielle Operationen zur Ermordung der Kinder, wie im Falle des Dorfs Dolmatschewo, wo mehr als einhundert Kinder sowjetischer Soldaten in einem Wald erschossen und in einer Grube verscharrt wurden – auch dieser Erinnerungsort war ein Thema der Vernissage. Nur weil zwei Kinder dem Tod durch Flucht entkommen konnten, ist dieses Verbrechen überhaupt bekannt geworden. Und wie viele solche Verbrechen bleiben bis heute unentdeckt, weil es einfach keine Überlebenden gab?

Was tun, wenn die Gräueltaten zu schwer wiegen und die Regierung für deren Aufklärung und Aufarbeitung kaum etwas unternimmt, sondern im Gegenteil den Austausch mit Weißrussen verhindert? Dazu hat Oliver Schneemann sein eigenes Rezept und dieses legte er auch in seiner Rede dar:

"Die Aufarbeitung der Geschichte sollte auf Augenhöhe, mit offenem Herzen und Respekt füreinander geschehen. Wir sollten die Geschichte nicht verdrängen, sondern uns mit ihr konfrontieren. Jedoch will dies nicht heißen, dass wir uns heute noch 'schuldig' fühlen oder 'schuldig' fühlen sollten. Vielmehr sollten wir dies als ewige Mahnung verstehen, die Geschichte nicht zu wiederholen. Die Lehre Deutschlands aus dem Zweiten Weltkrieg muss sein, eine Nation des Friedens zu sein, zu bleiben und sich dafür einzusetzen."

Der Organisator der inzwischen legendären Druschba-Reisen, Owe Schattauer, hielt bei der Ausstellungseröffnung ebenso eine 20-minütige, flammende Rede. Auch er hat Weißrussland und die unglaublichen Gedenkorte wie Chatyn in den 2020er Jahren für sich eher später entdeckt. Zuvor reiste er immer wieder nach Russland, mit Hunderten mitreisenden Autofahrern, wobei seine Reisen bis in den Kaukasus und nach Wladiwostok reichten.

Auf einer der Reisen habe er bei Pskow im Westen Russlands eine ältere russische Frau getroffen, die ihm und anderen deutschen Gästen von der Vernichtung ihres Dorfes berichtete. Obwohl die Deutschen in ihrer Erinnerung jene mit den "schwarzen Ledermänteln, Schäferhunden und Maschinenpistolen" bleiben, habe sie ihn und seine Landsleute mit offenen Armen empfangen. "Und so tut es jeder in Russland: Man wird eingeladen und freundlich umgarnt", berichtete er.

Diese Herzlichkeit stellte Schattauer der Empathielosigkeit der deutschen Politiker gegenüber. Die Narben der Geschichte auf der russischen Seite seien so tief, dass es über Generationen sehr viel Diplomatie und Einfühlungsvermögen brauche, um sie zu heilen. Und diese zaghaften Versuche habe es in der Vergangenheit durchaus gegeben, etwa von Willy Brandt oder Helmut Schmidt. 

"Wie können sie so empathielos, so lapidar über die ganze Geschichte hinweg wie mit einer Sichel über die Vergangenheit gehen? Ist uns egal! Putin ist böse, unser Feind", beklagte sich der Friedensaktivist.

Diese Geschichtsvergessenheit sei ihm zufolge gewollt. Denn wie sonst sei die Löschung eines Wikipedia-Artikels über das Dorf Dremlewo zu erklären? Oliver Schneemann hat einen wissenschaftlich fundierten, längeren Artikel über dieses deutsche Verbrechen auf Wikipedia veröffentlicht. "Man brauchte bis zu zehn Minuten, um ihn bis zum Ende zu lesen. Nach drei Minuten war er unwiderruflich gelöscht", erzählte Schattauer über den Vorfall.

Aber für Schattauer gibt es keine ausweglosen Situationen. Und die Ausstellung, die Verbindung durch Kunst, die "die Seele des Malers ins Bild" fließen lässt, sei ein gangbarer Weg, um Meinungsverschiedenheiten zu überwinden und Frieden zu erreichen. "Uns verbindet doch so viel, die Russen und die Deutschen. Und alle in der ganzen Welt malen, das Malen ist das, was uns alle gleich macht. Wir sollten das tun, anstatt (wie Spießer) Rasen mähen."

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