Das umstrittene Sicherheitspaket soll noch diese Woche durch den Bundestag gepeitscht werden. Die Pläne bedrohen trotz kosmetischer Änderungen massiv Grund- und Menschenrechte. Wir veröffentlichen die Änderungsanträge der Ampel im Volltext – und analysieren, was sie bedeuten.
Die Ampel-Koalition hat sich auf einen Kompromiss zum „Sicherheitspaket“ geeinigt. Das Gesetzesvorhaben soll noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden. Am vergangenen Freitag hatten die Ampel-Fraktionen und das Bundesinnenministerium eine Einigung verkündet, ohne dabei Näheres bekannt zu geben. Inzwischen liegt der Text der beiden Änderungsanträge vor, die wir als Dokumente im Volltext veröffentlichen:
- Gesetz zur Verbesserung der Terrorismusbekämpfung – Drucksache BT 20/128067 (PDF)
- Gesetz zur Verbesserung der Inneren Sicherheit und des Asylsystems – Drucksache BT 20/12805 (PDF)
Die darin genannten Entschärfungen tragen der massiven Kritik an dem Gesetzentwurf in der Sachverständigenanhörung vor drei Wochen nur in kleinen Teilen Rechnung.
Die Änderungen betreffen beispielsweise die biometrische Fahndung mit Fotos und Stimmproben im Internet. Mit diesen Methoden sollen das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundespolizei nach mutmaßlichen Straftäter:innen, aber auch etwa nach Opfern suchen dürfen. Fachleute und Menschenrechtsorganisationen hatten diese Maßnahme als unverhältnismäßigen Eingriff in Grundrechte kritisiert. Denn das BKA müsste dafür eine umfassende Datenbank mit den biometrischen Daten aller im Internet verfügbaren Bilder selbst erstellen, vorhalten und indizieren – oder diese Daten als Dienstleistung bei einem kommerziellen Anbieter wie Palantir, ClearView oder Pimeyes einkaufen. Deren Geschäftsmodelle laufen aber der europäischen Datenschutzgrundverordnung zuwider.
Biometrische Internetfahndung kommt
Dennoch will die Ampel, dass die biometrische Fahndung kommt. Lediglich die Eingriffsschwelle will sie dafür erhöhen. Demnach wird die biometrische Fahndung nur noch für „besonders schwere Straftaten“ erlaubt sein, die laut Strafprozessordnung etwa auch das staatliche Hacken eines Smartphones rechtfertigen. Dazu zählen Mord, Geldwäsche, Bandendiebstahl und Vergewaltigung, aber auch das „Einschleusen von Ausländern“ sowie Drogenhandel oder die Unterstützung bei Betrug im Asylantrag. Schon der Verdacht, dass eine solche Tat begangen wird, reicht aus. Ursprünglich geplant war der Einsatz bereits für „schwere Straftaten“.
Eine Fahndung sollen die Präsident:innen von Ermittlungsbehörden oder deren Vertretung anordnen dürfen. Zuvor bedarf es einer richterlichen Genehmigung. Bei „Gefahr im Verzug“ sind hier allerdings Ausnahmen für die Dauer von bis zu drei Tagen möglich. Dann kann die oberste BKA-Führungsebene auch ohne Richter:in eine biometrische Fahndung anordnen. Fahnden darf das BKA mit der Methode nach mutmaßlichen Straftäter:innen und Opfern von Straftaten, aber nicht mehr nach Zeug:innen, wie es die Ampel zuvor noch geplant hatte. Die Bundesdatenschutzbeauftragte soll eng beaufsichtigen, dass diese Regeln eingehalten werden.
Regierung soll Details per Verordnung festlegen
Zusätzlich hat die Koalition eine Verordnungsermächtigung vorgesehen. Mit einer Verordnungsermächtigung räumt das Parlament der Regierung die Freiheit ein, Entscheidungen zu Details eines Gesetzes im weiteren Verlauf selbst zu treffen. Konkret muss die Bundesregierung die Details zu den technischen Verfahren der biometrischen Fahndung festlegen, bevor diese eingesetzt werden darf. Die Verfahren betreffen etwa, welche Art von Daten gespeichert werden und wie der Zugriff auf diese Daten geregelt ist. Dafür muss die Regierung die Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten einholen.
Das BKA hatte in einer Anhörung Ende September nicht sagen können, wie die Fahndung technisch funktionieren soll. Kommerzielle Gesichtersuchmaschinen wie PimEyes oder Clearview sind in der EU verboten und dürfen von Behörden nicht eingesetzt werden. Das BKA müsste daher zunächst eine legale technische Lösung entwickeln lassen. Die Bundesdatenschutzbeauftragte nannte eine solche Umsetzung „unrealistisch“.
Der Gesetzentwurf soll dem BKA auch eine automatisierte Analyse von großen Datenmengen ermöglichen. Dazu darf die Behörde Daten aus ihren unterschiedlichen Datenbanken zusammenführen, darunter auch Daten von Zeug:innen oder Personen, die Anzeige erstattet haben. Diese Daten darf sie anschließend mit Software auswerten, um nach Verbindungen und Mustern zu suchen. Auch hierfür muss die Regierung nun zunächst eine Verordnung für die Ausgestaltung der technischen Details erlassen.
Migrationsrecht bis auf „wenige Ausnahmen“ verschärft
Die Verschärfungen im Bereich Migration und Asyl, die besonders bei der SPD auf Unmut stieß, bleiben im Wesentlichen bestehen. Geflüchtete, die nach Deutschland kommen, obwohl nach den Dublin-Regeln ein anderer EU-Staat für ihr Asylverfahren zuständig ist, sollen weiterhin keine Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Die Ampel stellt lediglich klar, dass die Kürzung ausschließlich Menschen betrifft, deren Ausreise „rechtlich und tatsächlich“ möglich sein soll. Die Einschätzung nimmt das Bundesamt für Flucht und Migration (BAMF) vor. Außerdem sind einige wenige Ausnahmen für sogenannte Härtefälle vorgesehen.
Auch sollen anerkannte Geflüchtete, die in ihr Heimatland zurückreisen, in der Regel den Schutzstatus verlieren. Unterbleiben soll dies laut dem aktuellen Kompromiss nur dann, wenn die Reise „sittlich geboten“ ist, etwa für eine Beerdigung. Vor Antritt einer Reise müssen Geflüchtete die Ausländerbehörde darüber informieren.
Der FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle sagte, dass der migrationspolitische Teil des Sicherheitspakets in seinen Grundzügen unverändert geblieben sei. Innenministerin Nancy Faeser wies die Kritik der Opposition an dem entschärften Gesetzespaket zurück. Von den geplanten Ausnahmen seien nur „Kleinstgruppen“ wie etwa Schwangere betroffen, so Faeser.
Auch die neuen biometrischen Möglichkeiten für das BAMF bleiben weiter bestehen. Das BAMF soll im Asylprozess per biometrischer Gesichtersuche im Netz die Identität einer Person feststellen dürfen, wenn diese keine Papiere vorlegen kann. Bislang durfte das BAMF zu diesem Zweck die Geräte von Asylsuchenden auswerten. Laut Kompromiss sei die biometrische Suche im Netz das „mildere Mittel“, da es sich um einen Abgleich mit öffentlichen Daten handele. Auch hier wären riesige Datenbanken von Unbeteiligten nötig. Die Regierung muss ebenfalls per Verordnung zunächst die technischen Details der Suche und Datenspeicherung festlegen und diese mit der Bundesbeauftragten für Datenschutz abstimmen.
Anlasslose Kontrollen werden ausgeweitet
Bei der umstrittenen Ausweitung von Waffenverbotszonen und den damit einhergehenden anlasslosen Kontrollbefugnissen für die Polizei gibt es Änderungen, die vor allem die Ausnahmen vom Waffenverbot regeln. So wurden unter anderem Ausnahmen für Gastronomie und das Handwerk geschaffen. Gäste eines Straßenrestaurants machen sich demnach nicht strafbar, wenn sie in einer Waffenverbotszone mit handelsüblichem Essbesteck zu Tisch sitzen.
Das Grundproblem der Regelung bleibt aber bestehen: Die Waffenverbotszonen werden ausgeweitet und die Bundesländer dazu ermächtigt, diese nach überaus weichen Kriterien zu erlassen. Damit aber drohen viele Bereiche des öffentlichen Lebens zu solchen Zonen erklärt zu werden – mit der Folge, dass die Polizei dort ohne jeden Anfangsverdacht Menschen ansprechen, kontrollieren und durchsuchen darf. Solche Formen der anlasslosen Kontrolle setzen unbescholtene Menschen einem Generalverdacht aus und greifen tief in Grundrechte ein.
Protest angekündigt
Schon am morgigen Mittwoch wird die Koalition ihre Änderungen in den Innenausschuss des Bundestages einbringen. Am Donnerstag will sie einen Beschluss des Gesetzes im Plenum des Bundestags erreichen, sodass das Überwachungspaket am Freitag im Bundesrat behandelt und damit final verabschiedet werden könnte.
Gegen das Überwachungspaket gibt es am morgigen Mittwoch um 13 Uhr eine Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin, zu der das Bündnis „Gesichtserkennung stoppen“ aufruft.
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