Nach dem Interview mit Wladimir Putin Anfang des Jahres ist dem US-Journalisten Tucker Carlson ein weiterer Coup gelungen: ein Exklusivinterview mit Russlands Außenminister Sergei Lawrow. Am Mittwoch kündigte er es mit einem in seinen Netzwerken veröffentlichten Video an, das ihn prominent vor dem Kreml und dem Roten Platz in Moskau zeigt, am Freitag wird es nun veröffentlicht.
RT DE wird seinen Lesern und Zuschauern im Laufe des Tages eine deutsche Übersetzung in voller Länge präsentieren und gibt hier vorab eine Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen Lawrows.
Am Anfang des Gesprächs steht die Frage, die heute viele US-Amerikaner, aber auch viele Deutsche und Russen umtreibt:
"Glauben Sie, die USA und Russland sind im Krieg miteinander?"
Die Antwort des russischen Außenministers darauf fällt beschwichtigend aus:
"Ich würde es so nicht formulieren. In jedem Fall ist das nicht, was wir wollen. Wir wollen normale Beziehungen zu unseren Nachbarn und generell zu allen Ländern der Erde. (...) Wir sehen keine Gründe, warum die Russland und die USA nicht zum Besten der Welt kooperieren können."
Als Carlson nachhakt und auf die vom aktuellen Weißen Haus betriebene Eskalation in der Ukraine hinweist, erklärt Lawrow:
"Was in der Ukraine geschieht, würde ich einen hybriden Krieg nennen. Es ist offensichtlich, dass die Ukrainer nicht in der Lage wären zu tun, was sie mit modernen Langstreckenwaffen tun, ohne direkte Beteiligung US-amerikanischer Militärs. Das ist gefährlich, kein Zweifel."
Russland tue alles, um die eine nukleare Eskalation zu vermeiden, betont Lawrow. Über den Start der Oreschnik-Hyperschallrakete, nach der Carlson ebenfalls fragt, wurden die USA beispielsweise mit einem Vorlauf von 30 Minuten informiert.
Danach gefragt, welches Signal Moskau mit dem erstmaligen Einsatz der Oreschnik senden wollte, antwortet Lawrow, das Signal sei, dass Russland alles Nötige zur Verteidigung seiner legitimen Interessen tun werde und über Mittel dazu verfüge. Der Westen kämpfe, um seine Hegemonie über die Welt zu erhalten, über jedes Land und jeden Kontinent. Russland kämpfe dagegen für seine legitimen Sicherheitsinteressen und für das Volk, das in diesem Land lebt.
Besorgniserregend nennt er die Drohungen, die in letzter Zeit aus der NATO kommen und die sich auf die Möglichkeit eines NATO-Präventivschlags gegen Russland oder sogar eines "begrenzten nuklearen Schlagabtauschs" erstrecken. Nicht an die russischen roten Linien zu glauben, sei ein "ernsthafter Fehler", mahnt Lawrow. Russland sei für jede Entwicklung bereit, ziehe aber eine Verhandlungslösung vor. Diese müsse die legitimen Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen und die Rechte der russischen Minderheit in der Ukraine respektieren.
Geduldig und einprägsam erklärt Lawrow im folgenden Teil des Gesprächs die russische Position, erläutert, dass zum Völkerrecht und der UN-Charta nicht nur die territoriale Integrität von Staaten, sondern auch Rechte ethnischer Minderheiten, ihr Selbstbestimmungsrecht und die Sicherheit der Nachbarn gehören. Die Entstehung der aktuellen Situation wird beginnend mit dem Amtsantritt Putins um die Jahrtausendwende rekapituliert bis hin zum Umsturz in Kiew im Frühjahr 2014, mit dem die Kiewer Zentralregierung laut Lawrow die Legitimität verloren hat, den abtrünnigen Donbass und die russische Krim zu repräsentieren. Alles Argumente, die ständige RT-DE-Leser bereits kennen, die in ihrer systematischen und sehr geduldigen Darbietung durch den erfahrenen Diplomaten die Zeit wert sind, die man in das Hören des Vortrags investiert.
Carlson hat offenbar seine Lektion aus dem Interview mit Putin gelernt und lässt Lawrow dieses Mal ohne Unterbrechungsversuche reden, stellt an geeigneten Stellen überaus sachdienliche Nachfragen und lässt die "Vorlesung" ansonsten über sich und den Zuschauer ergehen.
Als Carlson fragt, welche Forderungen Moskau an ein Verhandlungsergebnis mit der Ukraine und dem Westen habe, rekapituliert Lawrow die Entwicklung beginnend mit dem Frühjahr 2014, als die russische Forderung ausschließlich darin bestand, die zwischen dem damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch und der Opposition unter europäischer Vermittlung geschlossene Vereinbarung umzusetzen. Heute habe sich die Lage verändert, und selbst die in Istanbul im Frühjahr 2022 ließen sich nicht mehr unverändert umsetzen, betonte Lawrow.
Eine kleine Sensation, die Deutschland betrifft und über die hierzulande bald schon Stürme der Entrüstung ausbrechen werden, findet sich etwa in der Mitte des Videos. Dazu wird es von RT DE eine gesonderte Meldung geben.
Den US-Amerikaner interessierte natürlich weitaus mehr die Frage, wie Lawrow die Zustände im aktuellen Weißen Haus einschätzt. Der erfahrene Diplomat und dienstälteste Außenminister der Welt zieht sich da aber geschickt aus der Affäre, erzählt nur von seinem letzten persönlichen Treffen vor etwa zwei Jahren mit US-Außenminister Antony Blinken. Das Gespräch habe zehn Minuten gedauert, Blinken habe über die Erforderlichkeit der Deeskalation gesprochen. Lawrow habe ihm entgegnet, dass Russland nicht eskalieren möchte, es seien die USA, die Russland eine "strategische Niederlage" zufügen wollen. Blinken darauf laut Lawrow: "Nicht global, nur in der Ukraine." US-Außenpolitik war es schon immer, Chaos zu erzeugen und dann zuzusehen, was man aus dem trüben Wasser fischen könne, so das Fazit Lawrows.
Carlson fragt, ob es danach Kontakte gegeben habe. Lawrow verneint (das Interview wurde noch vor dem Treffen auf Malta aufgezeichnet) und spricht auch über die europäischen Amtskollegen, die beim letzten G20-Gipfel buchstäblich weggerannt seien, wenn immer er in Sichtweite war:
"Lächerlich, wie erwachsene Europäer wegrennen, wenn sie mich sehen."
Der Schlüsselsatz dieses Interviews, den jeder beherzigen sollte, der einen Ausstieg aus der aktuellen Konfrontation wünscht und nach einer Verhandlungslösung trachtet, ist diese Zusammenfassung der russischen Position durch den Außenminister:
"Unser Standpunkt ist legitim: Keine NATO an unserer Türschwelle – die OSZE hatte 2010 bestätigt, dass wir das zu Recht fordern –, und stellt bitte die Rechte der Russen wieder her!"
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