Die Parole „From the River to the Sea“, entsprechende Kommentare oder Likes können laut Bundesinnenministerium dazu führen, dass Menschen keinen deutschen Pass bekommen. So steht es in einem Weisungsdokument mit Empfehlungen für Ausländerbehörden. Doch am Ende bleibt es Auslegungssache.
Seit Juni gilt das neue Staatsangehörigkeitsrecht, das die Ampel bereits im Koalitionsvertrag angekündigt hat. Es bringt einige Erleichterungen: Menschen, die ihren Lebensunterhalt verdienen und die Sprache gut sprechen, können schon nach fünf statt acht Jahren einen deutschen Pass beantragen. Sie müssen dazu nicht mehr ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben.
Zugleich hat die Bundesregierung die Anforderungen verschärft, vor allem, was das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung angeht. „Hier gilt: Rassismus, Antisemitismus oder jede andere Form von Menschenfeindlichkeit schließen eine Einbürgerung aus“, schreibt das Bundesinnenministerium auf seiner Seite. Solche Handlungen seien mit Artikel 1 des Grundgesetzes unvereinbar: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Unvereinbar mit Bekenntnis zur Verfassung
Doch wie sollen Ausländerbehörden, die für die Einbürgerung zuständig sind, das in Zukunft überprüfen? Das Bundesinnenministerium hat dazu eine Hilfestellung erstellt. Sie ist inzwischen auf der Transparenzplattform FragDenStaat öffentlich.
In dem Dokument, über das NDR Panorama zuerst berichtete, steht auch eine Liste von Handlungen, die Anhaltspunkte dafür liefern, dass die besondere historische Verantwortung Deutschlands für den Schutz jüdischen Lebens nicht aufrichtig bejaht wird. Genannt wird hier neben der Leugnung des Holocausts auch die Aussage „From The River to the Sea“, gegebenenfalls mit dem Zusatz „Palestine will be free“. Die Aussage könnte unvereinbar sein mit einem Bekenntnis zur deutschen Verfassung, steht in dem Dokument – und damit der Einbürgerung entgegenstehen.
„From The River to the Sea“ ist eine pro-palästinensische Parole, die im Kontext des Israel-Palästina-Konflikts entstanden ist. Gemeint ist das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer, das heutige Staatsgebiet von Israel und den palästinensischen Gebieten.
Verboten oder nicht?
Um die Parole tobt seit dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 ein politischer Streit. Das Bundesinnenministerium hatte sowohl Hamas als auch Parole Anfang November per Verfügung verboten. Der Ausspruch sei der Hamas zuzuordnen. Wer ihn verwende, nutze automatisch das Kennzeichen einer Terrororganisation. Seitdem setzen Behörden die Parole ein, um Demonstrationen zu verbieten oder Hausdurchsuchungen bei palästina-solidarischen Aktivist:innen anzuordnen.
Andere berufen sich darauf, dass die Bedeutung nicht eindeutig sei. Handelt es sich um einen Aufruf zur Vernichtung Israels? Oder ist mit dem Slogan das Recht der Palästinenser:innen auf ein Leben in Würde und Freiheit gemeint, im Gazastreifen, dem besetzten Westjordanland und Ost-Jerusalem?
Auch von Gerichten wird die Auslegung des BMI sehr unterschiedlich beurteilt. Ende Mai urteilte das Landgericht Mannheim: Die Parole sei kein Kennzeichen der Hamas. Sie habe eine komplexe Geschichte und liefere keinen Hinweis, auf welche Weise das historische Palästina befreit werden solle. Die Äußerung sei von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Kurz darauf entschied ein Verwaltungsgerichte in Baden-Württemberg anders und nannte die Parole Kennzeichen der Hamas und der verbotenen Organisation Samidoun. Die Rechtslage bleibt damit weiter unklar.
„Unmittelbar kommentierender Zusammenhang“
In Deutschland sind die Länder für Einbürgerungen zuständig. Die Verfahren werden von den Ausländerbehörden in der jeweiligen Region durchgeführt. Die Anwendungshinweise aus dem BMI dienen dabei als Leitfaden und sollen sicherstellen, dass die Verfahren bundesweit einheitlich durchgeführt werden. Sie sind aber nicht rechtlich bindend.
Auf die Frage, ob die Parole vor dem Hintergrund der Gerichtsurteile zur Grundlage dafür werden kann, eine Einbürgerung zu verweigern, antwortete ein Sprecher des BMI, der Zusammenhang sei entscheidend.
Aussagen wie „From the River to the Sea“ könnten für die Einbürgerung relevant sein, „soweit sie in Zusammenhang stehen mit einem ausdrücklichen Aufruf zu gewaltsamen Handlungen gegen den Staat Israel, insbesondere bei Forderungen nach einer Auslöschung Israels beziehungsweise der Errichtung eines rein palästinensischen Staates auf dem heutigen Gebiet des Staates Israel.“ Dies könne angenommen werden bei einem konkreten Bezug zu Hamas oder einem „unmittelbar kommentierendem Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023“.
Wird eine solche Aussage bekannt, sollte die Ausländerbehörde in einem Gespräch klären, ob dahinter eine antisemitische Einstellung besteht, so die Empfehlung aus dem Ministerium. Danach soll die Behörde in einer Gesamtschau aller Aussagen der Person und Begleitumstände bewerten, ob das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung glaubhaft sei.
In den Anwendungshinweisen des BMI wird erläutert, was in diesem Zusammenhang bereits als „Handlung“ zu werten ist. „‚Handlungen‘ sind jedes beherrschbare menschliche Verhalten, einschließlich mündlicher oder schriftlicher Äußerungen, in Deutsch oder in anderen Sprachen“, heißt es dort, „auch im öffentlich sichtbaren Teil sozialer Netzwerke.“ Als Beispiele listet das Dokument „Nutzung der Kommentarfunktion, der Funktion ‚Gefällt mir‘ (‚Like‘), der Nutzung eines Profilbildes, des Einstellens (‚Posten‘) oder des Verbreitens beziehungsweise Teilens von Beiträgen, die aus Sicht des objektiven Empfängerhorizonts antisemitischen, rassistischen und sonstig menschenverachtenden Inhalt haben.“
Auch Ausweisung nach Kommentaren möglich
Die Weisung bedeute noch nicht, dass eine Einbürgerung tatsächlich scheitert, sagt der auf Ausländerrecht spezialisierte Rechtsanwalt Matthias Lehnert: „Ein Verwaltungsgericht kann überprüfen, ob die Ablehnung einer Einbürgerung wegen der Parole rechtmäßig ist oder nicht.“ Problematisch sei eine solche Vorgabe in jedem Fall, weil sie tiefgreifend die Meinungsfreiheit tangiert.
Ende Juni hatte die Bundesregierung bereits auf Vorschlag von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) einen Gesetzentwurf beschlossen, der Ausweisungen vereinfachen soll. Auch hier ging es um Äußerungen und Handlungen auf Sozialen Medien. In Zukunft soll demnach schon ein Kommentar oder ein Like im Netz als „Verbreitung von Inhalten“ gewertet werden und ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse begründen.
Fachleute wiesen anschließend darauf hin, dass die geplante Verschärfung eher symbolischer Natur sei. Ausländerbehörden könnten Personen schon heute wegen ihrer Aktivitäten in den Sozialen Medien ausweisen, etwa wenn diesen vorgeworfen wird, Terror zu billigen.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
Meist kommentiert