Der rechtsradikale Hetzer Julian Reichelt hatte einen „Strom-Kollaps“ für Januar angekündigt. Und wie bei anderen Untergangspropheten ist auch das nicht eingetreten. Die befürchtete Dunkelflaute trat ein – das Stromnetz blieb stabil und es gab keinen Kollaps. Außer vielleicht einen von Reichelts Glaubwürdigkeit.
In der Gedankenwelt von Julian Reichelt lest ihr diesen Text ausgedruckt vor einer schummrigen Kerze, denn Deutschland liegt nach seiner Prognose seit Mitte Januar komplett im Dunklen. Denn wegen eines Blackouts ist das deutsche Stromnetz kollabiert. Der bloße Umstand, dass ihr ihn in Wirklichkeit offenbar von einem Display ablest, ist ein gutes Indiz dafür, wie der rechtsradikale Hetzer uns mal wieder Märchen erzählt hat.
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Woher kam die Strom-Kollaps-Panikmache?
Im November 2024 war Reichelt komplett im Panik-Modus, aufgeschreckt durch einen LinkedIn-Beitrag des Geschäftsführers von RWE, dem nach Umsatz drittgrößten Energiekonzern Deutschlands. Dieser schrieb im November, die deutsche Stromversorgung sei „an ihre Grenzen geraten“.
Tatsächlich herrschte am 06.11.2024 um 18:00 Uhr ein für Novembertage typisches Phänomen: Es war dunkel. Eine zeitgleich auftretende Schwachwindlage führte dazu, dass die Stromerzeugung aus Wind- und Solarkraft zusammen deutlich unter einem Gigawatt lag (Deutschland verbraucht zwischen 40 und 80 Gigawatt) und unsere fossilen Kraftwerke entsprechend viel zu tun hatten.
RWE-Chef prophezeit Dunkelflaute am 15.01., aber nicht, dass die Netze stabil bleiben lol
RWE-Chef Markus Krebber ließ sich infolgedessen zur Aussage hinreißen, dass „die gleiche Situation an einem anderen Tag mit höherer Spitzenlast nicht zu bewältigen gewesen wäre. Zum Beispiel im Januar. Die höchste Stromnachfrage des Jahres gab es am 15.01., sie lag bei mehr als 75 GW. Und damit bei fast 10 GW mehr als am 6. November!“ (diese Aussage bezieht sich natürlich auf den Januar 2024).
Das übernahm die rechte Fake-Schleuder Nius trotz des recht offensichtlichen Zielkonflikts eines Kraftwerkbetreibers, der nachvollziehbarerweise auch am Bau neuer Kraftwerke interessiert ist. Witzig daran: Genau das, ein Tag mit deutlich höherer Spitzenlast, trat am 15.01.2025 ein. Nur halt ohne „TOTALEN STROM-KOLLAPS“.
Am Novembertag, der den RWE-CEO zum Schreiben seines Beitrags auf LinkedIn veranlasste, verbrauchte Deutschland um 18:00 Uhr rund 65 Gigawatt Strom. Die geäußerte Sorge war, dass im meist kälteren Januar der Verbrauch noch mal ansteigt. Und uns dann, wenn es dann noch mal zu einer Dunkelflaute käme, die vier Reiter der Apokalypse erschienen ein Engpass droht (ein Engpass ist aber weder ein Strom-Kollaps noch ein Blackout).
Der zweite Teil der PRognose zum „Strom-Kollaps“ trat aber nicht ein
In gewisser Weise war das ein Stückweit prophetisch, denn tatsächlich stieg die Last ausgerechnet genau am 15.01.2025 auf 72 Gigawatt und damit auf einen der bislang höchsten Werte des Jahres 2025. Aber nur ein Stückweit prophetisch, denn der zweite Teil der Prognose, dass diese Last nicht mehr zu bewältigen wäre, war ja ganz offensichtlich ein kompletter Schuss in den Ofen.
Ganz grundsätzlich ist die Orientierung an diesem Wert (der Last) nicht sonderlich stichhaltig, denn die höchste Last, also den höchsten Stromverbrauch des Jahres, haben wir in Deutschland nie bei Dunkelflaute. Zumindest seit Aufzeichnungsbeginn der Echtzeitverbräuche im Jahr 2015 lagen die Verbrauchsspitzen eines Jahres immer an Zeitpunkten, zu denen wir ordentlich Wind- und Solarstrom im Netz hatten. Die Lastmaxima der Jahre fielen mit folgenden erneuerbaren Erträgen zusammen (Zum Vergleich: Alle deutschen Atomkraftwerke zusammen lagen 2010 – also vor dem Atomausstieg – in der Spitze bei 18,4 Gigawatt Leistung):
2015: 21 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2016: 17,1 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2017: 33,8 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2018: 29,2 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2019: 16,9 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2020: 27,8 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2021: 47,6 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2022: 42,6 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2023: 21,9 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2024: 33,8 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
2025: 33,1 Gigawatt aus Wind- und Solarkraft
Mehr wind & Solar als wir je an AKW hatten
Das sind im Schnitt höhere Erträge aus Wind- und Solarkraft als alle deutschen Atomkraftwerke zusammen jemals erzeugt haben. Die Sorge, dass es ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt zu Engpässen kommt, wirkt also weit hergeholt.
Wenn ihr euch WIRKLICH fragt, wie nahe wir gerade dem TOTALEN STROMKOLLAPS / BLACKOUTS sind / wie viel Druck gerade auf unseren Backup-Kraftwerken lastet, weil Wind und Sonne sich tatsächlich kaum blicken lassen, gibt es eine für diesen Zweck viel naheliegenderen Messgröße: Die Residuallast. Residu-was?
Zugegeben ein kompliziertes Wort, aber sie zeigt einfach nur den Teil unseres Stromverbrauchs, den Wind- und Solarkraft zu einem Zeitpunkt NICHT decken. Aus Energiewendesicht wollen wir also, dass dieser Wert möglichst gering ist. An güldenen Tagen wie dem 27.04.2024, an denen Wind und Solar schon mal ganz alleine so viel Strom ins Netz pumpen wie wir alle zusammen verbrauchen, sinkt die Residuallast (zeitweise) auf 0. An Tagen mit Dunkelflaute und hohem Bedarf (im Winter halt) steigt dieser Wert stark an.
Dadurch steigt aber in der Regel auch der Preis, denn dann wird er durch viele teure Gaskraftwerke bestimmt. Firmen mit flexiblen Tarifen sparen zu solchen Zeiten eher Strom ein und warten, bis er wieder günstig ist. Sobald Wind und Solar wieder so richtig reinballern, sinkt der Börsenstrompreis und das bedeutet für alle Firmen, die an der Börse ihren Strom zu flexiblen Tarifen einkaufen: Verbrauch das Zeug, so lange es so schön billig ist. Fahr alle Maschinen hoch, fahr das Kühlhaus auf -40 Grad Celsius runter und so weiter. Deswegen erreicht der Gesamtverbrauch in diesen Momenten die Höchstwerte des Jahres.
Das Gegenteil einer DUnkelflaute
So war das auch am 15.01.2024 um 11:30 Uhr (der vom RWE-Chef ins Spiel gebrachte Zeitpunkt). Es war zu dieser Zeit so stürmisch, dass die Windkraft allein so viel Strom erzeugte wie zum gleichen Zeitpunkt ALLE Steinkohle-, Braunkohle- und Gaskraftwerke zusammen (!) – also das Gegenteil einer Dunkelflaute.
Wenn sich also schon jemand Gedanken um den TOTALEN STROMKOLLAPS macht, sollte er sich lieber an der Residuallast orientieren, denn sie zeigt an, unter wie viel Druck unsere Kohle- und Gaskraftwerke gerade stehen – die Last allein ist für diese Bewertung zu ungenau. An jenem 06.11.2024 lag die Residuallast bei 65 Gigawatt und es hieß, wenn der Bedarf jetzt noch mal steigt, dann passiert was Schlimmes.
Am 15.01.2025 hingegen stieg er aber tatsächlich noch mal ordentlich um etwa 5 Gigawatt (so viel erzeugten 2023 alle Atomkraftwerke zusammen). Das war aus Energiesicht nämlich ein außerordentlich scheußlicher Mittwoch: Es regte sich kaum ein Lüftchen und ein blauer Himmel wirkte wie eine blasse Erinnerung aus ferner Vergangenheit. Zudem war es auch noch deutlich kälter, wodurch unser Verbrauch höher lag als noch im November.
Der worst case trat ein – und es passierte nichts?
Und was passierte? Nichts. Es empfahl sich vielleicht nicht, an diesem Tag zwischen 17 und 18 Uhr mit dynamischen Stromtarif sein E-Auto aufzuladen, aber das Netz blieb so stabil wie in all den Jahren zuvor auch schon. Der Verband der Ingenieure schrieb dazu am 03. Februar 2025: „Deutsches Stromnetz superstabil trotz Solar-Rekordzubau“.
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Reichelts besessene Warnung entpuppte sich also mal wieder als reine Panikmache, denn er sagte voraus, das ganze Stromnetz würde kollabieren, sollte es nochmal zu einer Dunkelflaute wie im November kommen. Es kam im Januar 2025 aber tatsächlich zu einer deutlich krasseren Dunkelflaute und kollabiert ist dennoch gar nichts – außer Reichelts Logikzentrum vielleicht.
Offenbar gehört zu Journalismus doch etwas mehr als einfach nur LinkedIn-Posts abzuschreiben, denn mögliche Reaktionen auf den LinkedIn-Beitrag waren:
1. Kerzen, Notstromaggregat und Dosenravioli besorgen und Angst haben
2. Die Kommentare unter dem Beitrag lesen und ihn einordnen
3. Zum Thema recherchieren und abwägen, inwiefern Krebbers Worte durch die geschäftlichen Interessen seines Konzerns, der vom Kraftwerksneubau profitieren könnte, beeinflusst waren.
Die rechte Panikmache wurde zur Blamage
Nius Autor Julius „erst schreiben dann recherchieren“ Böhm entschied sich für Option 1, übernahm unkritisch jedes Wort aus dem Beitrag und erfand das schreckschraubige Wortkonstrukt „TOTALER STROM-KOLLAPS“, der ja angeblich drohe. Ob Böhm nach dem Schreiben halbnackt, bekleidet nur mit einem Pappschild auf dem „DOOMED! YOU’RE DOOMED!“ die Straße rauf- und runterlief, konnte nicht mehr zu hundert Prozent geklärt werden.
Laut eigener Aussage hat Böhm die Kommentare sogar gelesen, aber seine Zusammenfassung lautet: „Die Meinungen schwankten zwischen der Rückkehr der Atomkraft, über die Kraftwerksstrategie der Regierung und den Ausbau von Groß-Akkus bis hin zur Lösung des Problems mit der Modernisierung des Stromnetzes.“
Ihr könnt euch ja gerne selbst ein Bild machen: das Wort Atomkraft kommt in den Kommentaren 8 mal vor, davon 3 mal negativ, 4 mal als Teil einer URL oder eines Zitats und 1 mal als Vorschlag eines Grafikers. Batteriespeicher werden in der Tat sehr oft erwähnt, weil sie die Zeitdauern, um die es hier geht, auch locker überbrücken könnten.
Eine Lösung des Problems durch Modernisierung des STROMNETZES ist nun wirklich der größte Blödsinn überhaupt. Da merkt man, dass Böhm von Energiewirtschaft weniger Ahnung hat als Willi aus Biene Maja von Differentialrechnung. Das Stromnetz kann ja nur den Windstrom transportieren, der auch erzeugt wird.
Ja, Netzausbau ist wichtig, aber er löst keine Dunkelflaute
Ja, auch der Netzausbau spielt in Zukunft eine wichtige Rolle, aber bei einer Dunkelflaute wird ja kaum Windstrom erzeugt, den es zu verteilen gäbe, das ist ja der Witz an der Sache. Zu diesem Zeitpunkt müssen ein paar wenige Backup-Kraftwerke die Last übernehmen. Die Lösung Netzausbau ist in der Situation so sinnvoll, als wenn der Handyakku unter 5% läuft und man als Sofortmaßnahme näher an den WLAN-Router geht.
Auch das ideologische Abarbeiten an Annalena Baerbock kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Böhm auf dem Gebiet Energiepolitik große Defizite hat. Er eröffnet seinen Artikel mit „Die grüne Außenministerin Annalena Baerbock hatte bei der Weltklimakonferenz in Baku noch bejubelt, dass in diesem Jahr in Deutschland 16 Kohlekraftwerke stillgelegt und als gesicherte, wetterunabhängige Leistung weggefallen sind“.
Dieses deplatzierte Bashing wirkt so hilflos wie neurotisch: Die Stilllegung der Kohlekraftwerke 2024 folgte dem im Jahr 2019 ausgearbeiteten Stilllegungspfad, welcher von der Kohlekommission der Groko abgestimmt war. Die mit Abstand meiste Kraftwerksleistung wurde gemäß dieses Plans von Peter Altmeier (CDU) vom Netz genommen, obwohl sich bereits damals die Stimmen häuften, dass den Stilllegungen auch mal langsam neue Kraftwerke folgen müssten, da diese sich nicht an einem Tag bauen lassen.
„Stromversorgung zu keiner Zeit gefährdet.“
Dass wir mittelfristig zusätzliche Gaskraft-Kapazität brauchen, ist aber keinerlei Beleg für irgendeine Notlage heute im Jahr 2025. Reichelt und Böhm mögen im Sinne eines destabilisierten Landes den totalen Strom-Kollaps und Blackouts herbeisehnen, aber Fachleute sehen den nach wie vor in weiter Ferne. So sagte der Präsident der Bundesnetzagentur im Deutschlandfunk, dass die „Stromversorgung zu keiner Zeit gefährdet“ war. Bezogen auf die Situationen mit punktuell sehr hohen Preisen sagt er:
„Zwar führen Dunkelflauten zu Stress im System und können extreme Preisausschläge auslösen, doch eine echte Gefahr für die Stromversorgung in Form eines Blackouts gibt es nicht.“
Sollte nämlich tatsächlich etwas unvorhergesehenes passieren (Brand im Umspannwerk, Störfall im Kraftwerk) haben die Netzbetreiber immer die Möglichkeit, bestimmte große Verbraucher vom Netz zu trennen. Sollte das passieren, kann man so eine Situation, wie der RWE-CEO, als „nicht zu bewältigen“ umschreiben, denn das Netz sollte in der Theorie natürlich immer genug Strom für alle Verbraucher bereitstellen können.
Das ist ärgerlich genug, denn durch so ein unvorhergesehenes Trennen vom Netz können Maschinen beschädigt werden oder sonstige wirtschaftliche Schäden entstehen. Es ist aber eben kein Strom-Kollaps, auch wenn sich das Wort gut eignen mag, um Deutsche zu verängstigen. Vielleicht sollte man auch den rechten Untergangs-Propheten, die ständig falsche Panik schüren, und ständig Fake News verbreiten, grundsätzlich kein Vertrauen schenken.
Artikelbild: canva.com/Screenshot twitter.com
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