Linksklick: Nazis boxen

Früher war die Sache klar: Nazis sind die Bösen. Mittlerweile scheint diese Grundregel aufgeweicht zu werden – und darüber sollten wir sprechen.

Screenshot vom Spiel Indiana Jones and the Great Circle
Indiana Jones zögert nicht – Screenshot „Indiana Jones und der Große Kreis“, MachineGames/Lucasfilm Games/Bethesda

Noch nie war die Spielewelt so vielfältig und abwechslungsreich wie heute. Quer durch alle Genres steht eine erschlagende Auswahl für unsere Unterhaltung bereit – von bockschweren Plattformern über gemütliche Farmspiele bis hin zu beeindruckenden Riesenwelten und politischer Satire.

Auch die Helden und Heldinnen dieser Geschichte sind abwechslungsreicher geworden: Noch vor 15 Jahren konnten Gamer und Gamerinnen die weiblichen Hauptrollen im Spielregal an einer Hand abzählen, heute sind sie ebenso präsent wie ihre männlichen Gegenstücke. Es verändert sich also eine ganze Menge in der Welt der Spiele.

Wer diese Kolumne hier schon länger liest, der weiß, dass ich jede Bewegung und Weiterentwicklung in dieser Branche von Herzen begrüße und mit Spannung verfolge. Aber eine Veränderung bereitet mir Bauchschmerzen. Es ist eine Veränderung, die nicht mit Pauken und Trompeten begleitet wurde, sondern sich klammheimlich in die Welt der Spiele eingeschlichen hat – und zwar die Frage, ob man Nazis wirklich boxen sollte.

Eine schöne und wichtige Tradition

Trotz all der Umbrüche, die unsere Spielwelten in den vergangenen Jahren erfasst haben, konnte man sich lange Zeit auf eine Grundregel verlassen: Nazis und Zombies sind die Bösen. Tauchen diese beiden Gruppen in unserem Fadenkreuz auf, bedarf es keiner weiteren Erklärung, sondern nur frischer Munition. Es ergibt keinen Sinn, mit Hirnfressern oder Hirnlosen zu diskutieren, es gibt keine gemeinsame Grundlage, sondern nur den direkten Widerstand. Das leuchtet doch allen ein, oder?

Offenbar ist das nicht mehr so. Das kann ich nicht mit Zahlen belegen, nicht mit Statistiken und Umfragen nachweisen, sondern nur anekdotisch veranschaulichen – und genau das gibt mir Hoffnung, dass mein Erlebnis nur eine seltsame Ausnahme ist, die uns alle nicht weiter interessieren sollte.

Was ich hier andeute, geschah vor einigen Monaten auf einer größeren WG-Party in Hamburg. Viele Menschen waren dort, die ich nicht kannte, aber fast alle von uns teilten eine Gemeinsamkeit: die Leidenschaft für Spiele. Eine sichere Brücke in jedes Kennenlerngespräch, über die ich an diesem Abend einige Male spazierte.

Und so fand ich mich irgendwann in einer größeren Runde wieder, die über die Reihe „Sniper Elite“ diskutierte – ein Scharfschützensimulator, in dem wir als Elitesoldat Jagd auf Nazis machen und sie in Zeitlupe aus großer Entfernung abschießen, inklusive sichtbarer Zerstückelung von Gliedmaßen, Schädelknochen und Genitalien (wenn wir sie denn treffen).

Das klingt ziemlich grausig und ist fruchtbarer Nährboden für Diskussionen zwischen Spielern, die diese Inszenierung entweder als erleichternde und harmlose Katharsis begreifen oder die sich an der brutalen und ästhetisierenden Gewalt stören. Meine Diskussionsrunde auf dieser WG-Party nahm allerdings eine ganz andere Richtung ein, als jemand sagte: „Finde ich nicht gut, dass man da auf Nazis schießt“. Zustimmendes Gemurmel aus vielen Richtungen, ein großes Fragezeichen hingegen in meinem Gesicht:

Warum nicht?

Verschobene Grenzen

Aus der Tagespolitik kennen wir das Phänomen der schrittweise verschobenen Grenzen, das insbesondere von rechtskonservativen und ultrarechten Parteien genutzt wird, um Raum für ihre politischen Botschaften zu schaffen. In meiner Kindheit war es ein gesellschaftliches Tabu, den Hitlergruß zu zeigen, ganz davon abgesehen, dass diese Geste damals wie heute eine Straftat darstellt. Selbst die wenigen Menschen meiner Heimatstadt, die sich selbst als Neonazis bezeichneten, trauten sich nicht, so offen ihre Gesinnung zu demonstrieren.

Das ist heute anders – nicht nur wählt diese Stadt fast 30 Jahre später zu einem erheblichen Teil rechte Parteien, sondern sie kämpft außerdem mit regelmäßigen Jungnazi-Versammlungen, in denen mitunter der Hitlergruß offen gezeigt wird. Hier wurden Grenzen des Möglichen verschoben.

Ich habe die Befürchtung, dass dieses Phänomen auch in der Spielebranche  angekommen ist – allerdings oft nicht aus einer politischen Motivation der Verantwortlichen heraus, sondern aus Nachlässigkeit und mangelnder Gegenrede der Spielepresse, die gerade im deutschsprachigen Raum kaum noch den Zusatz „Journalismus“ verdient.

Auch hierzu ein Beispiel: 2018 veröffentlichte der Riesenkonzern Electronic Arts mit Battlefield 5 einen neuen Teil seiner Shooter-Reihe, der einmal mehr die Schlachtfelder Zweiten Weltkriegs digital erlebbar machte. Eines allerdings war neu: Kurz nach Release konnten Spieler für fünf bis zehn Euro spezielle Soldaten-Skins kaufen, allesamt fiktiv, aber inspiriert von realen Generälen und Kriegshelden der Kriegsparteien. Auch „die Deutschen“, also die Nazis, erhielten ihre eigenen Figuren.

Hier hätte bereits die Frage der Spielepresse aufkommen sollen, was wir als spielende Community davon halten sollten, Geld für schicke Nazi-Skins ausgeben zu können, aber das passierte nicht. Es passierte zunächst auch nichts, als ich in einer Recherche offenlegte, dass einer dieser fiktiven Nazi-Generäle den gleichen Namen trug wie ein real existierender Widerstandskämpfer aus Ostdeutschland – ein großer Patzer in der historischen Recherche von EA, falls es die überhaupt gegeben hat, der schließlich zu einer Namensänderung führte. Auch hier reagierte die Spielepresse erst, als englischsprachige Medien die ursprünglich in Deutschland recherchierte Story aufgriffen – bizarr.

„Warum schon wieder gegen die Nazis?“

In den gleichen Zeitraum fällt eine Recherche des Kollegen Christian Huberts, der ein Netzwerk von Nazi-Communities auf Steam aufdeckte – auch hier gab es kaum Resonanz in der Spielepresse. Ein weiteres Versäumnis, fehlender Widerstand im Diskurs, der Folgen haben könnte.

Kürzlich erschien nun der Trailer zu einem neuen Indiana-Jones-Spiel, das den berühmten Hollywood-Archäologen in den späten 1930er-Jahren auf Schatzsuche in das Himalaja-Gebirge schickt. In dem kurzen Gameplay-Video werden auch ein paar Nazis geboxt, die sich zuvor erst comicartig überzeichnet über Amerika lustig machen, von Vaterlandsliebe und Höhenangst schwafeln, bevor sie von Indie eine Klippe hinuntergeworfen werden.

Klassische Indiana-Jones-Szenen, aber schon tauchten die ersten Fragezeichen in den sozialen Netzwerken auf: „Warum schon wieder gegen die Nazis?“, hieß es da sinngemäß aus einigen wenigen, zum Glück nicht allzu vielen Mündern. Eine Frage, die mir nie in den Sinn gekommen wäre.

Ich muss es noch einmal betonen: Vielleicht sind das alles Zufälle, und ich blase hier die berühmte Mücke zum Elefanten auf. Gleichzeitig kann ich nicht anders, als Vorfälle dieser Art immer häufiger wahrzunehmen, die zudem von der Presse, die eigentlich für diese drohende Grenzverschiebung sensibilisieren sollte, weitgehend ignoriert werden. Das dürfen wir, als spielende Gemeinschaft, nicht zulassen.

Ich will auch in Zukunft Nazis boxen – und mich anschließend nicht erklären müssen, wieso ich das getan habe. Hier sollten wir uns alle einig sein.


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