Juristische Einschätzung: Was die neuen Ausweisungsregeln bedeuten

Menschen ohne deutschen Pass sollen leichter ausgewiesen werden, wenn sie auch nur eine einzige terroristische Tat im Netz billigen oder verbreiten. Aber reicht dafür schon ein Like? Fachleute für Aufenthaltsrecht bezweifeln das – und weisen auch auf andere Schwierigkeiten hin.

Eine Wand mit Herzen und erhobenen Daumen drauf
Erhobener Daumen: Grund zur Ausweisung? – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com George Pagan

Wer „terroristische Straftaten“ gutheißt oder verbreitet und keinen deutschen Pass hat, soll leichter ausgewiesen werden können. So will es die Bundesregierung, die am Mittwoch eine Verschärfung des Aufenthaltsrechts auf den Weg gebracht hat.

Schon ein einzelner Kommentar in den Sozialen Medien soll demnach ausreichen, um ein „besonders schweres Ausweisungsinteresse“ zu begründen, sagt das Bundesinnenministerium im Gesetzentwurf. Ein Gerichtsurteil muss die Ausländerbehörde dazu nicht abwarten.

Anwälte bezweifeln allerdings, dass die Schwelle für eine Ausweisung wirklich so niedrig gehängt werden kann.

Ein Like erhöht noch nicht die Reichweite

Für Aufsehen sorgte vor allem ein Satz aus der Gesetzesbegründung: „Unter Verbreitung eines Inhalts kann daher nunmehr etwa auch das Markieren eines Beitrags durch ‚Gefällt mir‘ auf den Sozialen Medien wie You Tube, Instagram, TikTok etc. fallen“, heißt es im Begründungsteil des Entwurfs. Als Grundlage verweist der Text auf ein umstrittenes Urteil des Landgerichts Meiningen.

Eine Verbreitung von terroristischen Inhalten durch einen Like? „Das ist schon heftig,“ sagt Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei Pro Asyl. „Einen Like setzt man schnell. Das ist von der Verhältnismäßigkeit sehr schwierig, wenn man das vergleicht mit anderen Ausweisungstatbeständen.“

Von Auer bezweifelt allerdings, dass schon dann eine „Verbreitung“ vorliegen soll, wenn jemand einen Inhalt mit „Gefällt mir“ markiert. Zwar würden Inhalte mit vielen Likes auf Facebook oder anderen Plattformen eine größere Reichweite bekommen. Das passiere aber nicht durch einen einzelnen Like, sondern durch viele. „Dass man etwas mit dem Like setzen schon verbreitet, halte ich deswegen für fragwürdig.“

Zweifelhaft sei auch, ob Gerichte einen gehobenen Daumen unter einem Beitrag schon als Billigung werten würden. Aus einem gehobenen Daumen lasse sich schließlich noch nicht darauf schließen, dass jemand mit der Gesamtaussage eines Inhalts einverstanden sei, das hätten andere Fälle gezeigt.

Ausweisung ohne Urteil nichts Neues

Ein anderer Punkt hingegen überrascht Juristen nicht. „Dass die Ausländerbehörde keine Verurteilung abwarten muss, um jemanden auszuweisen, ist von der Systematik nichts Neues“, sagt der Rechtsanwalt Matthias Lehnert, der auf Aufenthaltsrecht spezialisiert ist.

Das Ausweisungsrecht sei auch an anderen Stellen so konzipiert. Die Ausländerbehörden sollen im Zweifel schnell handeln können, etwa zur Gefahrenabwehr. So kann man heute schon Menschen dafür ausweisen, dass sie Drogen verkauft oder falsche Angaben gegenüber Behörden zur Erlangung ihres Aufenthalts gemacht haben.

Kritisch sieht er die Verschärfung dennoch, weil die Regeln einen so weiten Ermessensspielraum für Ausländerbehörden lassen. In einem Strafverfahren ließe sich darüber streiten, was als Billigung von Terrorismus gilt. „Wenn aber die Ausländerbehörde das in Zukunft einschätzen soll, ist das ein Problem. Das kann ja tief in die Meinungsfreiheit eingreifen.“

Allein das Wissen darum, dass die Ausländerbehörde auf den eigenen Profile im Netz nach Inhalten suchen könnte, könne auf Menschen ohne deutschen Pass schon abschreckend wirken, fürchtet Lehnert. „Vielleicht habe ich einen falschen Freund oder ein Video nicht genau angeguckt – und dann mit diesen krass existentiellen Folgen.“

Keine Einbürgerung, kein Familiennachzug

Eine Ausweisung bedeutet zwar noch nicht automatisch die Abschiebung, sagt Lehnert. Betroffene können per Eilantrag gegen die Ausweisung klagen. Dann muss ein Gericht die Einschätzung der Ausländerbehörde prüfen. In so einem Fall würden verschiedene Gründe gegeneinander abgewogen. Wer seit Jahrzehnten mit festem Aufenthalt in Deutschland lebt oder hier seine Familie hat, würde nicht ohne weiteres abgeschoben.

In viele Staaten und Regionen schiebe Deutschland außerdem ohnehin nicht ab, etwa nach Afghanistan oder Syrien. Lehnert bezeichnet die Maßnahmen deswegen als „symbolisches Law-and-Order“.

Dennoch hat eine Ausweisung für die Betroffenen gravierende Folgen. Sie können etwa keine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis mehr bekommen, ihre Familie nicht mehr nachholen, sich nicht mehr einbürgern lassen. Wenn sie Deutschland verlassen, können sie nie wieder einreisen. „Die Entscheidung der Ausländerbehörde steht dann erst mal im Raum“, sagt Lehnert. „Dann bist du in der Beweisnot.“

Einzig die Lage von Menschen mit einer Duldung könne sich dadurch nicht mehr verschlechtern. Sie haben ohnehin schon den denkbar schlechtesten Status: Sie gelten als ausreisepflichtig und werden nur deswegen nicht sofort abgeschoben, weil sie etwa krank sind oder sich kein Staat findet, der bereit wäre, sie aufzunehmen.

Ausweisung schon nach einem Like

Zählen auch alte Kommentare und Likes?

Unklar ist, ob die Regelung auch rückwirkend greifen soll. Darf die Ausländerbehörde in der Timeline zurückgehen und dort nach früheren Verfehlungen suchen? Sollten Menschen ohne Pass jetzt damit beginnen ihre Timelines zur prüfen?

Das Bundesinnenministerium (BMI) hat auf diese Frage nicht geantwortet. Peter von Auer bezweifelt das. „Wir haben das Verbot der Rückwirkung.“ Im Strafrecht bedeute das: Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn es zum Zeitpunkt der Tat schon strafbar war.

„Eigentlich müsste das heißen: Ich kann nicht frühere Kommentare oder Likes nehmen und deswegen jemanden jetzt ausweisen.“ Doch ob sich Ausländerbehörden daran halten werden und Gerichte im Zweifel so entscheiden würden, wird sich erst noch zeigen müssen.

BMI: Like kann „Ausweisung nicht begründen“

Das Innenministerium wiegelt derweil ab: „Aus Sicht des BMI kann ein ‚Like‘ eine so gravierende Entscheidung wie eine Ausweisung nicht begründen“, erklärt ein Sprecher des Ministeriums. Denn hierfür müsse in jedem Einzelfall die Ausländerbehörde und gegebenenfalls im Anschluss ein Verwaltungsgerichte zwischen dem Bleibe- und dem Ausweisungsinteresse abwägen. Ausweisungen sollten vor allem in gravierenden Fällen erfolgen können, etwa bei „terrorverherrlichenden Videos und Hasskommentaren, die terroristische Taten begrüßen und zu weiteren Taten animieren können“.

Die in der Begründung des Vorschlags zitierte Entscheidung des Landgerichts treffe keinerlei Aussage zur Frage von Ausweisungen, betont der Sprecher, sondern nur zur „Verbreitung eines Inhalts im strafrechtlichen Sinne“. Strafverfahren seien aber etwas anderes als verwaltungsgerichtliche Verfahren zu etwaigen Ausweisungen. Insofern werde es auf die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ankommen.

BMI: Ausweisung parallel zu strafrechtlichen Ermittlungen

Bei der Regierungspressekonferenz am Montag ging es ebenfalls um das Thema. Auf die Frage, ob das Personal einer Ausländerbehörde auch ohne juristischen Abschluss in der Lage sei, solche Kommentare zu prüfen, sagte ein Vertreter der Ministeriums, dazu seien die Menschen in den Ausländerbehörden sehr wohl qualifiziert.

Außerdem werde „die Expertise auch gebündelt“. „Es wird ja in der Regel bei solchen terrorverherrlichenden Postings auch strafrechtliche Ermittlungsverfahren geben“, sagte der Vertreter. „Insofern tauschen sich Ermittlungsbehörden und Ausländerbehörden natürlich auch über die Maßnahmen aus, die einerseits im Bereich der Strafverfolgung getroffen werden, andererseits für eine mögliche Ausweisung getroffen werden.“

Warum die Bundesregierung eine solche Verschärfung überhaupt für nötig hält? Man könne auch jetzt schon das Ausweisungsinteresse gegen das Bleibeinteresse abwägen, bestätigt der BMI-Vertreter.

„Aber aus Sicht der Bundesregierung ist es angesichts der Schwere dieser Taten und auch des Klimas von Hass und Gewalt, das durch solche Taten und das Verherrlichen von Terror geschürt wird, das zu neuen Gewalttaten führen kann und das andere Täter ermutigen kann, notwendig, diesen besonderen Fall auch im Aufenthaltsrecht zu regeln.“


Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.

Es gibt neue Nachrichten auf friedliche-loesungen.org
:

Nur wer angemeldet ist, geniesst alle Vorteile:

  • Eigene Nachrichten-Merkliste
  • Eigener Nachrichtenstrom aus bevorzugten Quellen
  • Eigene Events in den Veranstaltungskalender stellen
M D M D F S S
1
 
2
 
3
 
4
 
5
 
6
 
7
 
8
 
9
 
10
 
11
 
12
 
13
 
14
 
15
 
16
 
17
 
18
 
19
 
20
 
21
 
22
 
23
 
24
 
25
 
26
 
27
 
28
 
29
 
30
 
31